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Wie ein Elch Kindern hilft

An 39 Görlitzer Geschäften klebt ein grüner Aufkleber. Er zeigt Kindern in Not, wo sie hingehen können.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Daniela Pfeiffer

Durst trieb ein Mädchen vergangene Woche in die Comenius-Buchhandlung auf die Steinstraße. Nicht der Durst nach einem guten Lesestoff, sondern echter Durst. Draußen plagten sich die Menschen gerade mit 38 Grad herum. „Wir wissen nicht mal, ob sie zu uns wegen des Elchs kam“, sagt die Filialleiterin Anja Sorkalle. Das spielte in dem Moment auch keine Rolle, sondern dass die Kleine etwas zu trinken bekam.

Hjördis Kalke Initiatorin des „Elchstark“-Projekts
Hjördis Kalke Initiatorin des „Elchstark“-Projekts © nikolaischmidt.de

Das steht in dem Buchladen immer bereit. Denn das Geschäft ist einer von 39 Partnern im sogenannten Elchstark-Projekt. Alle, die den Elchaufkleber an ihrer Tür haben, sind Anlaufstelle für Kinder in Notsituationen. Erfunden hat es schon vor einigen Jahren Hjördis Kalke, die auf der Brüderstraße das Geschäft „Gut und Schön“ betreibt. Sie hatte schon von der „Guten Fee“ gehört, eine ähnliche Geschichte, die etwa Stuttgart und Chemnitz anbieten. Die Idee, so ein Projekt auch in Görlitz ins Leben zu rufen, entstand nachdem einige Kinder in oder vor ihrem Laden gestrandet waren. Mal war es eine gerissene Fahrradkette auf dem Weg zur Schule, mal eine schlechte Note, mit der ein Kind sich nicht nach Hause traute. Aber auch ein verloren geglaubter Schlüssel und allgemeiner Schul- und Familienfrust mit dem Bedürfnis, auf dem Heimweg mit jemandem zu sprechen und Kraft zu tanken, trieb die Kinder in den Laden. Und ein Erste-Hilfe-Set war ohnehin vorhanden, ein Tee oder eine Tasse Kakao schnell gekocht, ein Telefon griffbereit. „Aus unserer Erfahrung braucht es aber oft gar keine solche Hilfe“, sagt die zweifache Mutter. „Kinder können noch nicht so gut ungewöhnliche Situationen überblicken und geraten dann in Panik, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.“ Meist reichte deshalb schon ein offenes Ohr und ein ruhiges, freundliches Gespräch, um die Kinder zur Ruhe kommen und selbst eine Lösung finden zu lassen. „Sie erkennen dann, daß ihr Problem nicht unlösbar ist und entwickeln eigene Ideen, wie wir ihnen am besten helfen können.“

Ein klein wenig geriet das Projekt dann aber ins Hintertreffen. Bis sich Tobias Sommerer, der in Görlitz soziale Arbeit studiert, in seinem Praktikum intensiv damit befasste – zusammen mit der Hochschule, die es ebenfalls unterstützte. „Wir haben zunächst alle Partner kontaktiert und ein Stimmungsbild erstellt, sie gefragt, wie es läuft, was die Geschäfte brauchen“, erzählt Sommerer. Es stellte sich heraus, dass es Elchstark-Partner gab, wo noch kein Kind war, aber in zentralen Lagen wie etwa dem Marienplatz auch welche, wo schon oft Kinder kamen. „Zum Beispiel wegen Schnittverletzungen, die sie sich beim Spielen am Brunnen zugezogen hatten“, so Tobias Sommerer. Eine weitere Erkenntnis war: Der Elch braucht deutlich mehr Aufmerksamkeit, er war noch zu unbekannt. „Also waren wir viel auf Familienfesten, haben Eltern und Kindern vom Elch erzählt.“ Auch in Schulen und Horten erklärten sie Kindern, was der Elchaufkleber an Geschäften, Banken oder Physiotherapien bedeutet.

Nun ist das Elchstark-Projekt in neue Hände übergegangen: Das Familienbüro Görlitz führt es nun fort. „Es brauchte eine feste Instanz“, erklärt Tobias Sommerer. Lisa Bail und Daniel Wiesner vom Familienbüro wünschen sich, dass zu den 39 Notinseln, wie sie sie nennen, noch mehr hinzukommen. „In der Innenstadt sind wir ganz gut aufgestellt, aber in den anderen Stadtteilen, vor allen an Schulwegen, wäre es schön, noch mehr Partner zu finden“, sagt Daniel Wiesner. Für die es selbstverständlich ist, zu helfen, wenn ein Kind in einer Notlage zur Tür herein kommt. So wie das auch für das Team von der Comenius-Buchhandlung eine Selbstverständlichkeit ist. „Wir wollen einfach da sein, wenn wir gebraucht werden“, sagt Filialleiterin Anja Sorkalle. Dafür steht ein Notfallköfferchen bereit, natürlich der Handlungskatalog und klar, gibt es im Büro auch einen ruhigen Platz, wo sich das Kind vielleicht bis zum Eintreffen der Eltern aufhalten kann.

Wer Interesse hat, auch Partner zu werden (kostenlos), kann sich an das Familienbüro wenden:

www.familienbuero-goerlitz.de