Ulf Großmann war so vieles in den drei Jahrzehnten seiner öffentlichen Karriere: Bürgermeister für Kultur, auch für Soziales und Bildung, Vorsitzender des Görlitzer Fremdenverkehrsvereins, Vorsitzender des Görlitzer Naturschutz-Tierparks, Aufsichtsratschef des Görlitzer Klinikums, Vorstandsmitglied im Förderzentrum Handwerk und Denkmalpflege, Dozent und Referent, Präsident der Kulturstiftung des Freistaates.
Aber im Grunde blieb der studierte Musikpädagoge ein Leben lang der Kultur und der Chormusik verschrieben. Vielleicht ist es da tröstlich, wenn es Trost beim Tod mit 62 Jahren überhaupt gibt, dass er noch einmal Anfang Dezember ein großes Adventskonzert für eine Görlitzer Bank moderieren durfte. Wer nichts von seiner schweren Krankheit wusste, der erlebte einen Moderator Ulf Großmann, wie man ihn kannte. Und wer von seiner Krankheit wusste, der staunte, wie er damit umging. Wie tief berührt er von diesem Konzert selbst war, spürte man, als er sich nach dem Konzert lange mit dem Leiter der Europa Chor Akademie, Joshard Daus, in den Armen lag.
Energie und Anregungen schöpfte er aus seinen Aufgaben
Ulf Großmann hörte auch als Bürgermeister oder Präsident der Kulturstiftung nie auf, selbst Musik zu machen. Das war schon so beim großen Chortreffen mit Baden-Württemberg noch in der Stadthalle, später beim Chortreffen in der Peterskirche und natürlich mit seinem Singekreis Markersdorf. Er sang mit Tausenden Besuchern auf dem Marienplatz und dem Obermarkt, zum Schlesischen Tippelmarkt und zur Kulturhauptstadtbewerbung von Görlitz - und immer war da dieser Eindruck: Im Singen öffnet sich eine andere Welt für Ulf Großmann, aber auch für all jene, die dabei waren.
Vor allem aber beschäftigte über die Jahre viele die Frage: Wie schafft er das alles? Woher nimmt er die Zeit für all seine Verpflichtungen und die vielen Hobbys? Für seine Kinderwagen-Sammlung, die er an verschiedenen Stellen in der Stadt auch ausstellte. Er begleitete seine Frau zu ihrem mehrwöchigen Ärzte-Einsatz nach Afrika.
Er nahm regen Anteil an der Entwicklung seiner Kinder, förderte deren Pläne und Vorhaben. Großmann erweckte immer den Eindruck, dass es ihm nie zu viel wurde, dass die eine Aufgabe vom anderen Amt profitierte und umgekehrt. Ja, dass es gar nicht anders sein konnte. Er prägte damit auch das Bild eines Bürgermeisters von Görlitz nach dem friedlichen Umbruch von 1990, an dem jeder andere sich messen lassen muss. Und er zog aus all den Terminen und Gesprächen auch immer wieder neue Energie und Anregungen, die er wiederum weitergab.
Sein Erbe für Görlitz und Sachsen ist reich
Und was er im Laufe der Jahre schuf, bewahrte und weiterentwickelte, das bleibt: eine Kulturlandschaft in Görlitz, die in der Oberlausitz seinesgleichen sucht. Eine Bewerbung um Europas Kulturhauptstadt, die eigentlich eine beispiellose Marketingkampagne war und den Bekanntheitsgrad von Görlitz enorm steigerte. Gelungene, aber nicht immer einfache Strukturveränderungen bei Einrichtungen in Görlitz, die den Einwohnern am Herzen liegen, beispielsweise der Tierpark oder die Musikschule. Eine Bildungslandschaft in Görlitz, die mit der Zeit geht. Und vielleicht als eine Art Vermächtnis, seine ständige Aufforderung, die Verständigung mit Zgorzelec zu suchen.
Noch wenige Wochen vor seinem Tod empfahl er allen, die er traf, die Rede des früheren Breslauer Oberbürgermeisters Dutkiewicz im Bundestag am Volkstrauertag zum Nachhören.
In diesem Punkt konnte er ganz grundsätzlich werden. "Mir war immer klar, dass die Annäherung von Görlitz und Zgorzelec das Projekt von zwei Generationen sein wird", erklärte er in der SZ. "Wir sind sicher noch nicht am Ziel aller Wünsche. Dafür wird vielleicht noch die Zeit einer Generation benötigt, aber wir nähern uns einem normalen Zustand an."
Und zugleich berichtete er launige Geschichten vom Zusammenleben. Wie die: Eines Sonntags gegen halb sechs früh rief ihn der Zgorzelecer Kulturbürgermeister an und bat ihn um Hilfe. In Zgorzelec war ein wichtiges Wasserrohr gebrochen und die Versorgung der Stadt gefährdet. Drei Stunden später standen Großmann mit dem THW, Ordnungsbürgermeister Holthaus und drei Wasserwagen an der Grenze.
Auch dafür erhielt er vor fast zehn Jahren das Offizierskreuz des Verdienstordens der Republik Polen, eine Variante des höchsten polnischen Ordens. Darauf war er verständlicherweise stolz, und die Trauerbekundungen aus Zgorzelec in diesen Tagen sind deswegen auch besonders zahlreich und herzergreifend.
Natürlich bestand Großmanns öffentliches Leben nicht nur aus Erfolgen. 1998 schien seine Wahl zum Oberbürgermeister nur eine Formsache, doch dann verlor er überraschend gegen Mitbewerber Rolf Karbaum. Mit dessen Nachfolger, Joachim Paulick, fand Großmann - obwohl als CDU-Mitglieder in derselben Partei - nie einen gemeinsamen Faden. Schließlich musste er sein Bürgermeisteramt für Michael Wieler und den gewachsenen Ansprüchen der Bürger für Görlitz aufgeben. Doch Großmann haderte nicht mit dem Schicksal, sondern fand neue Aufgaben und Erfüllung.
Auch im Tod soll es "Hoffnung" geben
Warum? Das fragen sich dieser Tage viele, als sie vom Tod Großmanns hörten. Kati Kasper, die ein paar Jahre die Görlitzer Musikschule leitete und heute das Dresdner Schütz-Konservatorium führte, schrieb dieses Wort unter die Todesnachricht im sozialen Netzwerk Facebook. Warum, das fragen sich auch viele seiner Schüler von der früheren 14. Oberschule, dem heutigen Gymnasium Augustum, dem er in vielerlei Art verbunden blieb, und dessen Ensembles.
Ulf Großmann hat den Tod in seiner Familie schmerzlich selbst erfahren müssen. Vor fünf Jahren starb seine Tochter Christiane bei einem Verkehrsunfall. Auch damals stand die Frage des Warums? Er, seine Frau und die weiteren fünf Kinder entschieden sich, dabei nicht stehenzubleiben, nicht irgendeinen Sinn im Tod zu suchen, sondern eine Stiftung im Gedenken an sie zu gründen.
Mit ihr werden Projekte unterstützt, die ihrer Tochter am Herzen lagen: die Unterstützung Schwächerer, die Liebe zu Kindern, Kunst und Kultur, der Erhalt der Umwelt, die Liebe zur Natur. Doch sind das eben auch Anliegen, die Ulf Großmann Zeit seines Lebens immer wieder antrieb. Es ist daher eine erste Antwort auf das Warum, dass seine Familie zu einem großen Erinnerungskonzert im März in die Görlitzer Lutherkirche einlädt. Spenden und Erlöse sollen der Christiane-Großmann-Stiftung "Sonnenstrahl" zugute kommen. Unter dem Kennwort "Hoffnung".