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Wie Hochstapler ticken

Hochstapler können alles, wissen alles und versprechen alles. In Krisenzeiten haben sie Konjunktur. Ein SZ-Gespräch über schönen Schein und bösen Betrug mit der Publizistin Anett Kollmann. 

Von Karin Großmann
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Ein Heiratsschwindler, wie ihn Wolfgang Stumph im Film „Romeo und Jutta“ spielte, braucht viel Charme und Einfühlsamkeit.
Ein Heiratsschwindler, wie ihn Wolfgang Stumph im Film „Romeo und Jutta“ spielte, braucht viel Charme und Einfühlsamkeit. © MDR/Sandra Hoever

Was treibt einen Hochstapler an, Frau Kollmann? Ist es Gier oder Glanz?

Es gibt verschiedene Typen. Meistens sind sie getrieben von einer Mischung aus Geld und Geltungsdrang. Es sind Menschen, die in eine konkrete Rolle schlüpfen, um in der gesellschaftlichen Hierarchie aufzusteigen. Sie wollen ihr eigenes Ich aufpolieren, wollen wichtig sein und anderen imponieren. Damit richten sie manchmal nicht einmal Schaden an wie die klassischen Betrüger.

Zu welcher Kategorie zählen Sie Donald Trump?

Er ist kein Hochstapler. Er spielt nicht die Rolle des besten Präsidenten der USA, er hält sich wirklich dafür – unter Vernachlässigung des Umstands, dass im Staat noch ein paar andere mitreden. Er glaubt, was er von sich behauptet. Der Beste zu sein gehört zu seinem Selbstbild, genauso wie seine angebliche Wirtschaftskompetenz oder dass er sich seinen Reichtum allein erarbeitet hat. Er gibt viel von sich preis, deshalb halten ihn seine Wähler für aufrecht. Trump führt unabsichtlich vor, wie Politik funktioniert. Fake News haben schon andere vor ihm verbreitet, aber nicht so plump.

Ist es nicht Hochstapelei, wenn Politiker goldene Berge versprechen?

Politiker knüpfen an unsere Sehnsüchte an, wie es Hochstapler tun. Sie bedienen sich aus demselben Werkzeugkasten.

Was unterscheidet den Hochstapler vom Lügner?

Hochstapelei ist eine besondere Form der Lüge, die Lüge Mittel zum Zweck. Da ist oft ein spielerisches Element dabei: die Lust, Dinge von einer anderen Seite zu sehen; das Vergnügen, Konventionen infrage zu stellen. Warum dürfen manche Menschen von Geburt an herrschen? Könnte nicht auch einer gut regieren, der seine Geburtsurkunde korrigiert hat? Die Geschichte der Hochstapelei steckt nicht zufällig voller falscher Prinzen und Kalife. Wenn einer die Illusion glaubhaft vorführt, schaut man nicht auf den Stammbaum. Wir vertrauen der Amtstracht, der Robe des Juristen, dem Kittel des Arztes, der Uniform des Piloten oder dem Maßanzug des Managers.

Kaschmir überzeugt?

So ist es.

Gibt die Uniform einem Hochstapler besondere Überzeugungskraft?

Das zeigt das Beispiel des Hauptmanns von Köpenick. Einer seiner Nachfahren hieß Torsten Schmitt. Er hatte schon eine längere kriminelle Karriere hinter sich, als er 2001 während eines Freigangs aus der JVA Halle in der Rolle eines US-Majors mit Diplomatenstatus in Plau am See eine „Nato-Sicherheitskonferenz mit höchster Geheimhaltungsstufe“ organisierte. Er mietete ein Hotel an, den kompletten Trakt einer Privatklinik und Büroräume, die er mit Möbeln, Waffenschränken sowie EDV-Technik ausstatten ließ.

Als Hauptmann verkleidet raubte der Schuster Voigt die Stadtkasse von Köpenick, für Harald Juhnke eine Paraderolle im Film.
Als Hauptmann verkleidet raubte der Schuster Voigt die Stadtkasse von Köpenick, für Harald Juhnke eine Paraderolle im Film. © dpa

Ist das imponierende Äußere die Voraussetzung für einen Hochstapler?

Viel wichtiger ist die Persönlichkeit. Es gab sogar einen Bettler, der sich erfolgreich als Friedrich II. ausgab. Das gelang, weil die Posen und Gesten stimmten. Die berühmteste Hochstaplerin Englands ist die Schustertochter Mary Baker. Sie behauptete, eine chinesisch-malaiische Prinzessin zu sein, die von Piraten gekapert wurde, sich durch einen Sprung ins Meer rettete und ihre kostbaren durchnässten Gewänder bei einer Bäuerin gegen ein Wollkleid tauschte. Mit ihrer Geschichte, ihren exotischen Ritualen und ihrem Sprachkauderwelsch wurde sie in die besseren Kreise eingeladen – bis die Lokalzeitung davon berichtete und eine Leserin ihre einstige Untermieterin erkannte. Mary Baker hatte das Spiel übertrieben. Der Größenwahn ist elementar im hochstaplerischen Programm, doch er führt oft zum Fall.

Es zeugt aber auch von Kreativität und Erfindungsreichtum.

Das ist ein Trugschluss. Hochstapler dürfen gar nicht innovativ sein. Sie denken sich nichts Neues aus, sondern kopieren eine Rolle – und in dieser Rolle müssen sie erkennbar sein.

Bezeichnen Sie in Ihrem Buch die Hochstapelei deshalb als Kitsch?

Ja, denn Kitsch ist die Nachahmung vorhandener Formen. Etwas Edles wird billig kopiert. Der Hochstapler tut nichts anderes. Selbst wenn er einen tollen Anzug trägt, steckt kein toller Manager drin.

Aber er kann sich das einbilden.

Oh ja, Selbstbetrug spielt eine große Rolle. Er beginnt, wenn jemand meint, er könne wirklich als Pilot, Jurist oder Arzt tätig sein. Das hat eine tragische Seite. Mancher glaubt, er sei nicht gut und glänzend genug für die Welt und müsste sich deshalb verstellen und verkleiden.

Kann es sein, dass Sie eine kleine Sympathie für Hochstapler hegen?

Sie sind mir sympathisch, weil sie als Unruhestifter in geschlossene Systeme eindringen. Sie sind Sandkörner im Getriebe einer scheinbar reibungslos funktionierenden gesellschaftlichen Mechanik. Hochstapler sind immer ein Spiegelbild der Gesellschaft – sie zeigen, was erstrebenswert ist. Für falsche Ärzte habe ich allerdings kein Verständnis. Sie führen ja nicht nur andere Ärzte vor, sondern betrügen Patienten. Das kann lebensgefährlich enden.

Warum ist gerade der Medizinerberuf für Hochstapler attraktiv?

Ärzte sind von Standes wegen zu hoher Moral verpflichtet und genießen daher einen Vorschuss an Vertrauen. Sie sind mächtig, denn sie wissen vermeintlich mehr über uns als wir selbst, gelten als gebildet und wohlhabend. Der Hochstapler kann mit den bekannten Klischees spielen. Ein weißer Kittel genügt, dazu etwas Fachchinesisch und ein wenig Arroganz. Das passt zu unseren Vorurteilen. Neu ist das Phänomen freilich nicht. Schon Aristoteles in der Antike klagte falsche Ärzte und Wunderheiler an.

Es ist erstaunlich, wie sich ein Hochstapler als Arzt durchschummeln kann.

Vor zwei Jahren wurde ein Mann wegen Urkundenfälschung, Titelmissbrauchs, Betrugs und Körperverletzung in 80 Fällen angeklagt. Er fuhr als Schiffsarzt auf der „Aida“. Auf die Frage des Richters, ob er nicht Angst gehabt hätte, an seine Grenzen zu kommen, sagte er: Es gab ja noch zwei richtige Ärzte an Bord, und schwere Fälle wurden sowieso an Land gebracht. Der Mann besaß kein Abitur, er hatte nicht Medizin studiert, aber schon als Anästhesist gearbeitet und Vorträge an der Berliner Charité gehalten. Ein anderes Beispiel ist der Fall Postel. Der Briefträger Gert Postel arbeitete zwischen 1980 und 1995 in unterschiedlichen Positionen als Arzt und sollte sogar eine Professur für die landeseigene sächsische Psychiatrie in Arnsdorf erhalten.

Als falscher Arzt machte Gert Postel auch in Sachsen Karriere. Er vermarktete seine Erfahrungen im Buch.
Als falscher Arzt machte Gert Postel auch in Sachsen Karriere. Er vermarktete seine Erfahrungen im Buch. © SZ/Gröning

Auch er wurde unter anderem wegen Täuschung verurteilt. Nicht wegen Hochstapelei?

Dafür gibt es keinen Paragrafen im Gesetz. Es ist auch nicht leicht, eine Betrugsabsicht nachzuweisen. Wenn uns jemand die große Liebe verspricht und wir mit Leib und Seele und unserem Sparbuch folgen, dann tragen wir auch selber die Schuld. Ein Heiratsschwindler wird stets behaupten, wir hätten ihm das Geld freiwillig gegeben, und das wäre wohl nicht mal gelogen.

Dann liegt der Erfolg eines Hochstaplers auch an unserer Leichtgläubigkeit.

Es ist eine Wechselbeziehung zwischen Tätern und Opfern. Hochstapler knüpfen an unsere Wunschvorstellungen an. Das ist wie bei einem Placebo-Medikament: Es hilft, weil wir an die Heilung glauben. Das macht es Heiratsschwindlern so leicht. Sie brauchen nicht einmal wahnsinnig schön auszusehen. Viel mehr setzen sie auf Charme und Überredungskunst. Nicht zu übertreiben ist Teil des Handwerks. Die Romeos der Staatssicherheit wurden darin geschult, gut zu duften, gepflegte Schuhe zu tragen – und vor allem die Frauen scheinbar ernst zu nehmen. Dieses kleine Einmaleins der Verführung muss professionellen Heiratsschwindlern nicht erst beigebracht werden. Das schütteln sie aus dem Ärmel.

Sind Sie schon mal einem Hochstapler aufgesessen?

Zumindest habe ich es nicht bemerkt.

Sind Hochstapler Gewohnheitstäter?

Die Kriminologie geht davon aus. Hochstapelei kann Ausdruck einer Sucht sein.

Aber es ist keine Krankheit?

Gelegentlich zeigen sich klinische Symptome. Ein Hochstapler kann in seiner Persönlichkeit gestört sein, narzisstisch, exzentrisch, geplagt von Verfolgungswahn oder von dem Glauben, nur er könne die Welt retten. Ein ertappter Hochstapler gibt das oft als Begründung an: Er habe nur die Ungerechtigkeit ausgleichen wollen. Ein Versuch, sich reinzuwaschen.

Vielleicht ist es aber ernst gemeint?

Dafür steht die Aktivistengruppe The Yes Men. Sie geben sich als Repräsentanten internationaler Konzerne oder Institutionen aus und karikieren deren Ziele durch Übertreibung. Die Gruppe wurde Anfang der Neunzigerjahre bekannt, als sie die Webseite der Welthandelsorganisation fälschte. Die falsche WTO wurde zu internationalen Konferenzen eingeladen, wo Gruppenmitglieder zum Beispiel den Handel mit Menschenrechtsverletzungen propagierten – und dafür auch noch Dankschreiben erhielten. Ein faszinierendes Phänomen.

Verführt eine Gesellschaft zur Hochstapelei, in der Erfolghaben Pflicht ist?

Das glaube ich nicht. Sicher wissen wir, dass wir in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen. Wir sind aufgefordert, besonders schön, schnell, klug, eloquent und multitalentiert zu sein. Wer meint, dieser Selbstoptimierung nicht zu genügen, setzt sich vielleicht selbst ein Sahnehäubchen auf. Aber das ist nicht Hochstapelei im Sinne eines Betrugs. Wir sind keine Falschspieler. Wir lügen nur manchmal. Wir alle spielen Theater, meinte der kanadische Soziologe Erving Goffman bereits vor 50 Jahren. Wer weiß schon genau, wo die Grenze zwischen Sein und Schein verläuft?

Ist eine Botoxspritze Hochstapelei?

Das würde ich zur Illusion zählen wie Schminke, Toupet oder Korsett. Diese Mittel zur Aufbesserung des schönen Scheins sind inzwischen gesellschaftsfähig.

Neigen Frauen mehr zur Hochstapelei als Männer?

Dazu gibt es widersprüchliche Thesen. Die einen behaupten, dass Frauen von Natur aus zum Hochstapeln neigen. Andere Thesen sprechen Frauen die Fantasie zur Hochstapelei ab. Vielleicht werden sie nur seltener erwischt?

Früher gaben sich Frauen als Mann aus, weil sie sonst nicht zugelassen worden wären zum Studium oder zu einem höheren Amt. Welchen Grund hätten sie heute, als Mann aufzutreten?

Es nützt ihnen zum Beispiel im Literaturbetrieb, weil männliche Autoren öfter Verträge bekommen, die höher dotiert sind, weil sie mehr Preise erhalten und mit ihren Werken mehr Aufmerksamkeit in journalistischen Beiträgen bekommen. Das beweist etwa die Initiative #frauenzählen.

Haben Sie Ihr Buch eigentlich selbst geschrieben?

Das behaupte ich. Und das Vergnügen hätte ich ungern jemand anderem überlassen. Aber wie wollen Sie das nachprüfen?

Buchtipp: Anett Kollmann, Mit fremden Federn. Hoffmann und Campe, 256 Seiten, 22 Euro