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Wenn Biedermann gegen Spitz krault

Für eine ungewöhnliche Fernseh-Dokumentation unternimmt der Schwimm-Weltrekordler in Dresden eine Zeitreise.

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© Robert Michael

Von Daniel Klein

Auf dem gelben Startblock mit der Nummer drei steht Paul Biedermann und wartet geduldig auf das Kommando. Vieles sieht bei ihm so aus wie vergangene Woche in Kasan, als er bei der Schwimm-WM über 200 Meter Freistil Bronze gewann. Aber nicht alles. Die ungewöhnliche Badehose fällt auf, kein hautenger Jammer, wie die kurz über den Knien endenden Modelle aus wasserabweisendem Material heißen; er trägt die Variante Freibad mit Stars-and-Stripes-Muster. Und die Badekappe mit aufgedrucktem Sponsorennamen fehlt.

Der olympische Goldhamster: Mark Spitz schwamm 1972 in München sieben Mal Weltrekord – im knappen Badehöschen. Ob Biedermann seine Zeit knacken konnte? :
Der olympische Goldhamster: Mark Spitz schwamm 1972 in München sieben Mal Weltrekord – im knappen Badehöschen. Ob Biedermann seine Zeit knacken konnte? : © Getty Images

Zweieinhalb Bahnen krault Biedermann, verfolgt wird er gestern Mittag nicht von der schwimmenden Konkurrenz, sondern von zehn Kameras. Aus allen Winkeln und Perspektiven filmen sie das einsame Rennen. Nach 125 Metern ist Schluss, die Kameramänner nicken zufrieden oder strecken den Daumen nach oben. Alles bestens, alles im Kasten. Regisseur Kristian Kähler klatscht in die Hände, alle anderen klatschen mit. „Danke, das war‘s.“ Wie man das eben so macht am Ende eines Drehs.

Gedreht wurde anderthalb Tage in der Dresdner Schwimmhalle am Freiberger Platz – Baujahr 1969, und seitdem nahezu unverändert. Man könnte von einem völlig veralteten Bau sprechen oder, wie Kähler, von einer historischen Kulisse. „Genau das haben wir gesucht“, sagt er und freut sich über die Fliesen aus DDR-Zeiten und die riesige Zeigeruhr an der Wand.

43 Jahre wurde die Zeit zurückgedreht. 1972 schwamm Mark Spitz bei den Spielen in München zu sieben Goldmedaillen, Biedermann soll für die Dokumentation quasi in seine Haut schlüpfen. „Es geht um die Frage, ob ein aktueller Weltrekordhalter unter historischen Bedingungen so schnell sein kann wie sein Vorbild“, erklärt Kähler. Spitz kraulte die 200 Meter Freistil in München in der damaligen Weltrekordzeit von 1:52,78 Minuten, den aktuellen hält Biedermann mit 1:42,00, aufgestellt bei den Weltmeisterschaften 2009 in Rom.

„Die Bedingungen waren bei ihm damals aber ganz andere“, vergleicht Biedermann. Der hatte 2009 einen Hightechanzug an, der ihn dank zusätzlichem Auftrieb schneller machte. Die Leinen, die die Bahnen voneinander trennen, erinnerten in den 1970er-Jahren an kleine Bojen. „Heute sind es richtige Wellenbrecher, die das Wasser ruhiger machen“, erklärt der 29-jährige Hallenser. Die Startblöcke waren flach und hatten keine Erhöhung zum besseren Abstoßen. Und Spitz sei damals ohne Brille geschwommen. „Wie er das gemacht hat, weiß ich beim besten Willen nicht.“

Auf seine Brille will Biedermann beim historischen Rekordversuch nicht verzichten. Sonst sind die Bedingungen in Dresden ähnlich wie 1972 in der Münchner Olympiahalle. Und hat er es geschafft, die Zeit von Spitz zu unterbieten? „Das wird nicht verraten“, sagt Kähler. „Das Ergebnis ist auf jeden Fall überraschend“, findet Biedermann, der nach den Dreharbeiten „noch mehr Respekt vor den damaligen Leistungen“ hat.

Die 52-minütige Doku mit dem Arbeitstitel „Projekt Gold – Wie die Wissenschaft Rekorde macht“ läuft nächstes Jahr im Vorfeld der Spiele von Rio und ist eine Co-Produktion von ZDF und dem kanadischen Sender CBC. Gezeigt werden insgesamt fünf Duelle, dabei sind ein aus dem Jahr 1948 nachgebautes Kajak zu sehen, die Bahnrad-Weltrekordhalterin Sarah Hammer, Sprintlegende Jesse Owens und Speerwerferin Christina Obergföll.

Der Aufwand für die Dreharbeiten war nicht gering. In Dresden wurde neben dem Becken extra eine 40 Meter lange Schiene verlegt, auf der die Kamera parallel zu Biedermann fuhr. Da die Halle in den Sommerferien geschlossen ist, konnte das Produktionsteam anderthalb Tage „völlig ungestört arbeiten“, wie Kähler erzählt. „Das ist natürlich optimal. Auch die Verantwortlichen waren hier sehr kooperativ.“ In München, an historischer Stelle also, hatte er auch angefragt. „Da läuft der Betrieb aber weiter, die hätten uns nur vier Stunden reingelassen.“

Der Tipp, es mal in Dresden zu versuchen, kam von Biedermann. „Ich bin hier vor anderthalb Jahren beim Christstollen-Schwimmfest gestartet, deshalb kannte ich die Halle“, erzählt er. Vorige Woche noch war er im umgebauten Fußball-Stadion von Kasan in einem Edelstahlbecken geschwommen, direkt nach dem Rückflug ging es weiter zur Zeitreise nach Dresden. Für ihn war es auch eine persönliche. „Bei mir zu Hause in Halle sah es bis vor wenigen Jahren ähnlich aus. Ich kenne das also, alles hat seinen Charme.“ Nach seinen beiden WM-Titeln 2009 und den beiden Weltrekorden hatte seine Heimatstadt in Rekordtempo eine neue Trainingsstätte aus dem Boden gestampft.

Vorbei mit dem Charme der 70er

Gebaggert wird inzwischen auch in Dresden. 2018 sollen der benachbarte Neubau und die sanierte Halle fertig sein. Dann ist es vorbei mit dem Charme der 70er. „Dass der historische Bau noch einmal ins Fernsehen kommt, ist also auch ein Zeitdokument“, findet Matthias Waurich, Geschäftsführer der Bäder GmbH.

Paul Biedermann verabschiedet sich persönlich von jedem aus dem Produktionsteam und bedankt sich. Auch bei Waurich und seinen Mitarbeitern. „Ich komme bestimmt mal wieder, meine Schwester studiert in Dresden Medizin“, sagt er und schlendert mit Lebensgefährtin Britta Steffen aus der Halle. Die vor zwei Jahren zurückgetretene Doppel-Olympiasiegerin war nicht zum ersten Mal hier. Mit 16 verbesserte sie den Hallenrekord, der gilt noch immer. Ihren Namen findet man auf einer hölzernen Tafel am Eingang. Ob die den Umbau übersteht?