Von Dietmar Schreier
Otto von Bismarck (1815–1898) war schon zu Lebzeiten ein Mythos. Die Zeitgenossen ehrten ihn vor allem wegen der Reichsgründung. Nach seinem Tod wurde er zur nationalen Kultfigur. Bismarck-Türme und Feuersäulen, Bismarck-Gedenksteine und Standbilder entstanden in großer Anzahl. Büsten, Reliefs und Gedenktafeln gehörten ebenfalls zum Repertoire. Um 1900 gab es im deutschen Kaiserreich wohl keine größere Stadt ohne ein Denkmal für Bismarck.
Vororte ehrten den Kanzler
Auch Dresden folgte diesem Trend. Bereits vor der Jahrhundertwende ehrte man in Dresdner Randgemeinden oder Vororten, wie Blasewitz, Laubegast, Lockwitz, Loschwitz und Rochwitz, das Lebenswerk des Reichskanzlers in Form von Gedenksteinen, Skulpturen oder Reliefs. In Plauen entstand 1896 der erste Bismarckturm in der Region. Nur im Zentrum der sächsischen Metropole fehlte bis zu diesem Zeitpunkt ein monumentales Bismarck-Denkmal. Ein geeigneter Platz war bald gefunden. Am Johannesring/Ecke Seestraße, in Sichtweite zum prächtigen Viktoriahaus, sollte die repräsentative Anlage entstehen. Für die Umgebungsbauarchitektur hatte man Paul Wallot gewonnen und die Modellierung der Bronzeteile übernahm der Bildhauer Robert Diez. Den Mittelpunkt stellte ein vier Meter hohes Bronzestandbild dar, das auf einen zweigeteilten Granitsockel stand.
Als Robert Diez den Auftrag für die figürliche Gestaltung des Bismarckdenkmals ausführte, galt er in Fachkreisen schon lange als ein begnadeter Künstler. Der ehemalige Meisterschüler von Johannes Schilling erregte bereits 1878 Aufsehen durch sein Standbild „Gänsedieb“ und erhielt dafür die große goldene Medaille auf der Internationalen Ausstellung in München. Eines seiner bekanntesten Werke schuf er mit den Monumentalbrunnen „Stilles Wasser“ und „Stürmische Wogen“ am Albertplatz.
Danach begann seine Arbeit am Bismarckdenkmal. Auch hier gelang ihm Außergewöhnliches. Das Standbild zählte nach seiner Fertigstellung zu den bedeutendsten Leistungen der Dresdner Bildhauerkunst um die Jahrhundertwende. Die Bronzestatue zeigt Bismarck in Uniform, umgeben von allegorischen Adler- und Engelsfiguren. Der Künstler hatte dem Staatsmann die Pickelhaube vom Kopf genommen und in die Rechte gegeben, während die linke Hand den Pallasch hielt. Hinter der Statue befand sich ein Schild mit dem Reichsadler. Die Rückseite des Schildes wurde durch einen Eichenzweig und zwei Putten belebt. Eine Putte saß auf einem Löwenfell, während die andere die Keule des Herkules schulterte. Diese dekorative Gruppe, die von außen nur schwer sichtbar war, verdeckte gemeinsam mit einer ausgebreiteten Inschriftenrolle die Rückseite des Sockels. Darauf hatte man Bismarcks bekanntesten Ausspruch teilweise verewigt: „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt.“ Umschlossen wurde das Ganze durch eine frei stehende halbkreisförmige Balustrade, an deren Enden Postamente standen. Darauf waren zwei Adlergruppen aus Bronze postiert, die den „Kampf“ und den „Sieg“ symbolisierten. Die Balustrade mit den beiden Postamenten sowie der Sockel des Standbildes bestanden aus wertvollem schwedischen Granit, dessen rote Färbung einen gelungenen Kontrast zur Umgebung bildete. Eine halbrund verlaufende Treppenanlage lud zum Verweilen ein.
Einweihung im Jahre 1903
Die Einweihung des Denkmals fand am 30.August 1903 statt. Die Gesamtkosten betrugen rund 160000 Mark. Doch den Verantwortlichen war ein Missgeschick unterlaufen. Der an der Balustrade angebrachte Huldigungsspruch für den Reichsgründer enthielt einen Fehler. Der Aufenthaltstag Bismarcks in Dresden war dort falsch angegeben. Bereits wenige Monate später ersetzte man die Inschrift in der Granitumfassung durch eine Bronzetafel mit dem korrigierten Text: „Als Zeichen ihrer Dankbarkeit, als Mahnung den Nachkommen, in erhebender Erinnerung an den 18. Juni 1892, da der Größte einer großen Zeit hier weilte, errichteten Männer und Frauen von Dresden, unterstützt durch öffentliche Mittel, dies Denkmal am 30. August 1903.“
Für viele Dresdner war der 18. Juni 1892 ein besonderer Tag. Otto von Bismarck besuchte die Stadt. Vor dem Hotel „Bellevue“ am Theaterplatz nahm der 1890 aus dem Staatsdienst entlassene Kanzler die Huldigung Tausender begeisterter Menschen entgegen. Der „Fackelzug der 15 000“ war geboren, erstreckte dann auch auf andere deutsche Städte.
Bildhauer mit Zivilcourage
Das Bismarckdenkmal überstand die Bombennacht im Februar 1945 fast unversehrt. Aber es war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr vollständig. Ein Jahr vorher hatte man die beiden Adlergruppen entfernt und für Kriegszwecke eingeschmolzen. 1946 wurde das Bronzestandbild in einer bilderstürmerischen Aktion umgerissen und eingeschmolzen. Der rote, schwedische Granit bekam noch eine Gnadenfrist von drei Jahren. Dann wurde auch er im Frühjahr 1949 „wegen Straßenbauarbeiten“ entfernt. Denkmalschützer hatten zuvor auf das wertvolle Gesteinsmaterial hingewiesen, das „für die Wiederverwendung oder den Verkauf zu bergen und keinesfalls zu zerschlagen sei“. Der Bildhauermeister Helmut Schleider zeigte Zivilcourage und protestierte gegen das Zerstörungswerk. In seinem Protestschreiben gab er den Wert des zerschlagenen roten schwedischen Granits mit mindestens 15000DM an. Heute fährt die Straßenbahn über die Stelle, wo einst das Denkmal stand.
Im Herbst 2009 erscheinen Geschichten dieser Serie von Dietmar Schreier unter dem Titel „Es war einmal in Dresden“ als Buch.