Polen erschwert Rückkehr zum Alltag an der Neiße

Vergangenen Dienstag erlebte die Görlitzer Altstadtbrücke eine der kuriosesten Demonstrationen ihrer Geschichte.
Auf der Görlitzer Seite standen Mitglieder des Güsa-Vereins, der sich um die Verständigung mit Polen verdient macht. Und winkte mit seinen Schildern zu ein paar Zgorzelecern, die sonst bei den grenzüberschreitenden Treffen des Vereins dabei sind. „Sowohl wir als auch unsere polnischen Freunde wollten zum Ausdruck bringen, dass trotz aller Beschränkungen durch die Corona-Krise unsere gegenseitige Verbundenheit weiter besteht“, erklärt Güsa-Vorsitzender Jürgen Fromberg.
Jener Dienstag hat in der jüngeren Geschichte der Europastadt Görlitz/Zgorzelec eine besondere Bedeutung. Am 5. Mai 1999 proklamierten sich beide Städte zur Europastadt. Gewöhnlich findet rund um das Datum die Europawoche statt, deren Höhepunkt immer die deutsch-polnische Stadtratssitzung mit Begrüßung auf der Stadtbrücke ist. Doch in diesem Jahr patrouillieren nur die polnischen Grenzpolizisten über die Brücke.
Das Leben kehrt langsam zurück
Seit Polen am 15. März im Kampf gegen die Corona-Pandemie die Grenzen schloss, ist der Alltag an der Neiße ein anderer. Zunächst war das gar nicht schlimm, weil ohnehin alle Läden dicht waren, Kontaktsperren galten und in Polen selbst der Ausflug in Parkanlagen oder Wälder verboten war. Doch jetzt werden die Corona-Auflagen gelockert. In Görlitz sind die Läden seit 20. April geöffnet, Friseure dürfen ihren Kunden seit 4. Mai die Haare schneiden, am Wochenende kommen die Gaststätten hinzu. Auch in Polen normalisiert sich das Leben, ab Montag sind auch Cafés wieder geöffnet, Friseure dürfen wieder arbeiten. Aber über die Grenze kommt - außer Berufspendlern - niemand.
Kunden fehlen auf beiden Seiten der Grenze
Das hat auch für den Görlitzer Einzelhandel gravierende Konsequenzen. Vor allem, wenn im Nachbarland Feiertag ist, kommen Besucher verstärkt aus Polen in den Görlitzer Neißepark rund um das Marktkauf-Center. Wie hoch der Anteil der Kunden von jenseits der Grenzen im Neißepark ist, Seveket Demir kann es nicht genau beziffern. Kathrin Horschig schon.
Etwa 20 bis 30 Prozent des Umsatzes im Schuhhaus Leiser am Postplatz kommen durch polnische Kunden zustande. "Diese Kundschaft fehlt uns sehr", sagt die Chefin Kathrin Horschig. Polnische Kundinnen und Kunden legen Wert auf Markenprodukte, sagt sie. Dieser Umsatz fehlt derzeit. "Wir haben Stammkunden aus dem Nachbarland, die momentan nicht kommen können", so Kathrin Horschig. Insgesamt sei sie aber zufrieden mit dem derzeitigen Stand der Dinge. "Trotzdem, wir hoffen alle, dass es mal wieder so wird wie früher", sagt auch Kathrin Horschig.
Für Georg Schwind sind polnische Kunden eher das I-Tüpfelchen bei den Kunden. "Natürlich haben wir Kundschaft aus dem Nachbarland", sagt der Chef des gleichnamigen Modehauses. Das rappelt sich nach den Corona-Lockerungen jetzt offenbar wieder auf. "Wir kommen aus einem Tal. Und mit der Zeit wird alles hoffentlich wieder ein bisschen normaler", sagt Georg Schwind.
Möglicherweise wächst nun aber auch täglich der Druck auf die Regierung, ihre Grenzkontrollen – auch angesichts der ziemlich geringen Zahl an Corona-Fällen dies- und jenseits der deutsch-polnischen Grenze – zu lockern. Denn auch den polnischen Geschäften, Friseuren, Tankstellen oder Zigaretten-Kiosken fehlen die deutschen Kunden. Wer die Einkaufszentren am Rande von Zgorzelec vor der Corona-Krise besuchte, der konnte auf den Parkplätzen alle Autokennzeichen des Dresdner Regierungsbezirks finden.
5.000 Schutzmasken für Klinik Zgorzelec

Wie schwierig es ist, mit geschlossenen Grenzen ein Zusammenleben in Görlitz/Zgorzelec zu organisieren, zeigte sich auch am 8. Mai. Das Gedenken ans Kriegsende fand zwar gemeinsam statt. Aber trotz aller Bemühungen konnte für die 45 Minuten der polnische Absperrzaun auf der Altstadtbrücke nicht geöffnet werden. Trotzdem ist der Kontakt zwischen beiden Städten nicht abgerissen. Als die Görlitzer Seite in Zgorzelec nachfragte, ob es Bedarf an Schutzausrüstung gebe, signalisierte der Zgorzelecer Bürgermeister Rafal Gronicz, dass sein Krankenhaus Masken gut gebrauchen könnte. Am Freitag traf sich Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer nach dem Kriegsgedenken mit Gronicz und übergab ihm 5.000 Schutzmasken.
Nützen Grenzkontrollen etwas?
Dass die polnische Regierung die Grenzkontrollen so rigoros ausübt, trifft auch im polnischen Grenzgebiet zunehmend auf Kritik. So haben zahlreiche Kommunalpolitiker an Polens Regierungschef Mateusz Mazowiecki appelliert, weitere Grenzübergänge zu öffnen, weil die Berufspendler sonst enorme Umwege fahren müssen. Sie können derzeit nur in Görlitz über die Grenze sowie über die Autobahn, wenigstens in Zittau, Görlitz-Hagenwerder oder Deschka/Penzig sollten die Übergänge wieder geöffnet werden. Doch noch hatten diese Resolutionen keinen Erfolg. Dabei ist umstritten, ob die Grenzschließungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie tatsächlich helfen. Die Görlitzer Epidemiologin Dr. Claudia Friedrichs hält die „schnelle und sehr konsequente Grenzschließung nach Polen und Tschechien“ für eine entscheidende Maßnahme, „um grenzübergreifende Infektionsketten zu verhindern.“ Andere Virologen oder Politiker weisen immer darauf hin, dass der Virus nicht an Grenzen halt macht.

Deutschland aber ist in dieser Frage nicht besser als die Polen, hat es doch die Grenzen zu Frankreich, Schweiz und Österreich auch abgeriegelt - und will das nur schrittweise bis Mitte Juni lockern. So bleibt zunächst der Wunsch vom Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu: Hoffentlich können wir uns bald wieder treffen wie vor der Corona-Krise.