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Wie sich die Flimmerkiste durchsetzte

Vor 65 Jahren tauchten die ersten Fernseher auf. Warum ein spärliches Programm Tausende vor die Röhre lockte.

Von Bernd Dreßler
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Dieser Mini-Fernseher von 1963 war damals wohl nur der Berliner Funkausstellung vorbehalten. Aber das Gerät zeigte, was seinerzeit schon möglich war.
Dieser Mini-Fernseher von 1963 war damals wohl nur der Berliner Funkausstellung vorbehalten. Aber das Gerät zeigte, was seinerzeit schon möglich war. © dpa

Folgendes Gespräch zweier Passanten könnte sich vor dem Zittauer Rathaus vor etwa 60 Jahren zugetragen haben. Sagt der eine: „Hast Du Deinen Rembrandt noch?“ Darauf der andere: „Nein, ich habe mir jetzt einen Rubens zugelegt.“ Hatten die zwei etwas mit Kunsthandel zu tun? Machten sie gar dunkle Geschäfte? Mitnichten. Die beiden unterhielten sich über ihre Fernsehapparate. Und zwei der ersten Geräte trugen die Namen berühmter Maler. Das Fernsehen begann sich die DDR und damit auch die Oberlausitz zu erobern.

Die Geräte der Anfangszeit waren nicht billig. Wer sich eins leisten konnte, zog Publikum an, wie die Motten das Licht. Als der Bezirksobermeister der Rundfunkmechaniker Gerhard Lamsa in seinem Geschäft an der Inneren Zittauer Straße in Löbau (später Engemann) im August 1954 einen Fernseher aufstellte, da versammelten sich Interessierte „massenhaft auf der Straße“, wie in der Stadtchronik nachzulesen ist. Wenig später wurde deshalb im Löbauer Stadtcafe eine Fernsehstube eingerichtet. Ungefähr zur gleichen Zeit stellte das Gastwirtsehepaar Jungmichel im Kottmarsdorfer Kretscham im Weinzimmer einen „Rembrandt“ auf. Der Wirt (später Inhaber der „Neuen Sorge“ Waltersdorf) versprach sich davon mehr Umsatz. Zu Recht, das kleine Stübchen war meist rappelvoll.

Natürlich setzte der Betrieb von Fernsehgeräten auch entsprechende Empfangsmöglichkeiten voraus. In der Region hat sich darum der Olbersdorfer Rundfunkmechanikermeister Manfred Lubensky verdient gemacht. Als er 1955 das erste in der DDR produzierte Fernseh-Rundfunkgerät „Leningrad“ erwarb, sah er nur Schemen auf dem Bildschirm, denn der nächste Fernsehsender stand in Dresden, 100 km entfernt. Lubensky kam aber mit Gleichgesinnten dahinter, das sich der Empfang verbesserte, je höher man kam und je besser die Sicht zu einem Sender war. Um die Oberlausitz für den Fernsehempfang zu erschließen, begann er deshalb im Oktober 1956 mit Empfangsversuchen auf der Görlitzer Landeskrone. 

So schildert es Dietmar Ullrich aus Oybin, der sich umfassend mit dieser Thematik beschäftigt hat. Eine eigens von Lubensky gebaute Hochleistungsantenne wurde am Turm des Görlitzer Hausberges befestigt, der Empfang in der Berggaststätte ließ kaum etwas zu wünschen übrig. Eine Expertengruppe mit den Rundfunkmechanikermeistern Lamsa (Löbau), Duscha (Eibau) und Kitte (Görlitz) bildete sich. Im Sommer 1957 begann der Bau eines UKW- und Fernsehsenders auf der Landeskrone, später folgten Umsetzer auf Hochwald und Lausche, die den gesamten Kreis Zittau und Teile des Kreises Löbau versorgten. „Ostsachsen war damit erschlossen“, stellt Ullrich fest. Vorerst zumindest.

Eines der ersten Fernsehgeräte war der „Rembrandt“ mit einer Bildschirmgröße von 24 mal 18 Zentimeter.
Eines der ersten Fernsehgeräte war der „Rembrandt“ mit einer Bildschirmgröße von 24 mal 18 Zentimeter. © Sammlung Bernd Dreßler
Die Kottmarsdorfer Wirtsleute Jungmichel füllten mit einem „Rembrandt“ ihre Gaststube im Kretscham.
Die Kottmarsdorfer Wirtsleute Jungmichel füllten mit einem „Rembrandt“ ihre Gaststube im Kretscham. © Sammlung Bernd Dreßler
Als Luxus galt der kombinierte Fernseh-Rundfunkempfänger „Leningrad“. Er kostete anfangs 3.500 Mark.
Als Luxus galt der kombinierte Fernseh-Rundfunkempfänger „Leningrad“. Er kostete anfangs 3.500 Mark. © Sammlung Bernd Dreßler

Und die Geräte? In den ersten Fernsehjahren steckte die Produktion in der DDR noch in den Kinderschuhen. Vielen waren die Empfänger zu teuer und zu groß, der Handel hinkte hinterher. Während man in den öffentlichen Werbeangeboten von HO und Konsum Fernseher noch vergeblich suchte, ging die staatliche Handelsorganisation HO schrittweise dazu über, Spezialverkaufsstellen zu eröffnen, so im November 1959 ein Spezialgeschäft für Rundfunk, Fernsehen und Musikinstrumente in der Löbauer Bahnhofstraße 16 (heute Thalia-Buchhandlung). Auf den Leipziger Messen stellte der VEB Rafena-Werke Radeberg immer neue Geräte vor, vor allem Tischempfänger wie „Favorit S“ oder „Stadion“. Doch die Qualität hielt mit den größeren Stückzahlen, die vom Band rollten, nicht mit. So hatte eine Familie aus dem Raum Bautzen im Frühjahr 1962 den Fernsehapparat „Start 2“ erworben. „Fehlstart“ wäre der treffendere Name gewesen, denn in knapp fünf Monaten musste das Gerät fünfmal zur Reparatur.

Erstaunlich aus heutiger Sicht, wie das Wohnzimmerkino lockte, obwohl das Fernsehprogramm noch in den Kinderschuhen steckte und an Farbfernsehen noch nicht zu denken war. Aber der neue Reiz der bewegten Bilder zog magisch an, egal, was über den Bildschirm flimmerte. Wer wäre heute noch mit einem einzigen zeitlich beschränkten Programm zufrieden, wie es 1962 angeboten wurde, zehn Jahre nach dem Start des „öffentlichen Versuchsprogramms“ des Deutschen Fernsehfunks (DFF)? Hier ein Beispiel aus der Programmzeitung: Am Sonnabend, dem 1. Dezember 1962, wurde zunächst 10.30 Uhr der sogenannte Spätarbeiterfilm vom Vorabend wiederholt: „Menschenblut ist kein Wasser“, eine UdSSR-Produktion. Am Nachmittag empfahl man „Schnitzereien für den Weihnachtstisch“. Dann lud Fernsehkoch Kurt Drummer in seine Küche ein. Und vor der beliebten Unterhaltungssendung „Da lacht der Bär“ ging es noch zehn Minuten lang „Dem VI. Parteitag der SED“ entgegen. Viel Sport wurde übertragen, Eishockey zum Beispiel, ja sogar Rugby. Die Kinder kamen bei „Professor Flimmrich“ und bei „Meister Nadelöhr“ auf die Kosten.

Doch die Zeit blieb nicht stehen. Waren in den ersten Jahren Fernsehstuben noch gut gut gefüllt, saßen da noch ganze Familien beim Nachbarn zusammen, der bereits ein Gerät besaß, so wandelte sich bald das Bild. Die Haushaltsabdeckung mit Fernsehgeräten wurde auch zwischen Oppach und Lückendorf immer besser. Hatte das Fernsehen die Leute in den 1950er/1960er Jahren noch in die Gaststätten gelockt, so war die Zeit nicht mehr weit, dass es ihnen die Gäste raubte. Den Rest besorgte später das Internet. Stammtische zerfielen, vor allem auf den Dörfern ging ein Stück Kommunikation, ein Stück Kultur verloren.

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