Wer werden wir nach der Pandemie sein?

Von Franzobel
Corona ist wie Liebeskummer, verunsichert zutiefst. Und was macht die Krise mit den Menschen? Kann es eine Nach-Corona-Zeit geben, in der alles so wie vorher ist? Oder werden wir nach dieser schmerzhaften Erfahrung Menschen als Gefahr sehen, als potenzielle Virenschleudern, deren Nähe man vorsichtshalber meidet?
Fangen wir mit einem James-Bond-Setting an: Die geheime Weltregierung beschließt, dass es lukrativ wäre, wieder einmal Krieg zu führen, aber einen modernen mit einem unsichtbaren Gegner. Nebenbei lässt sich testen, wie weit man gehen kann mit Manipulation und Überwachung. Klar, die Aushebelung demokratischer Grundfeste ist nur mit Angst möglich. Angst vor einer unsichtbaren, heimtückischen Gefahr, die erst per Quantensprung in die Gesellschaft gelangt, sich später aber bequem unliebsamen Staaten in die keimfreien Laborschuhe schieben lässt.
Der Beginn der Pandemie ist mir vorgekommen, als würden dunkle Mächte ausprobieren, was alles durchzusetzen ist. Eigentlich eh alles. Grenzen werden geschlossen, Menschen unter Hausarrest gestellt, der Verkehr gestoppt und Voraussetzungen für eine totale Überwachung geschaffen. Nein, ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien, aber ich kenne welche – in instabilen Zeiten ist der Mensch für so etwas empfänglich –, doch selbst die gehen mit Masken in den Supermarkt. In einer Zeit großer Verunsicherung traut sich keiner, gegen Regeln zu verstoßen. Weil man nicht wissen kann, wie gefährlich der Virus ist, hält man sich daran.
Alles notwendig, um Leben zu retten, sagen die einen. Eine Ungeheuerlichkeit, monieren die anderen. Beide im Kriegssprech. Da gibt es täglich Opferzahlen und die erlösende Wunderwaffe (Impfung), von Reparationsleistungen ist die Rede, von Schutzräumen, Kollateralschäden, Wiederaufbau usw. Sogar die Miliz wurde einberufen. Wozu? Um die Viren einzeln zu erschlagen?
Obwohl man von der Krankheit viel zu wenig weiß, werden Entscheidungen von ungeheurer Tragweite getroffen. Krieg? Nein, aber eine Ausnahmesituation, die die Gesellschaft zweiteilt. Das Verwirrende dabei ist, dass es keine eindeutig Guten und Bösen gibt. Die einen reden von Millionen Toten, die sonst drohen. Den anderen sind die Maßnahmen viel zu drastisch. Die Teilung hat mit klassischer Parteipolitik wenig zu tun. Neoliberale sind gegen die Regierungsverordnungen und Oppositionelle mit alten Eltern dafür. Und was ist aus den rechten Populisten geworden? Denen fehlen in einer Zeit tatsächlicher Bedrohung die Inhalte. Versuche, Asylanten mit dem Virus in Verbindung zu bringen, gibt es zwar, sind aber lächerlich.
Welcher Gruppe man sich zugehörig fühlt, hängt von der persönlichen Situation ab. Leute, die durch den Lockdown ihre Existenz vernichtet sehen, plädieren naturgemäß für Öffnung. Sofort! Menschen mit Nähe zur Risikogruppe wollen keinen Normalbetrieb, bis es eine Impfung gibt. Beide Gruppen wähnen sich im Recht, werfen der anderen vor, Anhänger einer kruden Verschwörungstheorie und überhaupt blöd wie Fischfutter zu sein.

Nun hat die österreichische Regierung ihre Sache gut gemacht. Durch entschiedene Maßnahmen wurde ein Ausbreiten der Pandemie verhindert. Jetzt spricht sie von einem Monat der Entscheidung, weiß aber selbst nicht so recht, wofür, und wie sie aus diesem Spagat wieder auf die Beine kommen soll. Wenn man ihr etwas vorwerfen kann, dann fehlende Transparenz. Wie die täglichen Infektions-Zahlen müsste es auch Informationen über die Grundrechte geben. Was wann warum wie eingeschränkt oder gelockert wird.
Neben der Pandemie muss das wirtschaftliche Desaster bekämpft werden. Aber wie? Irgendwo sollen die versprochenen Milliarden ja herkommen, und ein Abführmittel für den Banknotendrucker führt unweigerlich zu einem Haufen namens Inflation. Bleiben Zusagen leere Versprechungen? Oder verhindert eine perfide Bürokratie die Auszahlung? Ich habe mir angesehen, was man in Oberösterreich als Künstler einreichen muss, um drei Monate lang 900 Euro und ein paar Zerquetschte zu bekommen. Gerade halt, dass nicht Darmspiegelungsbefund und Ariernachweis verlangt werden. Aber wahrscheinlich unterstützen die eh nur Künstler, die entweder Odin heißen oder sich nackt ausziehen.
Gewinner und Verlierer – die Demokratie gehört zu Letzteren. Unlängst habe ich die Quarantänezeit mit einer ultraorthodoxen Religion verglichen – sie regiert absolutistisch, ist humorlos und lustfeindlich, lässt keine Kritik zu und verdammt Andersgläubige. Sofort bekam ich um die Ohren gehauen, ich würde abstrusen Verschwörungstheoretikern und Vereinigungen wie Widerstand 2020 das Wort reden. Tatsächlich war ich nur baff, wie schnell alle in eine Kriegshysterie verfallen sind und Notstandsverordnungen gutgeheißen haben, die uns aller Grundrechte berauben. Wie bei einem tatsächlichen Krieg wird der Feind gefährlich gemacht und gibt es Kriegspropaganda, also schockierende Bilder von der Covid-19-Front. Plötzlich wird von „Sondertransporten“ gesprochen, womit Züge mit rumänischen Pflegekräften und Erntehelfern gemeint sind. Schamlos wird diskutiert, wer im Ernstfall ein Recht aufs Überleben (Beatmungsgerät) hat und wer nicht. Alte und Leute mit Vorerkrankungen werden stigmatisiert. Und da die Gemeinschaft der braven Bürger nichts zu verbergen hat, kann sie auch unbekümmert einer Tracing-App zustimmen. Durch die Digitalisierung wird alles überwachbar, gibt es kein Gemauschel mehr.
Wie uns das verändert? Werden wir uns wie Kriegstraumatisierte verhalten? Oder wie Kameradschaftsbünde? Uns wie Opfer oder Täter fühlen? Jedenfalls werden wir Wunden haben.
Aber gibt es Alternativen? Sind die Befürworter der Öffnung besser? Die reden von Anschlägen auf die Grundrechte und Schutzmaskenterror, von Wirtschaftszweigen, die ums Überleben kämpfen oder gleich geopfert werden. Leute, die um ihre Gesundheit besorgt sind, werden als Blockwarte verunglimpft. Und der Begriff Herdenimmunität ist per se bedenklich, weil biologistisch. Jedenfalls sind die Horrorszenarien nicht weniger dramatisch: Massenarbeitslosigkeit und Bürgerkrieg.
Angst ist ein gutes Instrument. Sollen wir uns darüber freuen, dass die Zahlen viel niedriger sind als prognostiziert? Selbst der Peak hat sich unter Wert geschlagen gegeben. Oder müssen wir einer Regierung misstrauen, die sich feiern lässt, den Teufel weit grässlicher an die Wand gemalt zu haben, als er tatsächlich ist? Die Volksvertretung hat den Virus gut bekämpft, ob sie sich auch bewährt, wenn es nach der Corona-Herrschaft darum geht, die Beschneidung der Grundrechte wieder rückgängig zu machen und für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, wird man sehen. Ausnahmeregelungen wie die für ausländische Jagdpächter stimmen mich da skeptisch. Es braucht keine Verschwörungstheorie und schon gar keine geheime Weltregierung, um Kriegstreiber, Entmündigung, geistige Kapitulation und die Aufgabe mühsam erworbener Moral-Territorien zu sehen. Diesmal wird kein James Bond kommen, der die Welt rettet. Wir müssen mit diesem Virus selbst fertig werden und aufpassen, dass uns dabei nicht alle Werte zerbröseln. Dass beim Virus niemand Spaß versteht, es quasi einen Lockdown für Humor und Ironie gibt, ist leider virulent. Humor gibt es schon, aber der ist fad wie Socken, weil die Leute keinen Input haben. Die Weltsicht ist eingeschränkt, alles dreht sich nur noch um den Virus, das Virus, die Virüsser. Wie uns das verändert? Man wird sehen. Der Mensch ist ein Gesellschaftstier, die neue Normalität fördert Vereinsamung und Entfremdung. Händeschütteln, Bussi-Bussi? Geht nicht mehr! Jetzt heißt es Abstand halten.
Dabei hat Corona auch gute Seiten: Der Himmel wird nicht mehr von Steppnähten aus Kondensationsstreifen zerteilt, die Luftqualität hat sich nach oben katapultiert und Tiere erleben eine Reconquista. In Mailand hat man Wildschweine gesehen, am Bosporus Delphine und im Canale Grande, aber nur sehr angeblich, Krokodile. Die Krise fördert den Zusammenhalt, man ernährt sich gesünder und hat Gelegenheit zur Reflexion. Vieles, was vor Monaten undenkbar schien, ist jetzt selbstverständlich: Homeoffice, E-Learning, Rezepte per Telefon, weniger Verkehr, vielleicht sogar ein bedingungsloses Grundeinkommen. Vieles wird infrage gestellt, einiges fällt weg. Kinder erfahren eine neue Möglichkeit des Lebens. Wären da nicht die schrecklichen Bilder von Lagerhallen mit Intensivbetten, Menschen an Beatmungsgeräten und Eishallen voller Leichen, wir müssten dem Virus dankbar sein für diesen gesellschaftlichen Reset.
Aber lernen wir daraus? Jetzt, da alles reduziert ist, besteht die Chance, wieder zu spüren. Der erste Kleiderkauf nach der Krise, das erste Bier in einem Biergarten. Gut, so mancher Arbeitslose wird sich jetzt denken: Spüren? Ich spüre genug, du Trottel. Die Krise hat so viele Facetten, so viele Einzelschicksale, dass sie sich nur persönlich fassen lässt. Singles und Tinderhopper, die sich nicht festlegen wollten, haben durch die erzwungene Quarantäne zu einer festen Beziehung gefunden. Umgekehrt sind Leute in häuslicher Gewalt ihrem Peiniger noch auswegloser ausgesetzt.
Die Krise hat alles zugespitzt und gezeigt, was möglich ist. Wenn sie vorüber ist, dürfen wir nicht mehr zu alten Mustern zurückkehren und uns von der Wirtschaft diktieren lassen, was geht und was nicht. Die Krise ist eine Botschaft des Klimas, eine einmalige Chance, in die Zukunft zu investieren. Wenn wir sie nicht nützen, werden die nächsten – Klima, Flüchtlinge, Viren, alle drei hängen zusammen – noch viel schlimmer. Die Krise ist wie Liebesschmerz, und auch wenn man es im Leid nicht glaubt. Was lernen wir daraus? Wie der Mensch so ist. Machen wir das Beste daraus.
Unter dem Titel Perspektiven veröffentlicht die SZ kontroverse Texte, die zur Diskussion anregen sollen.
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