Von Lars Kühl
Als Friedhart Werthschütz bei seiner morgendlichen Lektüre der Sächsischen Zeitung die Meldung las, ahnte er den Ärger noch nicht, den er damit haben würde. Bei einem Unfall in Klingenberg war am 15. April ein Wildschwein verletzt worden, anschließend aber in den Wald geflüchtet. Werthschütz ist Jagdpächterobmann für Colmnitz-Klingenberg und stellte fest, dass sich der Vorfall in seinem Gebiet ereignet haben musste. Den Anblick wenig später hatte er allerdings nicht erwartet.
Gegen 6.30 Uhr wollte Werthschütz zum Unfallort losfahren, auf der Suche nach Spuren – auch für den Wildwechsel. Kurz vorm Aufbruch erhielt er einen Anruf, im Straßengraben würde auf dem betreffenden Abschnitt ein totes Wildschwein im Graben liegen. Erst dachte der Jäger an einen neuen Unfall. „Dies bestätigte sich jedoch nicht“, schildert er. „Das dort liegende Stück wies die Wirkung von gut zwei Tagen tot in der Sonne liegend auf – aufgedunsen, die Läufe noch oben abstehend, rundlich und geruchsintensiv.“ Und was ihn noch viel mehr stutzen ließ: Das Wildschwein lag unmittelbar an der erkennbaren Unfallstelle.
Keine Info an die Jägerschaft
Werthschütz recherchierte und fand heraus, dass der Unfall am 15. April, früh um 5.30 Uhr, passiert war. Die Polizei war auch vor Ort zur Datenaufnahme gewesen. „Die örtlich zuständige Jägerschaft wurde allerdings nicht informiert.“
Für den Vorsitzenden des Jagdverbandes Sächsische Schweiz-Osterzgebirge Anlass genug, den Sachverhalt noch mal klarzustellen. Im Sächsischen Landesjagdgesetz sei geregelt: Wer mit seinem Fahrzeug einen Wildunfall mit Schalenwild baut, müsse dies der Jagdbehörde oder einer Polizeidienststelle anzeigen. Die Meldepflicht besteht auch für Fahrer, wenn bei der Kollision keine oder nur geringe Schäden am Auto oder Motorrad entstehen. Die Jagdbehörde oder die Polizei geben dann dem zuständigen Jäger Bescheid. In Sachsen kümmert sich weitgehend die Jägerschaft um die Entsorgung und Verwertung von Unfallwild. Diese Aufgaben übernehmen die Jäger freiwillig, um die jeweils Zuständigen wie Gemeinden oder Straßenbauverwaltungen der Landkreise bzw. des Freistaates zu entlasten.
Die Jäger dürfen das geborgene Wild zwar nicht verkaufen oder anderweitig öffentlich verarbeiten, aber für den Eigenverbrauch – beispielsweise als Futter für den Jagdhund – können sie es verwenden.
Im geschilderten Klingenberger Fall hat der Autofahrer die Polizei gerufen. Die Information der zuständigen Jäger blieb aber aus, sagt Werthschütz. „Dies war auch nicht der erste Fall dieser Art. In den letzten zwei Jahren handelt es sich um mindestens sieben Fälle, welche im Nachgang, meist durch üblen und belästigenden Geruch bei naheliegenden Wohngrundstücken oder von Spaziergängern, registriert wurden.“ Trotzdem hätten die Jäger das tote Wild entsorgt. „Teilweise unter heftigen Beschuldigungen der Anwohner.“
Dieses Mal hat sich die Colmnitz-Klingenberger Jägerschaft allerdings geweigert. Das Landesamt für Straßenbau und Verkehr übernahm als Baulastträger die Entsorgung. Dass der Unfallfahrer das Wildschwein im Straßengraben übersehen hat, schiebt Werthschütz auf dessen Aufregung, die schlechte Sicht in der Morgendämmerung und die gut getarnte Lage in einer Reisigablagerung vom Schneebruch. „Dass dies aber bei der Unfallaufnahme durch die Polizei unerkannt blieb, kann ich nicht erklären“, wettert er. Erst zwei Tage später, und zudem noch abends gegen 20 Uhr, habe die Polizei, „offensichtlich aufgrund von Bürgeranzeigen“, die Jägerschaft in Kenntnis gesetzt.
Unterschiedliche Interpretation
Bei der Polizei sieht man den Vorfall etwas anders: „Wenn sich das Tier nach dem Unfall entfernt und es durch die Beamten vor Ort nicht mehr festgestellt wird, werden auch die Jagdpächter nicht informiert“, erklärt Thomas Geithner, Sprecher der Direktion Dresden. Genauso sei es im Klingenberger Fall auch gewesen. „Unmittelbar am Unfallort“ sei sicherlich unterschiedlich interpretierbar. „Wohin sich das Wildschwein bewegt hat, ob es vielleicht zunächst wieder in den Wald ist und in der Folge nochmals zurückkam und letztlich aufgrund der geschwundenen Kräfte verstarb, ist unbekannt, und man kann sicher trefflich darüber spekulieren.“ Normalerweise würden die Beamten ein gefundenes Wildopfer kennzeichnen, beispielsweise durch Absperrband, und dann, je nach Erreichbarkeit, den Jagdpächter informieren.
Werthschütz spricht für die Jägerschaft und davon, an einer guten Zusammenarbeit mit der Polizei interessiert zu sein. Aber die Kontakte seien schon mal enger gewesen und könnten eine Auffrischung vertragen. Ganz im Sinne der Polizei: „Wir stehen einem gemeinsamen Gespräch natürlich offen gegenüber“, erklärt Geithner.