Landkreis. Ein Wohnhaus im Weinberg von Sachsens ältester Sektkellerei? Erst im April hat der Radebeuler Stadtrat dies abgelehnt.
In Meißen streckt die Stadt als Bauherr selbst die Finger nach einer historischen Weinanbaufläche aus: Auf den Resten des alten Ratsweinberges könnte die lang entbehrte neue Turnhalle für das Gymnasium Franziskaneum entstehen. Eine Untersuchung des Baugrunds ist bereits beschlossen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich die Bedeutung gerade dieser Fläche für Meißen im Wandel der Zeit vor Augen zu führen.
In weiten Gegenden Deutschlands wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts der Weinbau von Klöstern geprägt, auch an der Elbe im Meißner Land. Der erste Hinweis über Rebpflanzungen ist hier auf das Jahr 1161 datiert. Bereits 150 Jahre später sind Nachrichten über den Bürgerweinbau im Osten zu finden. Der Meißner Ratsweinberg wird 1350 zum ersten Male genannt.
Er lag auf dem rechten Elbufer, jenseits der Stadt. 1355 verkaufte die Stadt den Berg an einen Heinrich Gobin unter der Bedingung, dass er und seine Besitznachfolger alle Jahre am St. Martinstag, dem 11. November, an die Frauenkirche und zur Erhaltung der Brücke 37 Breite Groschen, an die Afrakirche 14 Groschen und an die im oder am Weinberg gelegene Dionysiskapelle neun Groschen Erbzins entrichten.
Bereits ein Jahr später erwarb der Rat am 28. Oktober 1356 vom in den Mauern der Stadt gelegenen Afrakloster einen Weinberg in der Flur Cölln. Er dürfte sich ebenfalls am südlichen Abhang des heutigen Ratsweinberges befunden haben. Auch von ihm war ein Erbzins zu zahlen. Dieser Kauf bildete die Grundlage des später bedeutend größeren Weinbergsbesitzes der Stadt.
Einhundert Jahre danach, 1446, übereigneten Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht der Stadt für die Stadtkirche und die Elbbrücke ein bedeutendes Weinareal in der gleichen Gegend. 1501 kam die ehemalige Besitzung des Georg von Schleinitz, der heutige Crassoberg, durch landesherrliche Entscheidung ebenfalls in den Besitz der Stadt. 1529 erwarb diese zudem einen Weinberg von einem Bernhard Freydiger.
Dieses Weinbergsgelände blieb nahezu 350 Jahre erhalten. 1850 betrug das Areal 14 Acker und 51 Quadratruthen, das sind sieben Hektar und 51 Ar. Vernachlässigt man geringfügige Veränderungen, so ist eine Größe von sieben bis acht Hektar zu veranschlagen. Es handelte sich um das Land zwischen der heutigen Bahnhofstraße, der Großenhainer Straße, Zscheilaer Straße und der Vorbrücker Straße.
Erst 1869 erfolgten bedeutende Verkäufe des Weinberges als Bauland für die sich rasch entwickelnde Stadt. Andererseits kamen durch Schenkung wiederholt Weinbergsflächen hinzu, wie zum Beispiel der Crassosche Weinberg, die jedoch kurze Zeit später zum großen Teil zum Bau des städtischen Krankenhauses genutzt wurden. Heute beträgt die Fläche des ehemaligen Ratsweinberges lediglich 0,5 Hektar.
Was den Ratsweinberg besonders interessant macht, ist die nahezu 350-jährige, nur mit geringen Lücken behaftete Aufzeichnung der Erträge. Für keinen Weinberg in Sachsen, und wohl auch in Deutschland, sind über eine derartige Zeitspanne fast alle Ausgaben und Ernteergebnisse aufgezeichnet.
Anfangs war nur der Verkaufserlös für den Wein angeführt. Er beginnt mit dem Jahre 1467: 22 Schock, 20 Groschen von einem Schenk zu Kempnitz (möglicherweise Chemnitz). Interessant ist dabei, wie bereits zu dieser Zeit im deutschen Raum der Weinhandel verlief. So wird 1471 von vier Fudern Wein, geliefert an Nickel Smelz im böhmischen Graupen berichtet. 1475 verkaufte man Most nach Penig bei Chemnitz.
Von 1540 bis 1869 wurden dann die Erträge des Ratsweinberges in Mengeneinheiten aufgezeichnet. Es ergibt sich ein Durchschnittsertrag im Jahr von 27 Fass, ¼ Tonne und 67 Kannen, was einer Menge von 11 076 Litern entspricht. Bei einem Bestand von bis zu 93 000 Rebstöcken auf acht Hektar kommen somit bei einer zu dieser Zeit üblichen Pflanzweite von 0,8 Quadratmeter 11 000 Rebstöcke auf den Hektar. Dabei wurde ein durchschnittlicher Mostertrag von 1 400 Liter erzielt. Werden die heutigen Mosterträge von 3 000 bis 4 000 Liter herangezogen, ist der Ertrag pro Hektar der damaligen Zeit von 30 Prozent als real, teilweise als überdurchschnittlich anzusetzen.
Bei der Betrachtung der einzelnen Jahrgänge ist nur geringfügig eine Systematik zu erkennen. Neben unmittelbar nacheinander relativ guten Jahrgängen, die über dem oben angeführten Durchschnitt lagen, sind auch eine Reihe von mehrfach schlechten Ernten zu verzeichnen. Von den 227 Jahren, in denen das Ertragsverzeichnis geführt wurde, liegen 97 über dem Durchschnitt und 130 darunter. Zieht man die, wenn auch nicht lückenlosen, Überlieferungen der Nachbargemeinden, zum Beispiel den heutigen Ortsteil von Radebeul, Oberlößnitz, heran, so ist nur selten eine Übereinstimmung vorhanden.
Wagt man dennoch einen Vergleich mit in anderen Weinbaugebieten angeführten Jahrgängen, die wesentlich aus den Gebieten westlich des Rheins stammen, zeigt sich der Unterschied dort noch größer. Eine Regelmäßigkeit ist in allen Jahrgängen kaum zu erkennen.
Auch über andere im beziehungsweise am Weinberg angebaute Obst- und Gemüsearten sind Überlieferungen vorhanden. 1716 bis 1784 war der Ratsweinberg verpachtet. Im Pachtvertrag sind 61 Pflaumenbäume, sechs Apfelbäume, vier Birnenbäume und 22 Kirschbäume angeführt. Teils sollen sie in der Anlage, überwiegend jedoch am Nordrand als eine Art Windschutz gestanden haben.
Der Anbau von Kürbissen war den Winzern des Ratsweinberges strikt verboten, was sonst in vielen sächsischen Weinbergen üblich war. Einerseits wurde dem Winzer somit ein gewisser Zuverdienst ermöglicht, andererseits ein Ausgleich für die oft schwankenden Erträge gewährt. Für die Menge und Güte der Trauben allerdings ist ein Anbau von Futter und Gemüse zwischen Rebstöcken nicht gerade vorteilhaft.
Die Zeit der Weinlese war weitgehend zwischen dem 10. und 27. Oktober. Klammert man die heutigen frühreifen Sorten, wie den Müller Thurgau aus, sind diese Termine oft heute noch aktuell. Zu Zeiten der Weinlese beschäftigte der Meißner Ratsweinberg in guten Jahren bis zu 60 Leser und zehn Buttenträger.
Ein Vergleich über Lohn und Kosten ist aus heutiger Sicht nur schwer anzustellen. Anders sieht es schon aus, wenn über die Speisefolge berichtet wird. Die Meißner Ratsakten 1701 führen beispielsweise Ausgaben für Bratwürste, Sauerkraut, Karpfen, Pastinaken, Lerchen und gebackene Pflaumen an. Dagegen wurden für die Winzerweiber, also die während der Lese beschäftigten Aushilfskräfte, Butter, Milch, Käse, Kastanien, Äpfel und Birnen abgerechnet.
Über den Geschmack der einst produzierten Weine lässt sich heute streiten. In den Jahren 1571 und 1572 waren je ein Viertel Salbei - und Schlehenwein, im Jahre 1581 eine Tonne Wermutwein eingelegt worden. Doch auch überdurchschnittliche Qualitäten reiften heran.
Verarbeitet wurden die Trauben im Weingut im oder am Weinberg. Wo das erste Preßhaus stand, ist heute nicht mehr bekannt. Höchstwahrscheinlich am Südhange des Ratsweinberges, dort wo sich jetzt die Sparkasse befindet. 1783 wurde mitten im Weinberg das heute noch vorhandene Preßhaus errichtet, mit einem imposanten Weinkeller. Die Trauben pressten die Winzer und ihre Helfer auf einer großen hölzernen Weinpresse aus. 1873 kamen eiserne Preßspindeln hinzu. Diese Presse wurde 1933 auf Initiative des Meißner Geschichtsvereins ins Stadtmuseum überführt.
Da der Ratsweinberg oft aus dem städtischen Säckel einen Zuschuss benötigte, wies Kurfürst Friedrich August I. durch ein Reskript vom 12. Dezember 1715 die städtische Verwaltung an, den Ratsweinberg zu verpachten. 1716 ging der Berg an den Gastwirt „Zum Roten Hirsch“ Gottfried Keil, jedoch die Pachtsumme wurde vielfach infolge Hagel, Frost und Mißwuchs bedeutend reduziert. Auch spätere Verpachtungen liefen in gleicher Art.
Der Rest der einstigen Rebfläche von 0,5 Hektar wird heute von Kleinwinzern bewirtschaftet und ist ein Denkmal der Geschichte der Stadt und ihrer Wirtschaftskraft sowie eine grüne Insel inmitten eines Häusermeers.