Von Christoph Scharf
Ein vollwertiger Autolautsprecher, der nicht mal fünf Gramm wiegt. Ein Fußboden, der schon beim Darüberlaufen Strom erzeugt. Ein künstliches Hüftgelenk, das sich selbstständig auf den Knochenverschleiß seines Trägers einstellt. Noch sind all diese Dinge Zukunftsmusik – doch sie könnten in absehbarer Zeit möglich werden, wenn ein neues Konsortium seine ehrgeizigen Pläne umsetzt.
Dafür wurde jetzt eine Kooperation zwischen dem Dresdner Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) und dem Bautzener Bildungszentrum Polysax gegründet. Mit an Bord sind etliche weitere Bildungseinrichtungen und kleine und mittelständische Unternehmen. Das Ziel des Konsortiums mit dem Namen „Smart³“ – sprich „Smart hoch drei“ – ist es, an stolze 45 Millionen Euro Förderung zu kommen. Diese Summe will der Bund an zehn verschiedene Projekte ausreichen. Insgesamt ist also fast eine halbe Milliarde Euro im Topf.
Holger Kunze vom Fraunhofer-Institut rechnet sich gute Chancen aus, dass auch Bautzen davon profitiert. „Wir wollen gemeinsam mit Polysax richtiges Hightech schaffen.“ Kern des Projekts sind sogenannte intelligente Werkstoffe: Legierungen, die auf Stromimpulse reagieren und dabei schlagartig ihre Form ändern. „Man kann sich das ähnlich wie Bimetalle vorstellen, die auf Temperaturunterschiede reagieren. Nur dass intelligente Materialien viel präziser funktionieren“, sagt der Ingenieur.
Das klingt zunächst ziemlich abstrakt. Was soll so etwas für den Alltag bringen? „Das wird leicht durch ein Beispiel deutlich“, sagt der Ingenieur. So stecken heute in modernen Autos zahlreiche Elektromotoren, die alles Mögliche regeln: Sitzverstellung, Motorklappen, Scheinwerfer, Klimaanlage. In einem normalen Mittelklasseauto sind das schon 40 bis 80 Elektromotoren, in einem Fahrzeug der Oberklasse 80 bis 120. Sie alle brauchen Platz, bringen Gewicht, bieten Fehlerquellen.
Die Vision des Konsortiums ist es, diese Motoren durch intelligente Materialien zu ersetzen, die alle die Aufgaben viel einfacher ersetzen könnten. „Bei Produktionskosten und Gewicht könnte man ungeheuer viel einsparen“, sagt Jörg Schicktanz, Geschäftsführer des Bildungszentrums Polysax. Die Kunststoff-Spezialisten im Bautzener Süden bilden schon heute den Nachwuchs Dutzender Firmen an modernen Maschinen aus – und würden sich gerne noch stärker in der Forschung engagieren. Die Ausstattung mit Technik und das bestehende Firmennetzwerk um den Bildungszentrum gaben auch den Ausschlag, dass Bautzen im neuen Konsortium eine große Rolle spielt.
Mit an Bord sind aber auch zahlreiche Firmen der Region: Etwa Käppler und Pausch aus Neukirch, Schicktanz aus Sohland, Lakowa aus Wilthen oder Gerodur aus Neustadt/Sachsen. Zu den insgesamt rund 30 Unternehmen kommen noch elf Forschungseinrichtungen, die sich mit den verschiedensten Fachrichtungen beteiligen wollen – Ingenieure der TU Ilmenau, Mediziner der Uni Rostock, Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen aus Berlin, Designer von der Kunsthochschule Halle.
Geht ihr Projekt auf, könnte das nicht nur den Automobilbau revolutionieren. Genauso sind Auswirkungen auf die Baubranche oder die Medizintechnik denkbar. So zum Beispiel Prothesen, die ein Leben lang halten – weil sich ein künstliches Hüftgelenk aus intelligenten Materialien exakt in dem Maß ausdehnen kann, wie die Knochen des Trägers verschleißen. Oder Fassaden, die durch Sonneneinstrahlung Strom erzeugen, ohne dafür unansehnliche Solarzellen zu benötigen. Oder Fußböden, etwa in Bahnhöfen oder Einkaufsmärkten, die den Strom für die Beleuchtung liefern, weil sie die Energie der täglich Tausenden Schritte umwandeln.
All diese Techniken werden nicht von heute auf morgen verfügbar sein. „Aber unser Ziel ist ganz klar, marktfähige Produkte zu entwickeln“, sagt Holger Kunze. Ist das Konsortium Smart³ bei der Ausschreibung erfolgreich, entstünden daraus in der Region zusätzliche Arbeitsplätze. Schon vorhandene würden gesichert, sagt Hans-Tobias Schicktanz vom Fraunhofer-Institut. „Wir wollen mit den Unternehmen in der Oberlausitz weg von der verlängerten Werkbank und hin zu völlig neuen Produkten.“ Schon im September könnte es damit losgehen – sollte das Projekt bei der Fördermittelvergabe erfolgreich sein. Die Entscheidung will eine Jury des Bundesforschungsministeriums im Juni fällen.