Wie die Lausitz die Rad-Meisterschaft rettet

Der Termin hat Tradition und steht schon lange fest. Eine Woche vor dem Start der Tour de France werden die deutschen Titel im Zeitfahren und im Straßenrennen ermittelt. Wer gewinnt, darf – sofern er nominiert ist – die große Rundfahrt durch Frankreich im Meistertrikot fahren.
Doch in diesem Jahr hätte es beinahe keinen Ausrichter gegeben. Bis Ende Mai suchte der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) vergeblich nach einem Ort für seine Titelkämpfe. Das Problem sind die seit Jahren steigenden Sicherheitsauflagen für die Veranstalter. In letzter Minute signalisierte Spremberg in der Lausitz seine Bereitschaft für das Zeitfahren am Freitag.
„Wir waren schon mehrmals der Retter für den BDR“, erklärt der 85-jährige Eberhard Pöschke vom ausrichtenden RK Endspurt Cottbus. Vor zehn Jahren war sein Verein schon einmal eingesprungen, als Dresden „Hals über Kopf die Meisterschaft zurückgab“. Sportbürgermeister Peter Lames signalisierte derweil, in Zukunft eine Rad-Meisterschaft in der Landeshauptstadt austragen zu wollen.
Veranstalter sind überfordert
Die Rennstrecke befindet sich auf dem Tagebaugelände von Spremberg, wird dort über eine neu angelegte Straße führen und bietet daher ideale Bedingungen für das 35 Kilometer lange Zeitfahren. Und sie hat einen Vorteil für den Veranstalter. „Wir brauchen für die Absperrungen bloß 1 000 Euro in die Hand zu nehmen“, erklärt Pöschke. Der Organisator vieler Radrennen, darunter die Cottbuser Nächte, kennt das Problem seit Jahren: „Die Kosten werden immer höher. Die Veranstalter sind damit überfordert. Die kleinen Rennen, vor allem für den Nachwuchs, sind am Aussterben“, sagt der frühere Radsportler und Trainer.
Dass dies nun auch deutsche Meisterschaften betrifft, ist kein neues Phänomen. 2018 sprang die hessische Gemeinde Einhausen als Last-Minute-Ausrichter erst kurz vorher ein. Und in diesem Jahr hatte es bereits einige Absagen gegeben.
Nach monatelanger Unklarheit ist seit Ende Mai auch klar, dass das Straßenrennen am Sonntag, also Teil zwei der Meisterschaft, auf dem Sachsenring stattfindet. „Wir müssen die Aufmerksamkeit jetzt nutzen, um mit der Politik in den Ländern und Kommunen über Lösungen zu reden, wie man Straßenradsport künftig noch organisieren kann“, erklärt Rudolf Scharping. Der BDR-Präsident kritisiert die Städte und fordert diese auf, sonntags auch einmal im Jahr die Straßen kostenlos abzusperren. Ansonsten sei die einmalige Nähe im Radsport, bei dem man Weltklasse-Athleten direkt zu den Menschen bringt und jeder an diesem Ereignis teilnehmen kann, bald nur noch ein schönes Kapitel in den Geschichtsbüchern.
„Die Kosten sind explodiert“
Auf dem Sachsenring fungiert der BDR als Veranstalter und Ausrichter – in enger Zusammenarbeit mit Dietmar Lohr. Mit seinem Verein organisiert er jedes Jahr das internationale Sachsenringradrennen. „Für uns war nur klar, dass der Verein nicht finanziell belastet werden darf“, erklärt Lohr. Eigentlich hatte an diesem Wochenende die Sachsenring Event GmbH das Objekt gemietet, eine Woche später findet der traditionelle Motorrad-Grand-Prix statt. Doch nach einigen Gesprächen bekam der BDR die Zusage. Der 13,1 Kilometer lange Rundkurs, auf dem die Männer 14 Runden zurücklegen müssen, führt unter anderem über den legendären Badberg.
Die Absperrungskosten machen etwa ein Drittel der Gesamtveranstaltung aus, die im sechsstelligen Bereich liegen. „Die Kosten sind explodiert“, sagt Organisator Lohr: „Sie haben sich im Vergleich zum Vorjahr sogar verdoppelt.“ Normalerweise verkauft der BDR seine Meisterschaften für 30.000 Euro, doch dafür in Deutschland einen zahlungskräftigen Veranstalter zu finden, wird immer unwahrscheinlicher.
Zwischendurch drohte sogar, dass die Profis bei einer ausländischen Meisterschaft hätten mitfahren müssen. Dieses Szenario blieb dem BDR erspart, vor allem aufgrund des Engagements einzelner Radsportverrückter in der Lausitz und am Sachsenring. „Ich freue mich, dass der BDR doch noch einen DM-Ausrichter für meine Paradedisziplin gefunden hat“, meint Tony Martin. Der vierfache Zeitfahr-Weltmeister ist die ersten Jahre in Cottbus aufgewachsen und hat seit 2012 ununterbrochen das Abo auf den nationalen Titel im Kampf um die Uhr.
Spannend wird die Entscheidung am Sonntag im Straßenrennen. Senkrechtstarter Pascal Ackermann hätte es auch locker verkraftet, wenn die Meisterschaft nicht stattgefunden hätte. „Wenn’s keine gibt, dann behalte ich das Trikot eben noch ein Jahr“, sagte der Vorjahressieger im Mai etwas scherzhaft, als die Suche nach einem Ausrichter noch erfolglos im Gange war.
Ackermann ist auf 14 Runden über die Motorrad-WM-Strecke und auf Teilen des alten Sachsenring-Kurses der größte Sieganwärter, die Tour fährt er nach seinem beeindruckenden Frühjahr jedoch nicht. Damit wäre bei einer erfolgreichen Titelverteidigung auch das markante Trikot auf Frankreichs Straßen nicht vertreten.