Wenn Pilze die Elbe reinigen

Die Gefahr ist unsichtbar. Die Idylle trügt. Die Elbe schlängelt sich durch die Landschaft, vorbei an Wiesen und Feldern, durch Dörfer und Städte. Mal fahren Fahrradfahrer an ihrem Ufer entlang, mal genießen Spaziergänger die Aussicht auf den Fluss. Was sie alle nicht sehen: Rückstände von Medikamenten. Auch die schwimmen mit.
Immer mehr Arzneimittel belasten Flüsse, Seen oder Teiche. Über Ausscheidungen ihrer Konsumenten gelangen sie ins Abwasser. Oder wenn nicht mehr gebrauchte Medikamente einfach in der Toilette entsorgt werden. Hinzu kommen die Arzneien, die Tiere erhalten. Mit der Gülle landen sie erst auf den Feldern und danach direkt im Grundwasser oder in Gewässern.
Das Problem wird größer. Seit den 1990er-Jahren hat sich der Medikamentenverbrauch in Deutschland vervierfacht. Allein 2017 wurden knapp 30.000 Tonnen ausgegeben. Bis zum Jahr 2045 könnte der Medikamentenkonsum in Deutschland um bis zu 70 Prozent steigen, zeigen aktuelle Hochrechnungen. Die Rückstände müssen dringend wieder raus aus dem Wasser. Dafür könnten künftig auch Pilze sorgen.
Die Lösung des Problems ist winzig. Mit bloßem Auge gar nicht zu erkennen. Es sind Enzyme. Diese Eiweiße werden in den Zellen von Lebewesen gebildet und sind kleinen Steuereinheiten ähnlich. Jedes Enzym löst eine bestimmte chemische Reaktion in der Zelle aus und kann zum Beispiel Substanzen entfernen.
Anett Werner und ihre Kollegen vom Institut für Naturstofftechnik der TU Dresden machen sich dies zunutze. „Wie bei Schlüssel und Schloss findet das Enzym mit dem Stoff zusammen, mit dem es reagieren kann“, erklärt die Leiterin der Arbeitsgruppe Enzymtechnik. Wahre Kraftpakete in Sachen Enzyme sind Pilze. Sie besitzen eine außergewöhnliche Bandbreite dieser Eiweiße. Die Wissenschaftler sehen darin ein großes Potenzial, das sich nutzen lässt – auch beim Entfernen von Arzneimittelrückständen.

Kläranlagen schaffen einiges, aber längst nicht alles. Moderne Anlagen verwenden heute drei Reinigungsstufen. Das Abwasser wird nacheinander durch mechanische, biologische und chemische Verfahren gesäubert. Doch trotzdem bleiben bestimmte, für die Umwelt schädliche Bestandteile auch danach noch im Wasser, das so in die Gewässer abfließt. Anett Werner hat innerhalb ihrer Forschungsarbeit zu den Enzymen eine Probe am Abfluss einer Kläranlage entnommen.
„Das war nur eine Momentaufnahme, für genauere Zahlen müsste natürlich eine Messung über einen längeren Zeitraum vorgenommen werden“, schränkt sie ein. Doch die ermittelten Werte geben ein erstes Bild. Über 500 Gramm des Schmerzmittels Diclofenac, insgesamt 4.500 Gramm des Blutdruckmittels Valsartan und 2.250 Gramm des Wirkstoffs Tramadol, der vor allem bei starken Schmerzen eingesetzt wird, fließen mit dem Wasser jeden Tag aus der Kläranlage ins Gewässer.
In Deutschland wird deshalb seit einiger Zeit auch die flächendeckende Einführung einer vierten Reinigungsstufe diskutiert. Durch neue Verfahren könnten dadurch Medikamentenreste, aber auch Hormone, Röntgenkontrastmittel oder Mikroplastik aus dem Wasser entfernt werden.
Unterstützt von der Bundesanstalt für Gewässerkunde forschen die TU-Wissenschaftler genau für diese Idee an einem neuen Verfahren. Zum Einsatz sollen dafür Kugeln kommen. Eine von ihnen ist noch nicht einmal vier Millimeter groß. Gemeinsam mit dem Dresdner Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (Ifam) hat die Gruppe um Anett Werner sie entwickelt.

Die Fraunhofer-Kollegen umhüllen dafür eine Styroporkugel mit Metallspänen. Unter großer Hitzeeinwirkung verschmelzen die Metallpartikel miteinander, das Styropor verbrennt. Übrig bleibt eine Hohlkugel. „Wir haben bei unserer Arbeit erreicht, dass sich die Pilzenzyme an genau diesen Kugeln anlagern“, beschreibt Anett Werner. Ein Cocktail aus verschiedenen Enzymen könnte so in den Filtern der Kläranlagen zum Einsatz kommen.
„Das Faszinierende an den Pilzenzymen ist, dass sie sich wirklich genau die Substanz aus dem Wasser suchen, mit der sie reagieren können und die sie abbauen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Damit das klappt, müssten der Salzgehalt, die Temperatur und der pH-Wert im Wasser allerdings stimmen. Bedingungen, wie sie in einer Kläranlage kein Problem sind. Einzig Schwermetalle im Wasser können die Enzyme bei ihrer Arbeit ausbremsen.
Neben den Kugeln experimentiert Werners Gruppe auch mit Enzym-Membranen und sogar Pilzenzymen, die auf Luffaschwämme aufgebracht werden können. Auch der Einsatz kompletter Pilze wird getestet. Diese könnten zum Beispiel in Pflanzenkläranlagen Anwendung finden. „Auch da konnten wir schon Positives beobachten.“ Mit 50 Stämmen verschiedener holzzerstörender- und Speisepilze experimentieren die Forscher und züchten sie, bis das Myzel, die Pilzfäden, ausgebildet werden. Insgesamt 32.000 dieser Pilzarten gibt es – da bleibt noch genug Forschungsarbeit.
Nun steht aber erst einmal die Suche nach geeigneten Industriepartnern an. Parallel zum vom Bundesforschungsministerium mit 350.000 Euro unterstützten Projekt Xenokat soll jetzt eine Pilotanlage mit den Pilzenzym-Filtern entstehen. Am 6. März hat Anett Werner deshalb interessierte Firmen eingeladen. Sie hofft, dass das Interesse groß ist. „Wenn wir schnell jemanden finden, mit dem wir die Pilotanlage umsetzen, könnte sie schon in fünf Jahren in einer Kläranlage erprobt werden.“ Eine kleinere Anlage, die das Wasser einer Industriefabrik reinigt, wäre schon in drei Jahren zu realisieren. Im Rahmen der Tests soll auch ergründet werden, wie lang ein Filter hält. Momentan gehen die Forscher davon aus, dass die Enzyme bis zu acht Wochen auf den Kugeln aktiv sind. Danach kann die Schicht erneuert und die Kugeln somit auch wiederverwendet werden. Immerhin bis zu siebenmal.

Die Pilzenzyme sind nicht die alleinige Lösung gegen Mikroschadstoffe im Wasser, sagt Anett Werner. „Aber sie könnten einen Beitrag leisten, das Problem in den Griff zu kriegen.“ Immerhin 2 000 neue chemische Substanzen gelangen jedes Jahr in die Umwelt. Über Pflanzen, Fleisch und Fisch gelangen sie irgendwann auch in unsere Körper. „Wir müssen uns der Sache stellen“, appelliert die Wissenschaftlerin.
Transferworkshop Xenokat: am 6. März, 10 bis 17 Uhr, TU-Institut für Naturstofftechnik, Bergstraße 120; Anmeldung unter [email protected]; die Teilnahme ist kostenlos