Von Dana Ritzmann
Platte um Platte wächst das Hochhaus in den Himmel – sechs Stockwerke hoch, zehn, manchmal sogar 16. „In den 70er-Jahren bin ich gezielt durch diese wunderbaren Neubaugebiete gelaufen und habe fotografiert, was sich da alles verändert“, sagt Siegmar Baumgärtel. Der Dresdner Süden bekam ein neues Gesicht. Block um Block wuchs aus dem Boden. Dass dafür Altes weichen musste, sorgte auch damals für Unmut. Das Prohliser Schloss, ein architektonisches Kleinod, wenn auch vom Krieg gezeichnet, gibt es heute nur noch auf dem Foto. Baumgärtel hat es 1976 aufgenommen und zeigt den Neorenaissance-Bau eines Semperschülers in Kombination mit einem grauen Zehngeschosser, der wenig später schräg gegenüber gebaut wurde. Das Schloss wurde in den 80er-Jahren abgerissen, die Plattenbauten rundherum sind heute saniert.



Architektur ist immer auch Stadtgeschichte, weiß Baumgärtel. Obwohl er seine Dias immer schon mit Jahreszahlen beschriftet hat und kategorisiert, wundert er sich manchmal selbst, wo er welches Foto gemacht hat. Eine Kaufhalle im Vordergrund, dahinter Blocks. „Wäre da nicht der Bismarckturm am Bildrand, wüsste ich wohl nicht mehr, dass ich das auf der Südhöhe aufgenommen habe“, sagt Baumgärtel. Das war 1983. Heute sieht es hier natürlich anders aus. Baumgärtel wohnt in der Nähe. Auch ganz privat kennt er sich mit Plattenbauten aus: Seit 1986 lebt er selbst im Wohngebiet an der Kohlenstraße. Er hat fotografiert, wie es Anfang der 80er-Jahre gebaut wurde und war bei der Sanierung vor gut zehn Jahren mittendrin. „Wir wohnen gerne hier“, sagt der Rentner und seine Frau nickt zustimmend. „Es ist wie im Park“, schwärmt Baumgärtel, als er aus dem Fenster seines Arbeitszimmers auf die Wiese und das bunte Klettergerüst schaut. Hinter seinem Rücken stapeln sich Dutzende Fotoalben, Architekturbücher und Reiseführer. Alles sorgfältig sortiert und in Regale geschichtet. „Ohne Kamera geht er gar nicht aus dem Haus“, sagt Baumgärtels Frau schmunzelnd. Wie viele Fotos er in seinem Leben gemacht hat, weiß der 62-Jährige nicht. Aber allein die Bilder der vergangenen zehn Jahre füllen 50 Gigabyte auf seinem Computer. Seit 2002 fotografiert der Informatiker digital, vorher waren es Papierbilder. In der DDR machte Baumgärtel Dias, die er mittlerweile auf dem Rechner gespeichert hat. Wenn der Rentner nicht gerade auf Reisen fotografiert, dann hat er hauptsächlich Häuser vor der Linse. „Ich habe mich schon als Gymnasiast für Architektur und Stadtplanung interessiert“, sagt Baumgärtel, der aus Plauen stammt. Und obwohl es ihn beruflich in die Computerbranche verschlug, blieb der Fotograf in der Freizeit seinen Fassaden und Bautypen treu. In seinem Archiv sind Bilder von Plattenbauten, die heute wieder abgerissen sind, ebenso wie Beispiele gelungener Sanierung. „Ich bin sicher kein Ostalgiker“, sagt Baumgärtel. Aber einiges an DDR-Architektur werde zu Unrecht verteufelt.
Ziel des Architektur-Fans ist es, „weniger zu kommentieren, als vielmehr zu dokumentieren“. So hält er es auch in seinem Online-Lexikon (www.dresden-lexikon.de) und in Vorträgen, die er seit 2012 hält. Die nächste Veranstaltung zum Thema „Die DDR im Dresdner Stadtbild – Epoche oder Episode“ steht heute bei der Volkshochschule im Programm. Obwohl Baumgärtel auch dann wieder viele Fotos von „der Platte“ zeigen wird, ist sein Lieblingsobjekt doch die Weiße Gasse, die Mitte der 50er-Jahre in der Altstadt entstand. „Hier hat die DDR versucht, Stadt zu bauen. Die Gegend zwischen Kreuzkirche, Altmarkt und Pirnaischem Platz ist ein sehr gelungenes urbanes Viertel geworden“, sagt er. Das gefalle ihm besser als der „touristische Neumarkt“ oder die „szenige Neustadt“.
Architekturvortrag an der VHS, Schilfweg 3, heute 18.30 Uhr, 7,50 Euro. Anmeldung unter 254400.