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Wenn der Notarzt fehlt

Es fällt immer schwerer, den Arztnachwuchs für den Notarzt-Dienst zu gewinnen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Sebastian Beutler

Als der Rettungshubschrauber das erste Mal auf dem Wilhelmsplatz an diesem Tag landet, eilt der Notarzt zu einem vermeintlichen Herzinfarkt. Kurze Zeit darauf hebt die Maschine wieder ab, bringt den Mann in eine Klinik. Doch nur Stunden später landet schon wieder ein Helikopter auf dem Platz. Diesmal geht’s zu einem anderen Fall am Postplatz. Solche Einsätze in Görlitz mehren sich, drei Tage später setzt schon wieder ein Hubschrauber auf der Bahnhofstraße auf.

Gewöhnlich kommen die Maschinen aus Bautzen, Dresden oder Spremberg zum Einsatz, wenn der Notarztwagen schon zu einem anderen Notfall unterwegs ist. Doch in der vergangenen Woche war das nicht der Grund. Im Bereitschaftsplan stand schlichtweg kein Notarzt. Eine Lücke, wie es sie in Görlitz kaum gibt. Doch sie nehmen zu. Das bestätigt auch Dr. Uwe Treue, einer der erfahrensten Notärzte von Görlitz. Seit Jahren fährt er die Einsätze, war Organisator der Notfall-Tage in Görlitz, bei denen in besten Zeiten bis zu 500 Experten zusammenkamen. Gerade weil es in Görlitz eine so gute und lange Tradition des ärztlichen Rettungswesens gibt, fallen die Lücken im Notarztplan nun umso stärker auf. Lange konnten die Stadt und der Kreis einem Trend widerstehen, der in anderen Gegenden von Sachsen bereits gelebte Wirklichkeit ist: Es stehen nicht mehr jeden Tag Notärzte in Bereitschaft. Die Folge: Bei einem Notfall wird der Hubschrauber losgeschickt. Der ist zwar teurer, aber gerettet werden muss in jedem Fall.

Hans Richter, im Landratsamt Görlitz für das Rettungswesen zuständig, weiß um die Notarzt-Lücken. Doch bei jährlich 65 000 Einsätzen von Rettungswagen und Krankentransporten im Landkreis sieht er das System als stabil an. Gemeinsam mit den Krankenhausleitungen versuche der Kreis, so sagt er, die Lücken in den Dienstplänen zu schließen.

In seiner Ansicht wird Richter auch von zentralen Einrichtungen des Rettungswesens in Sachsen gestützt. Markus Cording findet die Lage in Görlitz nicht besorgniserregend. Er ist der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft (Arge) Notärztliche Versorgung in Sachsen. Gebildet worden ist die Arge von den Krankenkassen im Freistaat. Ihr Auftrag: Sicherung der Notarztversorgung. Cording kennt daher die Lage im gesamten Freistaat und im Vergleich schneidet Görlitz gut ab: „Die Situation in Görlitz war immer hervorragend“, sagt er. „Aber wir kommen langsam in eine Situation der Instabilität an manchen Standorten.“ Dr. Jens Schiffner verweist auf die Urlaubs- und manche Krankenzeit als Grund für die momentanen Lücken im Bereitschaftsplan. Schiffner ist seit zweieinhalb Jahren im Landratsamt als Ärztlicher Leiter Rettungsdienst teilzeitangestellt, er fährt selbst als Notarzt und ist ansonsten im Kreiskrankenhaus Oberlausitzer Bergland in Ebersbach tätig.

Doch er kennt auch das eigentliche Problem: Es fällt immer schwerer, den Arztnachwuchs für den Notarzt-Dienst zu gewinnen. Denn er ist sachsenweit freiwillig und erfolgt in der Freizeit der Notärzte oder werktags durch die „Freistellung“ klinikangestellter Notärzte vom Klinikbetrieb. Niemand kann dazu gezwungen werden. Und die Ärzte müssen auch zuvor eine Ausbildung durchlaufen. Zu ihr zählt eine zweijährige Arbeit als Internist oder in einer Notaufnahme, der Besuch eines Notarzt-Lehrganges, 50 Einsätze im Rettungsdienst, eine Prüfung bei der Landesärztekammer. Bei einer Umfrage gaben Notärzte in Sachsen im vergangenen Jahr einen Einblick, warum sie nicht mehr zur Verfügung stehen. 76 Prozent von denjenigen, die den Dienst ablehnen, sehen keine Vereinbarkeit des Notarzt-Dienstes mit der Arbeitsbelastung in Klinik und Praxis und 43 Prozent mit der Familie. Obwohl vermutlich noch nie so viele Ärzte im Landkreis tätig waren, wie im Moment, fahren weniger Notarztschichten als früher. Markus Cording kennt dieses Phänomen. „Die Arbeitsverdichtung in den Krankenhäusern führt eben dazu, dass es immer schwieriger ist, nach dem Klinikdienst noch einen Notarztdienst dranzuhängen.“ Obwohl weniger klinische Ärzte als früher Notarztversorgung mitmachen, hält Cording eine stabile Krankenhauslandschaft für den wichtigsten Schritt, um ein stabiles Notarztsystem zu erhalten.

Die Sächsische Landesärztekammer sieht gar mittelfristig gerade in den ländlichen Regionen nur in der Zusammenführung von ärztlichem Bereitschaftsdienst, Rettungsdienst und den Notfallambulanzen der Krankenhäuser mit einer einheitlichen Rufnummer den Ausweg. Denn das System ächzt auch darunter, dass der Notarzt gerufen wird, wenn es eigentlich um einen Hausbesuch geht. 30 Prozent aller Notfälle stellten sich als Husten, Schnupfen, Heiserkeit heraus, sagt Markus Cording überspitzt. So erging es auch Uwe Treue am vergangenen Wochenende. Als er vor Ort eintraf, stellte sich der Notfall als Fieber von 38,5 Grad dar.