SZ + Sachsen
Merken

Wie Corona-Kranke die Infektion erlebten

Zweifler behaupten, die Corona-Pandemie sei eine Lüge. Patienten und Ärzte wissen, was es heißt, daran erkrankt zu sein. Ein Blick an die Covid-19-Front.

Von Tobias Wolf
 10 Min.
Teilen
Folgen
Andreas Gesche, hier in seinem Kleingarten in Dresden, ist von Covid-19 genesen. der Hobbyläufer sagt: „Es kann jeden treffen.“
Andreas Gesche, hier in seinem Kleingarten in Dresden, ist von Covid-19 genesen. der Hobbyläufer sagt: „Es kann jeden treffen.“ © Jürgen Lösel

Mit federnden Schritten läuft Andreas Gesche durch die Kleingartensparte im Dresdner Stadtteil Trachau. Die Parzelle seiner Familie kommt in Sicht. Tomatenpflanzen recken die Blätter in die Abendsonne. Ein kleines Gemüseparadies hat der 47-jährige Marathonfan mit seiner Frau und den Kindern angelegt. Bald wollen sie die kleine Laube noch ein bisschen aufhübschen. Vor zwei Monaten undenkbar.

Der Ingenieur, der Läufe mit 50 und mehr Kilometern absolviert, hat zu diesem Zeitpunkt nicht die Puste, um vom Krankenbett im Dresdner Uniklinikum zur Toilette zu gehen. Anfang März hat er sich bei einem Kollegen angesteckt. Ausgerechnet er, der Sportler, der nie geraucht hat, erleidet eine heftige Lungenentzündung. Als er in die Klinik kommt, stehen Hunderte vor der Corona-Ambulanz für einen Test an. Die Ärzte – unter dem Eindruck der Bilder aus Italien mit überlasteten Krankenhäusern und Militärlastwagen, die Särge abtransportieren – wissen nicht, wie sie einen ähnlichen Ansturm bewältigen sollen.

Gesche gehört zu den ersten Patienten mit Covid-19. „Am schlimmsten war das Fieber, das von Tag zu Tag höher ging.“ Eine Woche lang Temperaturen um die 40 Grad. Infusionen sollen es in Schach halten, das Malariamittel Hydroxychloroquin die Lungenentzündung bekämpfen. Eines von vielen, auf denen in der Corona-Krise zunächst Hoffnungen ruhen.

Peter Spieth ist Lungenexperte und Professor für Anästhesiologie und Intensivtherapie. Der 42-Jährige sagt, das Malariamittel helfe nicht wirklich, verursache aber nichts Schlimmes. Man müsse jetzt auf Medikamente zurückgreifen, die für andere Krankheiten entwickelt wurden, aber mit denen es Erfahrungen gibt. „Man holt nicht irgendwas aus dem Tablettenschrank, sondern guckt, wie und wo greift das Virus das Immunsystem an und bei welchen anderen Krankheiten ist das ähnlich.“

Plötzlich Fieber und kein Appetit

Marathonläufer Gesche kamen sein trainiertes Herz und die starke Lunge zugute. „Wohl nur deshalb brauchte ich keinen extra Sauerstoff.“ Läufer seien ungeduldig, wann es wieder losgeht. „Ich bin schon gelaufen, aber wie einer in der Altersklasse Ü80.“ Er schaffe jetzt um die acht Kilometer. Vor der Erkrankung waren es noch bis zu 35 am Stück, um sich auf den Rennsteiglauf mit 74 Kilometern vorzubereiten.

Ein Altbau mit pastellgelber Fassade. Ruth Maier* sitzt am Küchentisch. Die 57-Jährige Verkäuferin bekommt Rente wegen Erwerbsunfähigsfähigkeit. „Mein Mann und ich waren von Anfang an vorsichtig, weil ich mit Herz-Rhythmus-Störungen zur Corona-Risikogruppe gehöre. Schon bevor das verboten wurde, durfte unsere Enkelin nicht mehr kommen.“ Maier isolierte sich und ging nur einmal die Woche einkaufen. Später erfährt sie: Im Altenheim, in dem ihr Mann arbeitet, gab es drei Infizierte, er war nicht darunter.

An einem Freitag Ende März sei es losgegangen. Nach dem Einkaufen. „Ich bekam 38 Grad Fieber und hatte keinen Appetit mehr.“ Dann Durchfall wie nie zuvor, Brechreiz, Tage zwischen frösteln und Hitzewallungen. Die 300 Meter zum Hausarzt: unüberwindlich. Der empfiehlt Durchfallarznei. Immer wieder wird Ruth Maier auf dem Weg zur Toilette ohnmächtig, schlägt mit dem Kopf auf die Fliesen und schleppt sich ins Bad. Eine Woche quält sie sich so.

Als es noch schlimmer wird, wählt sie die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, kommt nicht durch und ruft irgendwann den Krankenwagen. Sie hat keinen Zweifel: Das ist mehr als eine Magen-Darm-Geschichte. Der Arzt in der Notaufnahme hört die Lunge ab, die nicht nach „Corona klingt“. Maiers Rachen hat sich schwarz verfärbt. Der Corona-Test ist positiv. Die Nierenfunktion hat sich verschlechtert. Eineinhalb Wochen lang wird Ruth Maier auf der Intensivstation verbringen.

Ein positiv getesteter Corona-Patient liegt in einem isoliertem Intensivbett-Zimmer in einer Klinik im bayerischen Gauting.
Ein positiv getesteter Corona-Patient liegt in einem isoliertem Intensivbett-Zimmer in einer Klinik im bayerischen Gauting. © dpa/Peter Kneffel

Sie hat Wasser in der entzündeten Lunge. Im Blut kommt kaum noch Sauerstoff an. Die Ärzte wollen sie ins Koma versetzen und maschinell beatmen. „Das wollte ich nicht, weil ich im Fernsehen gesehen habe, dass man daran sterben kann“, sagt Maier. Stattdessen bekommt sie High-Flow, hochdosierten Sauerstoff, über einen Nasenschlauch. „Herzrasen und Schmerzen in der Brust haben mir eine wahnsinnige Angst gemacht“, sagt Maier. Sie schluckt. „Ich dachte, ich mache meine letzten Atemzüge.“ Maier will nicht sterben.

„Ich hab um mein Leben gekämpft.“ Sie kann mit ihrem Mann und der Familie telefonieren. „Das hat mir Hoffnung gegeben, mich am Leben gehalten.“ Auch bei ihr versuchen es die Ärzte erst mit dem Malariamittel. Die Nebenwirkungen sind zu stark. Dann ein Rheuma-Medikament, das auch Entzündungen bekämpft. Maiers Ärztin Julia Fantana sagt: „Es gab schon Hinweise aus internationalen Daten, dass das funktionieren kann.“

Auf die Intensivstation folgt eine Woche im „normalen“ Zimmer. „Alle hatten immer Zeit für ein privates Wort“, sagt Maier. „Ich habe mich bei den Ärzten und Pflegern bedankt, dass sie mein Leben gerettet haben, aber die sagten: Das hätte ich allein geschafft.“ Sie schluchzt, Tränen kullern ihre Wangen herab, als sie das erzählt.

Uniklinikum Dresden. Im Gebäude mit dem Hubschrauber-Landeplatz liegt die Corona-Intensivstation. Wer hier arbeitet, muss durch Schleusen und vor jedem Zimmerbesuch die Schutzkleidung wechseln. Atemmasken sind Pflicht. Jede Woche wird das Personal selbst auf den Virus getestet.

Lockdown bremste Ausbreitung

Statt dem Drei-Schicht-System mit acht Stunden gilt hier der 12-Stunden-Takt. Das ist anstrengend, aber es hat Vorteile. Weniger Ärzte und Pfleger können sich infizieren, man kennt die Patienten besser und sieht auch kleine Veränderungen.

15 schwere Corona-Fälle hat Ärztin Laura Heim bisher begleitet, auch zwei Franzosen und einen Italiener. Heim hat durchweg lange und schwere Krankheitsverläufe beobachtet. Die Patienten, meist männlich und zwischen 50 und Ende 60. Einer war 85 Jahre alt. „Viele waren vorher gesund, manche hatten Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Nieren- oder Herzprobleme.“ Vier von 15 Patienten sind in der Intensivstation an Covid-19 gestorben.

Daneben sind auf der regulären Corona-Station im Februar acht Menschen behandelt worden, im März 30, im April noch sechs. Im März wurden an der Uniklinik knapp 2.300 Verdachtsfälle getestet, wovon 162 positiv waren. Im Mai gab es noch knapp 400 Tests, davon nur einer positiv.

Der bundesweite Lock-Down, die Kontaktsperren, all das habe dazu beigetragen, dass sich das Virus hierzulande nicht so schnell ausbreiten konnte. „Wir hatten mehr Zeit, uns vorzubereiten.“ Die Ärztin sagt, sie sei froh, dass sie jetzt nicht über Lockerungen entscheiden muss. Es werde immer Verschwörungstheoretiker geben, sagt die 30-jährige. „Aber wir sehen immer schwere Krankheitsverläufe.“ Sicher, es gebe auch andere Erkrankungen wie Depressionen oder Bluthochdruck. „Wer jetzt seinen Beruf verliert, der hat weniger Perspektiven“, sagt Laura Heim. „Wer seine Angehörigen an Covid-19 verloren hat, dem kommen die Lockerungen vielleicht zu früh.“

In Ina Schmidts* Familie kommt alles zusammen. Die 53-jährige Krankenschwester aus Ostsachen zählte zu den schwersten Fällen im Uniklinikum. Ihr Schwiegersohn verlor in der Probezeit seinen Job, ihr Sohn findet keinen mehr, und die Tochter war in Kurzarbeit. Sie sei schon Anfang April mit Mundschutz einkaufen gegangen und habe ihre 83-jährige Mutter nicht mehr besucht, sagt Schmidt am Telefon. „Ich hatte keine Vorerkrankungen, von einem Bandscheibenvorfall abgesehen. Ich wollte andere schützen, weil ich als Krankenschwester zur Risikogruppe gehörte.“ Dann stecken sich in einem Pflegeheim 60 Senioren mit dem Virus an und Schmidt deshalb auf Arbeit.

Nach zwei Wochen Fieber, Quarantäne und neun Tagen im Kreiskrankenhaus kommt Schmidt Ende April auf die Intensivstation der Uniklinik, wird tagelang ins Koma versetzt und noch länger künstlich beatmet. Den Durchbruch bringt das Ebola-Medikament Remdesivir. Schmidt liegt im Koma, als ihr Mann entscheidet, dass sie das bisher nicht zugelassene Mittel bekommen darf. „Ich bin froh, dass er für mich ja gesagt hat. Ich hab erst im Nachhinein zu allem ja gesagt. Ich hatte Todesangst, aber das war meine einzige Chance.“

Lungenexperte Peter Spieth sagt, Remdesivir sei deshalb vielversprechend gewesen, weil sich bei einigen Corona-Patienten die Lungenfunktion verbesserte und die Zeit bis zu einer Genesung um mehrere Tage verkürzt habe. „Die Patienten sind schneller von der Beatmung weggekommen und erholten sich schneller“, sagt der Professor. Allgemeinere Erkenntnisse könne man daraus aber noch nicht ableiten.

Der Versuch mit der Ebola-Arznei hat Ina Schmidt wohl das Leben gerettet. Sie ist nun in Reha. „Ich telefoniere mit meinem Mann und mache Videochats mit den Kindern und Enkeln.“ Schmidt hat andere Covid-19-Patienten kennengelernt. 14 Tage hätten manche im Koma gelegen. Als Krankenschwester weiß sie, was das bedeutet – mehr Muskelmasse ist verloren, der Gesamtzustand schlecht, mehr Reha-Maßnahmen nötig. „Mir geht es ja schon nicht gut, aber einige sind wegen Multiorganversagen noch mal ins Koma gekommen.“

Marathonläufer Andreas Gesche ging es zwei Wochen der Entlassung besser. Die Lunge trainiert er mit einem Gerät, in dem ein konstanter Luftstrom gehalten wird. Der Rennsteiglauf fand virtuell statt. Gesche war dabei. „Ich habe einen Freund auf dem Rad begleitet, der die Strecke hier gelaufen ist.“ Von Trachau über Radeburg und zurück durch die Heide.

Verhaltenshinweise in der Öffentlichkeit, wie hier am Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion, begegnen einem überall.
Verhaltenshinweise in der Öffentlichkeit, wie hier am Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion, begegnen einem überall. © Jürgen Lösel

Gesche spendet jetzt regelmäßig Blutplasma für schwerkranke Covid-19-Patienten. Er hofft, dass sich seine Lunge langfristig erholt. Seine Frau, die mit den Kindern in Quarantäne war, hat sich auf eigene Kosten testen lassen. Ergebnis: Sie hat Antikörper im Blut, war aber nicht erkrankt. Ruth Maier half eine Kombination aus Rheumamittel, der „Bauchlagetherapie“ und Sauerstoff. Mehr Lungenbläschen werden durch bis zu 16 Stunden langes Liegen auf dem Bauch aktiviert und besser mit Luft gefüllt. Die Durchblutung steigt. Ärztin Julia Fantana sagt, entscheidend seien auch Maiers Disziplin und Motivation gewesen.

Trotz der Erfolge in der Behandlung stehe man am Anfang. „Wir kennen Covid-19 noch nicht, wir lernen es gerade kennen“, sagt Fantana. „Wir wussten am Anfang nur, das Ding kann tödlich verlaufen und wir hatten nicht so viele klinische Erfahrungen wie bei andere Erkrankungen.“

Drei Fälle, drei Verläufe: Ruth Maier, Andreas Gesche und Ina Schmidt waren höchst unterschiedlich von Covid-19 betroffen, aber keiner von ihnen versteht, was sich gerade manchenorts an Wut und Hass in der Öffentlichkeit entlädt.

Ina Schmidt, die am schwersten betroffene, sagt: „Ich kann diese Proteste nicht sehen, das halte ich nicht aus. Vielleicht sollte jeder von denen mal überlegen, was er denken würde, wenn in seiner Familie jemand so erkranken würde wie ich.“

Ruth Maier macht sich Sorgen, dass zu viele leichtsinnig werden könnten – nicht nur Impfgegner, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker. „So viel Blödsinn kann man sich doch gar nicht zusammenspinnen“, sagt sie. „Jetzt wo gelockert wird, drehen die plötzlich alle durch und demonstrieren ausgerechnet für Grundrechte.“ Corona betreffe doch nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt.

"Führungen durch Intensivstationen"

Marathonläufer Andreas Gesche sagt: „Es ist in Ordnung, wenn Menschen auf die Straße gehen, deren wirtschaftliche Existenz bedroht ist, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Aber wenn mir jemand erzählt, Corona wäre eine Lüge, ein Fake, alles nur gemacht von geheimen Mächten, dem würde ich schon sagen: Es kann jeden treffen, so wie mich.“ Ihm bereite die Mischung bei den Demonstrationen Sorge. „Wenn man in Ostritz Neonazis marschieren sieht, weiß man, woran man ist.“ Jetzt würden ernste Sorgen missbraucht.

Ein Pfleger aus der Uni-Klinik sagt: „Man kann ja keine Führungen durch Intensivstationen machen, um den Menschen die Dringlichkeit klar zu machen.“ Erfahrungen aus Krankenhäusern mit dem Coronavirus, sie dringen offensichtlich nicht zu allen durch. Ebensowenig wie die im weltweiten Maßstab sehr niedrigen Zahlen hierzulande.

„Wenn man täglich mit Patienten arbeitet, die um ihr Leben kämpfen, ist es schwer nachzuvollziehen, dass manche Leute sagen, Corona gibt es nicht“, sagt der Lungenexperte Peter Spieth. Es überrasche aber auch nicht, weil Krankheit und Intensivmedizin sich eben in der Regel nicht in einer breiten Öffentlichkeit abspielen. „Wir hatten viele Patienten, die jünger und ohne Vorerkrankungen waren. Das waren keine, die innerhalb von zwei Wochen eines natürlichen Todes gestorben wären.“

Ganz sicher sind sich die Ärzte bislang nur in einem: Diese Krankheit wird nicht so schnell wieder verschwinden und die Menschen solange begleiten, bis Medikamente und Impfstoffe gefunden sind.

So informieren wir Sie zum Thema Corona