DSC-Kapitän über Pokalsieg, Corona und Karriere-Ende

Dresden. Die schwerste Saison liegt hinter ihr, es ist eine unvollendete. Wegen der Corona-Pandemie hat die Volleyball-Bundesliga ihre Saison noch vor den Play-offs abgebrochen. Mareen von Römer hat in dieser Spielzeit, die vielleicht ihre letzte gewesen ist, ohnehin kaum auf dem Feld gestanden.
Die 33-jährige Kapitänin der Volleyball-Frauen des Dresdner SC kämpfte lange mit einer heimtückischen Lungenentzündung und blickt auf diese schwierige Zeit zurück.
Frau von Römer, vielleicht können Sie es nicht mehr hören; dennoch: Wie geht es Ihnen?
Es passt, mir geht es gut, meine Familie und ich sind gesund. Das ist gerade das Wichtigste. Insofern bin ich positiv, diese Zeit durchzustehen.
Sie mussten in dieser Saison lange aussetzen wegen einer chronischen Lungenentzündung.
Das stimmt so nicht ganz. Es war eine kalte Lungenentzündung.
Was heißt das genau?
Dass man das nicht so merkt, die Symptome nicht gleich wirklich auftreten, also weder direkt Husten oder Fieber. Bei mir hat es mit Schulterschmerzen auf der linken Seite angefangen. Das wanderte die Rippen entlang, die Tage vergingen, ich wurde schwächer, hatte keine Energie. Ich war zwei Wochen davor erkältet, habe aber weiter trainiert, weil wir eine komplizierte Situation auf meiner Position im Zuspiel hatten. Das hat sich wahrscheinlich lange verschleppt, auf den ganzen Körper gelegt. Wir haben lange nach der Ursache gesucht, Ultraschall, Röntgen und MRT. Das ist keine chronische Sache.
Gelten Sie jetzt dennoch als Corona-Risikopatient?
Vor allem meine Mama sagt: „Mareen, du musst aufpassen, du gehörst zur Risikogruppe.“ Aber ich bin jetzt wieder gesund und noch nicht über 50. Natürlich achte ich auf mich und meinen Körper, aber das war eine Lungenentzündung, die sich leider über zwei Antibiotika-Phasen hingezogen hat. Die Erste hat nicht gereicht – und es waren in meinem Körper dauerhaft hohe Entzündungswerte. Für mich ist es das Unwort des Jahres 2019, ich habe es tierisch satt.
Stand die Diagnose erst, als Sie bereits im Training körperlich völlig im Keller waren?
Ich habe mich durchgekämpft, wie immer. Irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich mir eingestehen musste: Hier stimmt etwas nicht, du hast Fieber, Schweißausbrüche – und das in einer Phase, in der wir unser erstes Saisonheimspiel hinter uns und das Auswärtsduell bei Meister Stuttgart vor uns hatten. Ich habe mich dann mit Schmerztabletten zugepumpt, was nicht sehr förderlich war. Am Montag bin ich zu unserem Mannschaftsarzt Tino Lorenz gegangen und mich bei ihm in guten Händen gefühlt.
Wie hat sich Ihr Körper in diesen Wochen angefühlt?
Man steht früh auf und ist froh, wenn man bis Mittag so einigermaßen durchkommt – um sich dann wieder hinzulegen. Eine Stunde spazieren gehen zu können mit vielleicht einem Einkauf war für mich das Highlight des Tages. Dann war kräftemäßig schon Schluss. Das hat mich alles angestrengt, es blieb keine Energie hängen. Es war absolut nicht an das Programm zu denken, was wir beim DSC als Hochleistungssportlerinnen abspulen.
Haben Sie dennoch sportlich etwas tun müssen?
Die Ansage von den Ärzten war: „Sie machen jetzt gar nichts – und das nicht nur eine Woche“. Es ging also von 100 auf 0. Nach fünf Wochen habe ich wieder angefangen, weil ich dachte, es geht ganz gut. Aber nach wenigen Tagen habe ich die Quittung von meinem Körper bekommen. Da bin ich im Nachhinein ganz froh drüber, vielleicht war ich ja zu ehrgeizig. Der Körper bremst dich da aus. Dann lieber kein Risiko eingehen. Die Vernunft sowie der Einfluss meiner Familie und Freunde waren dann größer.
Wie sah die Quittung Ihres Körpers denn aus?
Wir haben versucht, beim Wiedereinstieg mit Kraft-Ausdauer-Übungen aus dem volleyballspezifischen Bereich zu starten. Da steigt man schon bei zehn Wiederholungen aus, wo man sonst locker 100 macht. Mir fehlte die Basis, um irgendetwas im athletischen Bereich wieder aufbauen zu können. Die Kraft war einfach nicht da.
Sie haben in dieser Zeit sehr viel Gewicht verloren.
Ja, unfreiwillig. Ich hasse das Gefühl, wenn ich keinen Einfluss auf meinen Körper habe. Das war in den vergangenen 15 Jahren im Profisport ja wunderbar gegangen. Aber jetzt musste ich mich hin und wieder packen und sagen: „Hallo lieber Körper, wir haben einen anderen Deal, was machst du mit mir?“ Unschön, das brauche ich nicht gleich wieder.

Für viele überraschend haben Sie dann am 16. Februar beim Sensationssieg im Pokalfinale das Trikot der Ersatzlibera getragen. Wie kam es denn dazu?
Wirklich Wahnsinn. Am Donnerstag vor dem Pokalfinale rief mich unser Trainer an und erzählte mir von der Diagnose für Ivana Mrdak (die Mittelblockerin fiel wegen einer Thrombose aus/Anm. d. A.). Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, als zweite Libera aufzulaufen. Ich war zu dem Zeitpunkt seit viereinhalb Wochen im Trainingsaufbau. Das war eine krasse Gefühlsmischung. Das Wissen, wieder dabei zu sein, Spielkleidung anzuziehen – dann noch bei so einem Event. Andererseits war mir klar, dass ich nicht zum Einsatz kommen würde. Ich habe mich gefragt, ob ich der Mannschaft unter diesen Voraussetzungen was geben kann – und zugesagt.
Wären Sie denn einsatzfähig gewesen?
Klar, ich hätte mich schon irgendwie hingestellt. Ich wäre ohnehin mitgeflogen zum Finale, hätte aber abseits der Bank sitzen müssen. Darauf war ich eingestellt. Dann kam alles anders, und du zitterst diese fünf Sätze mit und gibst einen etwas größeren Beitrag – bei der Kabinenansprache zum Beispiel.
Was haben Sie Ihrer Mannschaft gesagt?
Die Mädels sollten diese Verantwortung nicht auch noch übernehmen müssen, sie waren eh schon alle nervös. Also habe ich eben was gesagt. Ich bin auf das Emotionale dieses Tages eingegangen. Alles kann ich nicht wiedergeben. Aber ein Teil davon war, dass sich alle schon mal visuell vorstellen sollen, wie das ist, wenn man den letzten Punkt macht und dann bei der Siegerehrung so ein Goldschnipsel auf einen herabregnet und den dann mitnimmt.
Sie haben in Mannheim keinen Ball gespielt. War Ihre Freude dennoch genauso groß wie normalerweise?
Ja, ja. Überhaupt wieder an Sport denken zu können, dabei zu sein und den Moment so mitzuerleben, auf eine andere Art und Weise für die Mannschaft da zu sein – da muss ich keinen Punkt auf dem Feld gespielt haben. Das war die gleiche pure Emotion. Ich fand es schön, dass wir uns bei der Siegerehrung mit Lenka Dürr und Lena Stigrot in dem Bruchteil einer Sekunde dazu entschlossen haben, den Pokal als Kapitäninnen-Trio entgegenzunehmen. Das war eine coole Geste und genau richtig in meinen Augen.
Wie geht es Ihnen mit dem plötzlichen Abbruch der Saison wegen der Corona-Krise?
Ganz zu Ende ist die Saison für mich nicht. Ich habe noch nicht damit abgeschlossen, das geht nicht. Es ist mir schon klar, dass viele Spielerinnen nicht zu uns zurückkommen. Und auch, dass wir im europäischen Challenge-Cup nicht mehr spielen werden. Einen möglichen weiteren Titel weggeworfen zu haben, das tut schon weh. Davon wird man in zehn, 20 Jahren noch erzählen.
Wenn sich die Saison für Sie so unvollendet anfühlt, kann man doch davon ausgehen, dass es – trotz des auslaufenden Vertrages – nicht Ihre letzte gewesen ist, oder?
(lacht) Schöne Frage. Da werde ich jetzt noch keine konkrete Antwort geben. Die Zeit jetzt ist auch eine gute Findungszeit. Ich lebe Tag für Tag und kann noch nicht sagen, was im August sein wird. Ich sondiere natürlich die Möglichkeiten im Kopf. Das dauert noch ein bisschen.
Wie sehen denn diese Möglichkeiten aus?
Da gibt es drei Varianten: Weiter beim DSC zu spielen, noch mal ins Ausland zu wechseln oder einen ganz neuen Weg einzuschlagen.
Wo ordnen Sie diese turbulente Saison in Ihrer Karriere ein?
Das habe ich mich so noch nicht gefragt. Man schätzt zunächst mal die Spielzeiten mehr, in denen man verletzungs- und krankheitsfrei geblieben ist. Doch es ist wieder eine Saison mit einem Titel, das hat man auch nicht jedes Jahr. Aber so in der Form brauche ich das nicht noch mal. Durch den Pokalsieg steht dieses vergangene Spieljahr am Ende doch ziemlich weit oben. Auch durch meinen Weg, nach der Krankheit in dieser Saison noch einmal zurückzukommen, war mir sehr wichtig. Die Saison bleibt insofern denkwürdig, aber irgendwie auch nicht.