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Wenn wir Griechen wären ...

Was müsste in Deutschland passieren, wenn die von Athen verlangten Reformen annähernd ähnlich durchgesetzt würden? Ein Gedankenspiel.

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© marcus gottfried/tooonpool.com

Von Peter Heimann, Berlin

Klar: Die Sache ist heikel. Man kann Deutschland und Griechenland nicht einfach mal so gleichsetzen. Schließlich hat sich Griechenland seine Schulden, seine ökonomischen Schwierigkeiten, seine unzureichende Verwaltung hauptsächlich selbst eingebrockt. Und dass es Deutschland wirtschaftlich gerade ganz gut geht, hat auch damit zu tun, wie hierzulande gewirtschaftet und verwaltet wird.

Doch so, wie nicht jeder in Deutschland – aus welchen Gründen auch immer – etwas vom Konjunkturkuchen abbekommt, ist es auch bei den Griechen: Nicht alle im Süden haben von der ziemlich eingeschränkten Steuermoral, von hohen Ausgaben für zu viele Staatsdiener oder teilweise auch bemerkenswerten Frührenten profitiert. Und dennoch hilft es, das Ausmaß der Veränderungen zu verstehen, mit denen Europa den Griechen auf den rechten Weg helfen will. Man versteht besser, wie schmerzhaft die Entscheidungen sind, wenn man sie – in einer Art Gedankenspiel – auf die deutsche Wirklichkeit überträgt:

Für ältere Ostdeutsche mit Treuhand-Erfahrung ist es gar nicht schwer, sich in den Privatisierungsfonds hineinzudenken. Der soll Vermögenswerte des griechischen Staatseigentums durch „Privatisierungen und andere Wege“ monetarisieren, also zu Geld machen. 50 Milliarden Euro soll er bringen – ein Viertel des dortigen Bruttoinlandsprodukts. Für Deutschland wären das unvorstellbare 1 000 Milliarden Euro. Die Bahn wäre weg, die Staatsanteile am Frankfurter, am Münchner und am Leipziger Flughafen auch – der Berliner würde wohl nicht viel bringen. Natürlich käme auch der Hamburger Hafen, mangels Inseln Schlösser und Gärten, Museen samt Inhalt oder die Stadtwerke überall im Land in Betracht. Die Einnahmen würden zwar hier erzielt, aber Brüssel hielte die Hand drauf.

Nur nebenbei: Die Treuhandanstalt Ost bezifferte den Wert des „ganzen Schlamassels“, also des Staatsvermögens in der DDR, auf 600 Milliarden D-Mark. Am Ende der Privatisierung stand dennoch ein Minus von mehr als 200 Milliarden Mark. Die im Treuhandgesetz und im Einigungsvertrag angekündigten verbrieften Anteilsrechte für die Sparer am volkseigenen Vermögen, die ihnen später eingeräumt werden sollten, waren futsch. Anfangs war noch von 16 000 D-Mark pro Person die Rede.

Eine Mehrwertsteuerreform wird auch in Deutschland seit Jahren angekündigt, aber nie gemacht. Jetzt müssten – ohne Debatte – auf fast alle Produkte 23 Prozent erhoben werden. Die Hotelsteuer wäre vorbei. Nur für Lebensmittel und Bücher dürfte noch der reduzierte Satz gelten – aber nicht mehr sieben, sondern 13 Prozent.

Rezeptfreie Medikamente dürften dann auch Supermärkte verkaufen – natürlich auch jeden Sonntag. Taxifahrer müssten mit der Konkurrenz von Uber leben. Es würde breit dereguliert.

Entlassungen oder Lohnkürzungen wären wahrscheinlich auf breiter Front unvermeidbar. Geld für Arbeitssuchende, kurz Hartz IV, gäbe es ebenso wenig wie Sozialhilfe. Aber man hat ja auch hier Rentner in der Familie. Gut: die gehen schon immer später in den Ruhestand. Aber wenigstens im Osten könnte man die Renten noch um den Teil kürzen, der im Westen bezahlt wird: fast die Hälfte. Einwände? Abgelehnt. Es ist ja nur ein Gedankenspiel.