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Wie lang wollt ihr noch warten

Sozialkahlschlag. Großenhains Protestpunktrebelliert nicht nur gegen Hartz IV, er informiert auch über Alternativen.

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Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Aus den Lautsprechern am Dianabrunnen röhrt Silly über verfehlte Steuerpolitik „Hut ab, Herr Finanzminister“. Und Sänger Heinz-Rudolf Kunze scheint den Demonstrierenden entgegenzurufen: „Wie lange wollt ihr noch warten, wie weit sie noch gehen?“. Doch vielmehr gilt das Lied denen, die nach wie vor nur mit gebührendem Abstand zuschauen, was der Großenhainer Runde Tisch gegen Hartz IV da veranstaltet. Gemeinsam mit den Riesaer „Kampfkollegen“ protestieren zwei Dutzend PDSler, Leute vom Arbeitslosenverband und Einzelpersonen nach dem Motto „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“. Während Martina Dietze von der Riesaer Anti-Hartz-Initiative auf die Zuschauenden zugeht und ihnen davon erzählt, warum sie bei diesem Protest mitmacht, zeigt sich ein junger Demonstrant enttäuscht: „Schade, dass nicht mehr betroffene Jugendliche hier sind. Den Leuten geht`s noch zu gut. Wir sollten den Protestpunkt auflösen“, ist seine Meinung. Laut schimpfend tappt ein anderer Jugendlicher über den Hauptmarkt. Der ALG-II-Empfänger ist offensichtlich sehr wütend über solche Aufmüpfigkeit.

Einfach Firmen gründen?

Carsten Heine vom Arbeitslosenverband warnt vor steigender Kriminalität und Zulauf für extremistische Gruppierungen. PDS-Frau Caren Lay fordert Alternativen zum derzeit laufenden Sozialkahlschlag. Ein gut gekleideter Passant, der sich auch als Bezieher von ALG II outet, hat eine eigene Lösung parat: „Sollen doch alle Landtagsabgeordneten wie Frau Lay eine Firma aufmachen und die Protestierenden einstellen. Dann ist Ruhe“, denkt er.

Ronald Blaschke von der Sächsischen Armutskonferenz hält das für keine gute Idee. Seiner Meinung nach gibt es in Deutschland schon eine Überproduktionskrise, und es werden einfach nicht mehr Arbeitsplätze. „Statt dessen brauchen wir eine Grundsicherung, die vom Erwerbslohn abgekoppelt ist“, fordert der Dresdner Philosoph, der selbst von monatlich 331 Euro leben muss.

Bekäme jeder etwa 1 000 Euro Basissicherheit im Monat, die ihn von entlohnten Jobs unabhängig macht, ließe sich zum Beispiel gemeinnützige Tätigkeit ohne Finanzsorgen des Einzelnen viel besser verwirklichen. „Diese Grundsicherung belebt die freie Marktwirtschaft und setzt das Recht auf frei wählbare Arbeit durch“, sagt Blaschke. Die Zuhörer der Diskussionsrunde im Alleegässchen nicken, doch viele sind trotzdem skeptisch. „Das ist eine fundamental andere Vision. Wir müssen uns vom bekannten Alltag lösen“, fordert Carsten Heine, der Blaschke nach Großenhain einlud. „Welche Partei das schafft, der gehört die Zukunft“, ist Martina Dietze überzeugt.

Der Landtagsabgeordneten Caren Lay schlagen dabei zwei Herzen in der Brust. Auf der einen Seite kämpft sie als arbeitsmarktpolitische Sprecherin für mehr Beschäftigung, auf der anderen Seite möchte sie Blaschkes Vorstöße unterstützen. „Ein erster Schritt wäre wegzukommen von der Bedarfsgemeinschaft hin zum Individualbezug“ , so Lay. Marianne Gerberth fordert dazu auf, beim ALG-II-Bezug in Widerspruch zu gehen, wenn`s sein muss auch vor`s Sozialgericht. Carsten Heine sieht vor allem die politische Mitte als Plattform: „Dort sitzt die meiste Angst vor sozialem Abstieg und die Gefahr des politischen Abdriftens.“

www.grundeinkommen.de