Großenhain. Das Martyrium beginnt um kurz nach zwei. Dann schraubt sich der Lärmpegel Minute für Minute nach oben. Sind es zunächst nur ein paar Autos, geht es bereits eine halbe Stunde später so richtig los.
Ein Fahrzeug nach dem anderen donnert an den Häusern vorbei. Rumpeln, Scheppern, Quietschen. An die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 30 km/h pro Stunde halten sich die Wenigsten und rasen teilweise mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch den Großenhainer Ortsteil Skassa. Tag und Nacht.
Seit Wochen nicht durchgeschlafen
Wer wissen will, wie es sich auf einer dicht befahrenen Autobahn lebt, ist momentan auf der Riesaer Landstraße richtig. „Wir halten es wirklich nicht mehr aus und sind mit unseren Nerven völlig am Ende“, bekennt Doreen Hofmann. Die 44-Jährige weiß nach eigenem Bekunden seit Monaten nicht mehr, wie es sich anfühlt, mal richtig durchzuschlafen. Schlimm für die Angestellte, deren Wecker jeden Morgen um halb fünf klingelt und die anderthalb Stunden zur Arbeit fahren muss. Wieder zurück in den eigenen vier Wänden gestalten sich die Feierabende inzwischen alles andere als erholsam.
Hatte der Verkehr bereits seit dem Kauf des Grundstücks 2004 immer mehr zugenommen, sei es mit der Sperrung der Bundesstraße 98 in Wildenhain nun geradezu unerträglich geworden. 178 Fahrzeuge in 20 Minuten hat Doreen Hofmann gezählt. Zu viele, um gefahrlos die Straßenseite zu wechseln oder mit dem eigenen Auto aus der Einfahrt zu kommen. Nur durch geradezu waghalsiges Manövrieren lasse sich der fahrbare Untersatz in den Verkehrsdschungel befördern. „Eine Katastrophe“, befinden die Betroffenen.
Abgesehen davon, dass die Skassaer erst im Nachhinein erfahren hätten, welche leidige Rolle ihr Ort im Umleitungsszenario bis etwa 20. September spielen werde. „Es wird auch absolut nichts dafür getan, dass wir Anwohner der Durchgangsstraße in irgend einer Form entlastet werden“, empört sich Sven Hofmann. Schon seit einem Jahr bemühten sich seine Nachbarn und er darum, dass speziell in den Hauptstoßzeiten Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt würden.
Bis auf wenige Male – ohnehin mit der Kamera zu auffällig postiert – habe das ebenso wenig stattgefunden wie das Aufbringen einer gut sichtbaren Tempo-30 auf der Fahrbahn. „Am Montag waren wir deshalb noch einmal beim Großenhainer Ordnungsamtschef und haben ihn um Hilfe gebeten. Er hat uns jedoch überhaupt keine Hoffnungen auf eine grundlegende Verbesserung gemacht“, erzählt Sven Hofmann enttäuscht. Lediglich im August wolle die Stadt Großenhain nun noch einmal auf der Riesaer Landstraße die Geschwindigkeit messen.
Für die geplagten Bewohner der Straße nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Während der eine beklagt, ebenso wie Familie Hofmann, erst nach 20 vorbeifahrenden Autos überhaupt seine eigene Grundstückseinfahrt verlassen zu können, ist die kräftezehrende Tätigkeit im Schichtsystem für eine andere ältere Frau eigentlich gar nicht mehr zu leisten. Angesichts der hohen sommerlichen Temperaturen käme sie schließlich nicht umhin, auch mal ein Fenster zum Lüften zu öffnen. Die Geräuschkulisse würde zunehmend zur seelischen und körperlichen Belastung.
Eine Situation, die der Großenhainer Verwaltung keineswegs unbekannt ist. Stadtsprecherin Diana Schulze erinnert auf SZ-Anfrage an einige Vor-Ort-Termine und Gespräche mit den Skassaern. Um sie zu verbessern, sei ja jene Geschwindigkeitsanzeigetafel aufgebaut worden, und sowohl die Stadt als auch die Verkehrspolizei kontrollierten diesen Bereich entsprechend ihrer personellen Kapazitäten.
Zudem bereite man gemeinsam mit dem Straßenbaulastträger, dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr (Lasuv), die geforderte Fahrbahnmarkierung mit Hinweis auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h vor. „Es werden auch weitere bauliche Schritte geprüft! Aber eine endgültige Verbesserung ist erst mit der Realisierung der Straßenbegradigung, inklusive Gehwegbau und Mittelinsel am Ortseingang, zu erwarten“, vermutet Diana Schulze.
Mit Petition an den Landtag wenden
Ein Projekt, von dem allerdings bisher unbekannt ist, wann es realisiert werden soll. Weder zeitlich noch emotional ein Hoffnungsschimmer für die Skassaer. Vor ein paar Tagen hätten sich Doreen Hofmann und ihr Hund nur noch mit einem Sprung zur Seite retten können. Wenige Meter neben ihr sei ein zu schnell fahrender Brummi mit Anhänger ins Trudeln geraten – und habe sie fast erwischt.
„Das es irgendwann doch so kommt, darauf wollen wir hier nicht warten! Da uns in Großenhain offensichtlich niemand helfen will, werden wir uns nun mit einer Petition an den Landtag wenden“, erklärt Sven Hofmann. Just in dem Moment, als an ihm ein polnischer Lkw vorbeirauscht. Die Anzeigetafel blinkt auf: 58 Kilometer pro Stunde.