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Wenn Mama das Geld nach Hause bringt

Familienernährerinnen sind keine Feministinnen. Im Gegenteil: Sie werden es oft unfreiwillig.

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Von Nora Miethke

Die zwei Kinder von Steffi Barth waren oft den ganzen Tag allein, von 6 bis 20 Uhr. „Meine große Tochter musste ihren kleineren Bruder miterziehen, seit sie 14 Jahre alt war“, erzählt die Gründerin und Geschäftsführerin der Firma „Biehler Sportswear“ aus Limbach-Oberfrohna, die individuelle Teamsportbekleidung produziert. Damals, in den 1990er-Jahren, arbeitete die heute 52-Jährige als Bezirksverkaufsleiterin für den Schuhhändler Deichmann in Rostock. Ihr Arbeitspensum betrug 70 Wochenstunden. „Ich war nicht viel zu Hause. Eine andere Wahl als Arbeitslosengeld oder Augen und Ohren zu und durch, hatte ich nicht“, so Barth. Sie zog ihre Kinder nach der Scheidung 1989 allein groß. Steffi Barth war die Familienernährerin.

Das ist in Ostdeutschland Normalität. Das Forschungsprojekt „Familienernährerinnen“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des Bundesfamilienministeriums zeigt: In fast jedem vierten Mehrpersonenhaushalt (genau 24 Prozent) trägt eine Frau die finanzielle Hauptverantwortung. Das sind sechs Prozent mehr als in ganz Deutschland. Im Osten ist nicht nur das klassische Modell des männlichen Versorgers weniger stark ausgeprägt als im Westen. Weit häufiger kommt auch die Konstellation vor, dass Mann und Frau fast gleich viel Einkommen beisteuern oder die Frau sogar mehr. (siehe Grafik)

Diese Frauen sind mitnichten Feministinnen. „Nur weil beide Partner arbeiten, gibt es nicht gleich ein modernes Rollenverständnis, das auf Egalität beruht“, sagt Ute Klammer. Die Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Duisburg arbeitet am DGB-Forschungsprojekt mit und ist Kommissionsvorsitzende für den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Laut Klammer gibt es unter den Familienernährerinnen sehr unterschiedliche Typen. Die kleinste Gruppen seien hochqualifizierte Akademikerinnen, die ihre Rolle als Alleinverdienerinnen bewusst wählten. Der weit überwiegende Teil sei in diese Situation unfreiwillig geraten, weil der Mann arbeitslos wurde, seine Selbstständigkeit zu wenig abwirft oder er erwerbsunfähig ist. „Es gibt eine sehr große Gruppe von Paaren, die dieses Modell nie anstrebten. Sie sind darin unglücklich und strampeln sich verzweifelt ab, das mit niedrigen Löhnen und Teilzeitjobs hinzubekommen“, sagt Klammer. Mehr als die Hälfte der weiblichen Hauptverdienerinnen verfügten im Jahr 2007 über weniger als 1 600 Euro netto im Monat. Viele von ihnen würden nichts lieber tun als zum traditionellen Geschlechtermodell zurückzukehren, stellten die Forscherinnen in ihren Interviews fest.

Geschlechterrollen wandeln sich

Für Steffi Barth gilt das nicht. Die studierte Ingenieurin für Textil- und Ledertechnologie wäre als Hausfrau „niemals glücklich“ geworden, weiß sie genau. In ihrer neuen Partnerschaft, die seit acht Jahren hält, sei das Rollenverhältnis extrem ausgeglichen. „Das alte Muster, Frau hält dem Mann den Rücken frei, damit er Geld verdienen kann, gibt es bei uns gar nicht“, sagt die Unternehmerin. Sie würden sich jeden erdenklichen Freiraum lassen für den Job und den persönlichen Spaß. Ihr Partner hat sich als Multi-Level-Marketingberater für Gesundheitsprodukte selbstständig gemacht.

Dieses moderne Verständnis hat sich bei ihr erst im Laufe der Jahre entwickelt. In ihre Ehe ging sie noch mit der klassischen Rollenaufteilung, die sie aus ihrem Elternhaus kannte. Der Vater war Rektor einer Universität, die Mutter 20 Jahre zu Hause, um die drei Kinder zu versorgen. „Aber gerade diese alte Rollenaufteilung brachte meine Ehe zum Scheitern“, meint sie heute rückblickend. Ihr Mann sei beruflich so eingespannt gewesen, dass er sich in keiner Weise um die Familie kümmern konnte. Und sie kämpfte als Direktorin für Technik selbst mit einer enorm hohen beruflichen Belastung. „Das funktioniert definitiv nicht.“ Außer, wenn beide Seiten lernten, häusliche Dinge zu erledigen, ohne darüber zu sprechen oder zu streiten, so Barth.

Da hat sich in den letzten zwanzig Jahren viel getan. Männer in Ost wie West wollen vor allem aktive Väter sein. Doch in den seltensten Fällen – auch bei ostdeutschen Paaren – kommt es laut den Forschungsergebnissen zu einer „automatischen Egalität“ bei der Haus- und Familienarbeit. Ostdeutsche Männer bringen sich zwar mit 5,5 Stunden pro Tag mehr ein bei der Kinderbetreuung als ihre westlichen Geschlechtsgenossen mit 2,9 Stunden pro Tag. Doch bei der lästigen Hausarbeit haben sie keinen großen Vorsprung. Der Ost-Mann hilft im Durchschnitt 1,7 Stunden am Tag bei Putzen, Kochen und Waschen, der West-Mann 1,3 Stunden. In Beziehungen, in denen Frauen die Familienernährerinnen sind, sieht es nicht viel anders aus.

Ute Klammer verwundert dies nicht. „Viele dieser Männer wollen nicht bewusst ein neues Modell leben. Aus der Position einer verunsicherten Männlichkeit – nicht mehr als Ernährer der Familie agieren zu können oder zu wenig zu verdienen – entwickelt sich kein neues Rollenverständnis, keine neue Stärke, betont die Politikwissenschaftlerin. Hinzu kommt noch die Verunsicherung, wenn Männer von ihrer Partnerin finanziell mitversorgt werden. Viele entwickeln ein schlechtes Gewissen, wenn die Ehefrau im Restaurant die Rechnung bezahlt.

Viel Geld macht nicht attraktiv

Steffi Barth nimmt Rücksicht darauf, dass ihr Partner weniger Geld als sie in die private Kasse beisteuern kann. „Ich drücke keine teuren Wünsche durch, die ihn in finanzielle Nöte bringen.“ Wenn sie Lust hat auf einen Wochenend-Urlaubstrip, bucht und bezahlt sie ihn. Ihr Partner habe damit keine Probleme. „Wir sehen das nicht so eng, es ist eine moderne Beziehung.“ Tatsächlich macht ein hoher Verdienst Männer nicht attraktiv. Eine Umfrage der Berliner Soziologin Nina Baur unter 709 Männern und Frauen aller Generationen zeigt: nur jeder dritten Frau ist es wichtig, dass ihr Mann viel verdient, nur jede sechste wünscht sich teure Geschenke und nur jeden zehnten bedeutet es etwas, wenn der Mann eine teures Auto fährt.

Für Familienernährerin Steffi Barth ist ein Mann interessant, wenn sie mit ihm „das bisschen Freizeit gleichgesinnt verbringen kann.“ Wenn sie mit ihm auf der gleichen Welle schwimmt und sich auch mal anschweigen kann, weil das Ausdruck tiefen Vertrauens ist.