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Wie Anton mit dem Schicksal kämpft

Dass der Junge lebt, ist ein großes Wunder. Aber für seine Familie in der Oberlausitz ist jetzt nichts mehr, wie es war. Und Antons Eltern brauchen dringend Hilfe.

Von Jana Ulbrich
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Melanie Krause und ihr Sohn Anton. Nach einer dramatischen Geburt ist der Junge geistig und körperlich schwer behindert.
Melanie Krause und ihr Sohn Anton. Nach einer dramatischen Geburt ist der Junge geistig und körperlich schwer behindert. © Matthias Weber/photoweber.de

Beinahe wären sie alle beide gestorben an diesem 7. Februar 2019. Es ist der Tag, an dem Anton zur Welt kommen will. Der Tag, auf den sich Melanie und Michael Krause so sehr freuen. Der Tag, an dem sie ihrem kleinen Sohn Gustav sagen: Dein Geschwisterchen kommt. Es ist der Tag, der das Leben der kleinen Familie aus Oderwitz in der Oberlausitz für immer verändern wird.

Die Geburt ist schon im Gange, als Melanie Krause auf einmal diesen ungeheuren Schmerz verspürt. Die 31-Jährige weiß sofort: Das war jetzt keine Wehe. Sie hört noch bestürzte Worte und wie ihr Mann aus dem Raum geschickt wird. Dann verliert sie das Bewusstsein.

Später auf der Intensivstation wird man ihr erklären, dass unter der Geburt ihre Gebärmutter gerissen und das Kind in den Bauchraum gerutscht ist. Dass es ein Junge ist, und dass sie ihn wiederbeleben konnten. Dass sie selber großes Glück hatte. Aber dass es wenig Hoffnung gibt für das Kind.

Der kleine Anton liegt da schon in der Dresdener Uniklinik - in einem Inkubator, angeschlossen an viele Geräte, im künstlichen Koma. Als sie endlich zu ihm darf, sagen die Ärzte zu ihr und ihrem Mann, dass sie Abschied nehmen sollten. Aber der kleine Anton will leben. Er kämpft. Wochenlang. Auch in dem Moment, als die Ärzte sagen: "Wenn wir jetzt den Tubus entfernen, wird er wahrscheinlich aufhören zu atmen."

Doch Anton atmet! Und seine Eltern, die so sehr gebangt haben, weinen vor Glück. Aber sie wissen in diesem Moment auch: Die lange Zeit ohne Sauerstoff muss ihre Spuren hinterlassen haben in dem kleinen Gehirn.

"Egal wie, wir werden das schaffen"

Melanie Krause sitzt auf der flachen Liege, die unter den Fenstern in der lichtdurchfluteten Wohnküche steht. Auf ihrem Schoß wiegt sie Anton. Sie sieht müde aus. Ihr kleiner Sohn braucht sie Tag und Nacht. Und Gustav, der Große, der im April drei wird, braucht sie ja auch.

Gerade hat sie Anton wieder Schleim aus der Luftröhre gesaugt. Und Anton hat wieder versucht, den Kopf wegzudrehen. "Das gefällt dir nicht, ich weiß", sagt Melanie Krause und lächelt. Aber so sieht sie wenigstens, dass Anton Reflexe zeigt. Und über jeden Reflex ist sie froh. Anton ist mehrfach geistig und körperlich behindert. Wie er sich mal entwickeln wird, weiß niemand. Er kann den Kopf nicht halten, nicht sitzen, hat epileptische Anfälle und würde ersticken, wenn ihm nicht regelmäßig jemand den Schleim absaugt.

Melanie Krause streicht ihrem kleinen Sohn liebevoll über den Bauch. "Wir sind froh, dass er da ist", sagt sie. "Egal wie, wir werden das schaffen." An der rechten Bauchseite haben Antons Sachen alle ein kleines Loch. Durch das Loch ragt der Plastikschlauch der Magensonde, über die Melanie Krause ihren Sohn ernährt. Heute gibt es verdünnten Möhrenbrei. Mit einer großen Spritze drückt sie den wässrigen Brei ganz langsam und schlückchenweise durch den Schlauch. Das scheint Anton wirklich zu gefallen.

Normalerweise, sagt seine Mutter, würde es reichen, ihm diese flüssige Spezialnahrung zu geben, die sie geliefert bekommt. Aber Kinder wollen doch nicht immer dasselbe essen. Melanie Krause ist Krankenschwester. Ihr Beruf kommt ihr jetzt zugute. Ein Segen, dass sie diese ganzen Handgriffe beherrscht und Anton professionell zu Hause pflegen kann. "Aber manchmal kann das auch Fluch sein", sagt sie leise, "weil ich ja vieles deuten und erklären kann. Das macht mich leider auch frei von zu viel Hoffnung."

Große Sorgen, wie es weitergehen wird

Als ob das alles nicht schon Sorge genug wäre, weiß die junge Familie jetzt auch nicht, wie es finanziell weitergehen soll. Am 7. Februar, wenn Anton ein Jahr alt wird, endet für Melanie Krause die Elternzeit. Normalerweise war geplant, dass sie dann wieder ihren Job im Fachkrankenhaus Großschweidnitz macht. 

Aber ihren Antrag auf eine ständige Pflegekraft, die Anton ab Februar tagsüber betreut, hat ihre Krankenkasse abgelehnt. Das Kind könne in einer integrativen Einrichtung betreut werden, heißt es. Melanie Krause schüttelt verständnislos den Kopf. "Hier gibt es keine Kindertagesstätte mit heilpädagogischem Angebot, die Anton in diesem Zustand aufnehmen könnte. Er würde ja eine Mitarbeiterin für sich alleine brauchen." 

Gegen die Ablehnung ihres Antrags hat die Familie zwar geklagt, doch bis zu einer Entscheidung braucht es eine Lösung. "Ich kann noch meinen Resturlaub nehmen, sagt Melanie Krause, "danach muss ich mich unbezahlt freistellen lassen." 

Warum die Stiftung Lichtblick hilft

Und noch ein großes Problem steht im Raum: Ein Kostenvoranschlag für dringend notwendige Tischler- und Zimmererarbeiten über mehr als 12.000 Euro! Vor zweieinhalb Jahren haben Melanie und Michael Krause dieses schöne alte, aber stark sanierungsbedürftige Umgebindehaus in Oderwitz gekauft. Die Wohnküche in der großen Blockstube ist schon fertig saniert, aber der Rest des Hauses ist immer noch eine Baustelle. 

Seit Anton auf der Welt ist, sind die Bauarbeiten völlig ins Stocken geraten. Michael Krause, der selbst gelernter Tischler ist, wollte das eigentlich alles selbst bewerkstelligen. Aber das ist einfach nicht zu schaffen. Der 41-Jährige arbeitet in Seifhennersdorf. Er macht Überstunden und arbeitet sonnabends die Zeit heraus, die er braucht, um Anton - mehrmals im Monat - zu Untersuchungen oder Therapien nach Dresden in die Uniklinik zu bringen. Und nach Feierabend braucht ihn die Familie. 

Das Umgebinde um die schöne Blockstube ist an vielen Stellen morsch und muss dringend saniert werden. Und auch der Ausbau im Obergeschoss müsste endlich weitergehen, damit Gustav ein Zimmer bekommt, in dem er spielen kann, und sich nicht das ganze Leben nur in der Wohnküche abspielt. Die Familie braucht auch einen Raum für Anton mit Platz für die vielen Medikamente, Materialien und Hilfsmittel, die er braucht und die jetzt in Kisten und Kartons überall im Wege stehen. 

Das ist schon zum Verzweifeln. Aber jetzt ist wenigstens ein Anfang gemacht: Katja Rothe vom Zittauer Lebenshilfe-Verein, die von den Sorgen der Familie weiß, hat sich mit der Bitte um einen Zuschuss an die Stiftung Lichtblick gewandt. Und die Stiftung wird helfen. Sie kann zwar nur einen kleinen Teil der Summe  für die Tischlerarbeiten beisteuern, aber für Melanie und Michael Krause ist das ein riesengroßes Geschenk. "Das ist  wunderbar", sagt Melanie Krause, "wirklich ein kleiner Lichtblick". Der kleine Anton auf ihrem Schoß ist eingeschlafen.

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