Von Reiner Hanke
Immer mehr Bürger aus dem Altkreis Kamenz protestieren gegen die Explosion der Müllgebühren ab 2011. Die SZ sprach über die Hintergründe mit dem Abfallwirtschaftsamt. Die Fehler der Politik will das Amt nicht kommentieren.
Warum steigen die Gebühren
2011 so drastisch?
Weil 2011 ein Millionenloch im Mülletat klafft. Der Kreis hat derzeit Kosten für die Abfallwirtschaft von 16,5 Millionen Euro. Durch die Abfallgebühren erwirtschaftet werden aber nur 13,3Millionen Euro, erklärt Christian Handrik, Leiter des Abfallwirtschaftsamtes. 3,2 Millionen Euro werden dieses Jahr noch aus Rücklagen zugeschossen. 2011 gibt es keine Rücklagen mehr.
Warum trifft es die Kamenzer
besonders heftig?
„Weil viele Kamenzer vergessen haben, dass die Grundgebühr 2002 noch bei 37 Euro pro Jahr lag“, so Handrik, bis 2008 aber auf 6 Euro gesunken ist. Jetzt steigt die Gebühr wieder auf 26 Euro.
Wieso wurden die Gebühren
zuvor so stark gesenkt?
Durch günstige Ausschreibungen konnten Anfang des Jahrzehnts Kosten gespart werden. Der Papierpreis und der Schrottpreis hatten sich zwischenzeitlich positiv entwickelt. Dadurch entstanden Millionenrücklagen. Allerdings ist der Kreis auch vom Gesetzgeber verpflichtet worden, diese in einem festgelegten Zeitraum wieder abzuschmelzen. Deshalb sind die Gebühren gesunken oder zumindest konstant geblieben, während die Kosten längst kräftig am Steigen waren. Einige besonders. Seit 1997 stieg der Dieselpreis um 83% und die Fahrzeugpreise um 21%. Die Kosten beim Abfallzweckverband Ravon (Kreise Bautzen/Görlitz) für Umladestationen, den Transport und seit 2004 die Verbrennung kletterten um mehr als 100%. Die Löhne sind um 33% gestiegen. Ohne Rücklagen hätten die Preise nicht nach unten gehen können.
Warum ist die VErbrennung überhaupt nötig?
Die Abfallbehandlung wurde vom Bund ab 2005 verordnet. Im vollen Bewusstsein, dass sich die Entsorgung durch höhere Umweltstandards verteuert. Der Ravon setzte auf die Verbrennung in Lauta.
Warum übernimmt der Kreis nicht das Kamenzer System?
Es mag vielleicht kostengünstiger erscheinen – ist es aber nicht, sagen die Fachleute. Der Preis wurde künstlich niedrig gehalten. Derzeit liegen die tatsächlichen Durchschnittskosten pro Einwohner und Jahr für Bautzener bei 46Euro, für Kamenzer bei 53 Euro. Dagegen bringen die Einnahmen in Kamenz nur 40 und in Bautzen 42 Euro. Ab Januar wird mit einem einheitlichen Durchschnitt von 51 Euro gerechnet. Eins der drei Systeme komplett zu übernehmen, wäre aus Sicht des Amtes nicht durchsetzbar gewesen. So ist ein Mischsystem entstanden, in dem sich alle mit ihren Gewohnheiten mehr oder weniger wiederfinden. Kritik hagele derzeit von allen Seiten.
Wurde Jahrelang ohne den NötigenWeitblickgeplant?
Man könne das so reflektieren, wenn man es negativ auslegt, heißt es aus dem Amt vorsichtig. Das stehe jetzt vor der Aufgabe, die Kostensenkungen, die es seit 2004 im Raum Kamenz gab, wieder zurückzurechnen. Politische Entscheidungen bewertet das Amt nicht.
Ist die Müllverbrennung
der haupt-Preis-Treiber?
Immerhin entfallen 60Prozent der Kosten des Kreises auf den Ravon und damit auch auf die Müllverbrennung. Die Sorgen sind also nicht unbegründet. So heißt es immer wieder, dass die Anlage überdimensioniert sei und nachteilige Verträge geschlossen wurden, die dem Kreis teuer zu stehen kommen. Sind das nur Märchen? Ja und nein, sagt Christian Handrik: „Die Anlage ist zu 100Prozent ausgelastet mit 225000 Tonnen im Jahr. Richtig sei auch, dass die damaligen Kreise 1996 eine Mindestabnahmemenge von 110000 Tonnen Müll im Jahr vereinbarten. Und die werde zweifellos nicht erreicht. Die Differenz werde durch den Zukauf von Müll ausgeglichen. Mögliche Defizite habe der Ravon bisher aus eigener Tasche bezahlt und nicht an die Kreise weitergereicht.
Wie kam es zu Verträgen fern der Realität des Jahres 2010?
Die Prognosen der Experten gingen bei der Planung von einem Bevölkerungsschwund bis 2006 von 6Prozent aus. Auf der Grundlage basieren u.a. die erwarteten Müllmengen im Zweckverbandsgebiet - heute Bautzen und Görlitz. Die Bevölkerung ist aber tatsächlich um über 11 Prozent (76000 Menschen) geschrumpft. Das habe sich dramatisch auf die Restmüllmengen ausgewirkt. Wer hat schon damals mit einem so extremen Einbruch der Wirtschaft, mit den sozialen Problemen und der Abwanderung gerechnet? fragt der Amtschef.
Geht die Müllmenge Jetzt steil runter, der Preis rauf?
Das müsse nicht zwangsläufig sein, spekuliert das Abfallamt, zumindest nicht auf Grund der Satzung. Im Kamenzer Raum werde sicher weniger Müll anfallen. Das Amt rechnet aber im Bautzener Raum mit einem Anstieg. Davon abgesehen sinke die Müllmenge kontinuierlich, weil der Kreis jährlich etwa 4000 Einwohner verliere. So wurde ein gewisser Rückgang beim Müll bei der neuen Satzung bereits einkalkuliert. Wie steil es bergab geht ist, sei schwer einzuschätzen. Auch ist nicht abzusehen, wie lange der Ravon den Ausgleich der Defizite bei den geforderten Müllmengen noch stemmen kann. Das bringt weitere Unsicherheiten in die aktuelle Kalkulation.
Wie lange laufen
die teuren Verträge Noch?
Bis über das Jahr 2020 hinaus. Um sie günstiger zu gestalten und aus dem Teufelskreis auszubrechen bleiben nur Nachverhandlungen. Dazu müssen politische Entscheidungen her.
Landet künftig
mehr Müll im Wald?
Das befürchten viele Bürger mit dem neuen System. Sie haben bisher eine Art Müllflatrate. Die gibt es in dem Maße nicht mehr. Amtschef Handrik will die Sorge mit ein paar Zahlen zerstreuen. Die Müll-Mengen in der Landschaft seien in beiden Kreisgebieten gering. In Kamenz zwar immer etwas kleiner, aber auf niedrigem Niveau: 2009 waren es 36 Tonnen in Bautzen, 28 in Kamenz. Der meiste illegal entsorgte Haus-Müll landet offenbar in der gelben Tonnen. Das waren allein 2009 rund 5000 Tonnen.
Auf ein Wort
Weitere Infos: www.landkreis-bautzen.de –
Rubrik Bürgerservice, dann auf „Abfallentsorgung ab 2011“ klicken.