Von Ulrike Keller
Der Kaffee ist gekocht, alle haben sich fein angezogen. Aufmerksam sitzen etwa zwölf Rentner um die lange Tafel der Volkssolidarität herum. Ein Kränzchen? Mitnichten! Ein Teil siezt sich. Es ist ein Arbeitstreffen der Schreibenden Senioren in Radebeul. Am Platz hat jeder neben der Tasse Kaffee eine Mappe und ein Brillenetui vor sich liegen. Die 83-jährige Gisela Novy greift zu einem computergeschriebenen Text.
Er beginnt mit einem Einschulungsfoto aus dem Jahr 1937. Dann schwenkt er zu einer Kindheit, die gezeichnet ist vom Zweiten Weltkrieg, zu dem, was eine Schulfreundin am 13. Februar 1945 in Dresden erlebt: Es war Faschingsdienstag. Unbedingt sollte auch die Tante ihre schöne Verkleidung als Ungarin sehen. Die arbeitete als Chefsekretärin bei Sachsens Gauleiter Mutschmann an der Brühlschen Terrasse. Hektisch ging es zu in den Gängen. Eindringlich gab sie dem Mädchen auf, schnell heimzulaufen und der Mutti auszurichten, sie solle ein paar Sachen zusammenpacken und mit den Kindern eine Nacht außerhalb der Stadt verbringen. Warum, das dürfe sie nicht sagen.
Leute wie Gisela Novy sind es, die sich dem Radebeuler Autorenkreis angeschlossen haben: Sie schreiben aus Freude an der Literatur, an dem, was ihnen begegnet und widerfahren ist. Sie wollen sich äußern, gerade als Zeitzeugen. Zu den regelmäßigen Zusammenkünften, jeden zweiten Mittwochnachmittag, bringt jeder einen neuen Text mit. Aus der eigenen Feder.
Gisela Novy spannt in ihrer Erzählung auch den Bogen zu einem Klassentreffen im Heute. Blickt von da aus zurück und verwebt die Zeitebenen. Die Rückmeldung der Mitstreiter: „Das sind verschiedene Geschichten, die besser auseinander gehalten werden sollten.“ Die konstruktive Diskussion gehört in dieser Runde dazu. Die Auseinandersetzung mit den zum Teil noch unfertigen Texten soll Anregungen geben für eine weitere Verbesserung. „Aber es bleiben nicht alle“, erklärt Wolfgang Haase, der den Kreis leitet. „Wir sind hart, aber fair.“ Das kann nicht jeder aushalten.
Dabei freuen sich die Schreibenden Senioren jederzeit über neue Mitstreiter. Die aktuell 16 Mitglieder bewegen sich zwischen 60 und 90 Jahren, die meisten sind in den Siebzigern. Drei der Autoren gehören bereits von Anfang an dazu: seit mittlerweile 19 Jahren. „Da wird man alt dabei“, scherzt die 90-jährige Käte Neumann. „Aber wir sind keine Rollator-Gruppe“, betont Wolfgang Haase lachend. „Wir sind alle noch fit.“ Viel sei auch schon über Reisen geschrieben worden.
Oder über moderne Technik. Gisela Novy ließ für ihr intensiviertes Hobby sogar die treue elektrische Schreibmaschine stehen und schaffte sich mutigerweise ein Notebook an. Mit Drucker. „Ich arbeite mittlerweile nur noch mit Laptop“, erzählt die Radebeulerin. „Dann kann ich es gleich korrigieren.“ Das allerdings musste sie sich erst aneignen. Von den anfänglichen Tücken, allein beim An- und Ausschalten, handelt ihre Erzählung „Memoiren schreiben am Laptop“. Sie wurde in der 2013er-Ausgabe der jährlichen Textsammlung „Radebeuler Mosaik“ abgedruckt. Sowohl die Stadt Radebeul als auch die Volkssolidarität Elbtalkreis unterstützen die im Notschriften-Verlag erscheinende Anthologie finanziell. Darin veröffentlichen die Schreibenden Senioren ausgewählte Arbeiten. Als etwas Vorzeigbares, das sie gern an Angehörige, Freunde und Ärzte verschenken, etwa zu Weihnachten.
Zudem nehmen die Verfasser an Schreibwettbewerben teil. Und stellen ihre Texte in öffentlichen Lesungen vor, wie am 9. Mai um 19 Uhr im Festsaal der Hoflößnitz. Der Abend wird in guter Tradition musikalisch untermalt. Denn ein Hauptanliegen der Senioren ist und bleibt, mit dem eigenen Hobby andere zu erfreuen.
Kontakt für Interessierte: [email protected]