Wenn sich Kinder trennen - und Eltern leiden

Von Christina Bergengruen
Christiane (47) freut sich für ihren Sohn Tim: Der 17-Jährige ist in Julia verliebt. Schon bald geht das junge Mädchen bei Tims Familie ein und aus. Für die Mutter wird die Freundin des Sohnes im Laufe der Zeit zum Tochter-Ersatz: Christiane und Julia gehen zusammen mit dem Hund Gassi, sie schnippeln in der Küche, sie reden über Gott und die Welt – drei Jahre lang.
Dann das Drama: Tim geht zum Studieren in eine andere Stadt. Immer öfter hat er keine Zeit für Julia. Endlich gibt er zu, dass er eine andere Freundin hat und trennt sich. Julia ist von Liebeskummer geschüttelt. Aber auch Mutter Christiane erfasst ein heftiger Schmerz. Sie hat großes Mitleid mit Julia und macht ihrem Sohn in einer ersten spontanen Reaktion Vorwürfe: Wie konnte Tim der armen jungen Frau das antun? Nie wieder wird er so eine tolle Freundin bekommen! Warum hat er nie mit ihr über Probleme gesprochen?
Viele Eltern berichten von ähnlichen Erfahrungen, wenn Beziehungen ihrer großen Kinder zerbrechen. Ein möglicher Grund liegt in dem heute vergleichsweise engen Verhältnis von Eltern zu ihren jugendlichen oder erwachsenen Kindern. „Insofern lernt man auch die Partner der eigenen Kinder früher und besser kennen, öffnet sich ihnen gegenüber auch mehr, als das bei früheren Elterngenerationen der Fall war“, sagt Ulric Ritzer-Sachs von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung.
Keine Partei ergreifen
Eine gewisse Trauer nach einer solchen Trennung sei normal. „Ich kann als Elternteil ja nicht abstellen, dass mir die Trennung leid tut. Das darf ich auch ausdrücken. Aber den eigenen Verlustschmerz muss ich letztlich mit mir selbst ausmachen und sollte weder mein Kind noch den ehemaligen Partner damit belasten“, meint der Erziehungsberater. Eltern sollten sich möglichst nicht einmischen, indem sie warnen, Partei ergreifen oder Vorhaltungen machen. „Die Rolle von Eltern sollte es vielmehr sein, dem Kind Unterstützung und Gesprächsbereitschaft anzubieten und ihm ein guter Zuhörer zu sein. Nur wenn das Kind es ausdrücklich wissen will, kann man ihm auch mal schildern, wie man selbst die Situation erlebt hat.“
Viele Eltern sind außerdem verunsichert, wie sie sich dem Expartner des Kindes gegenüber verhalten sollen. Den Kontakt abbrechen? Ihm oder ihr sagen, wie leid es ihnen tut? Die Trennung ignorieren? Und wie sollen sie reagieren, wenn der oder die Verflossene sich bei ihnen ausheulen oder sie versucht auszuhorchen?
Wenn der oder die „Ex“ einen in die Trennungsthematik verwickeln möchte, sei es eine gute Idee, sich weitgehend herauszuhalten, empfiehlt Ulric Ritzer-Sachs: „Die Loyalität sollte immer zuerst dem eigenen Kind gelten. Man kann sagen, dass einem die Trennung leidtut. Aber man sollte es freundlich, aber klar ablehnen, Partei zu ergreifen“, meint der Sozialpädagoge.
Die Wünsche der Kinder achten
Die Frage, ob man Kontakt halten darf, sollte man mit seinem Kind besprechen. Besonders, wenn Kinder eine Kontaktpause verabredet haben, ist es besser, wenn auch die Eltern Abstand halten. Dann wäre es aber zum Beispiel immer noch in Ordnung, zum Geburtstag zu gratulieren.
Nicht immer entscheiden Kinder, so zu leben, wie ihre Eltern sich das wünschen. Das schließt die Wahl von Freunden, die Entscheidung für einen bestimmten Ausbildungsweg, aber auch die Partnerwahl ein. Es ist wichtig, dass die Eltern das beherzigen, was Psychologen „Ambivalenztoleranz“, nennen. Man versteht darunter die Gelassenheit, wenn Kinder einen anderen Weg einschlagen.
„Eltern müssen akzeptieren, dass die Partnerwahl der Kinder nicht ihre Sache ist“, sagt Ulric Ritzer-Sachs. „Und selbst wenn Eltern der Meinung sind, das eigene Kind hätte Fehler in der Beziehung oder bei der Trennung gemacht, oder Ideen haben, wie sich das Kind geschickter hätte verhalten können, so ist das nicht ihre Sache. Jeder macht Fehler, auch in seiner Beziehung. Als Eltern würde man es ja auch als Einmischung empfinden, wenn ein erwachsenes Kind dem Vater sagt, es solle der Mutter mal häufiger Blumen mitbringen.“
Eltern wissen nicht alles
Hüten sollte man sich vor einem ins Erwachsenenalter hinein verlängerten Helikopterverhalten. Eine übertriebene Fürsorge und Einmischung setzt sich fort und macht vor Beziehungsfragen der erwachsenen Kinder nicht halt. Bei einer Trennung geht es nicht um das Bedürfnis der Eltern.
Eltern können nicht diejenigen sein, die wissen, mit welchem Partner ein Kind zusammen sein, oder sogar den Rest seines Lebens verbringen möchte. „Auch wenn der Kontakt zum Kind noch so gut ist, als Eltern hat man immer nur einen gewissen Ausschnitt gesehen und kann niemals die Beziehung als Ganzes beurteilen. Zumal man als Elternteil ja immer auch selbst darin verstrickt ist und nie eine neutrale Beraterrolle einnehmen kann.“ Es ist wichtig, den verflossenen Partner seines Kindes wieder loszulassen – und mit ihm die eigenen Vorstellungen von der Beziehung des Kindes.
Das wurde auch Christiane nach der ersten spontanen Reaktion klar. Sie hielt sich fortan damit zurück, ihren Abschiedsschmerz und ihre Kritik an Tims Trennung ihrem Sohn gegenüber allzu deutlich zu zeigen. Wenn Julia sich bei ihr ausweinen wollte, blieb sie freundlich und mitfühlend, aber vernünftig und klar in der Akzeptanz der Entscheidung ihres Sohnes. Ihre starken Gefühle von Mitleid, Trauer und Verlust behielt sie den beiden jungen Leuten gegenüber für sich und ließ diese lieber bei der besten Freundin heraus.