Von Manfred Müller
Familiengeschichte kann unglaublich spannend sein. Da entdeckt man plötzlich, dass im eigenen Stammbaum nicht nur bekannte Handelsherren, Wissenschaftler und Politiker vertreten sind, sondern dass sich in seinen aktuellen Verästelungen sogar ein prominenter deutscher Rocksänger findet. Aber zunächst einmal muss man viel Zeit und Muße investieren, um das Gewirr der verwandtschaftlichen Beziehungen aufzudröseln. Christian Frege hat das getan. Seit nunmehr 15 Jahren verfolgt der pensionierte Lehrer aus Bad Gandersheim (Westharz) die Nachkommenslinien seines Ur-Ur-Ur...-Großvaters und fand dabei Erstaunliches heraus. Christian Frege (1682-1753), der als Pfarrer im Lampertswalde bei Oschatz wirkte, hatte in seiner zahlreichen Kinderschar einen besonders begabten Sohn, der in Leipzig ein Bankhaus gründete. Dessen Nachkommen und angeheiratete Verwandte wiederum zählten über fast 200 Jahre zur sächsischen Elite. Einer von ihnen, Kammerherr Arnold Woldemar von Frege-Weltzien, seines Zeichens Vizepräsident des deutschen Reichstages, kaufte im Jahr 1891 Schloss und Palais Zabeltitz, den Park und große Wald- und Agrarflächen. Bis zur Enteignung im Jahr 1945 lebten Teile der Familie im idyllischen Rödertal. 32 Nachkommen des Lampertswalder Pfarrers waren am vergangenen Wochenende zum Frege-Treffen nach Zabeltitz gekommen, um auf ihrer früheren Besitzung den Familiengeist wiederaufleben zu lassen. „Hier vor dem Eingang des Palais habe ich Roller und Rad fahren gelernt“, erinnert sich Frau von Bergen. Der Zabeltitzer Ortschronist Dietmar Enge hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Frege-Clan durch seine frühere Heimstatt zu führen. „Es existieren kaum Schriftstücke aus dieser Zeit, Fotos schon gar nicht“, erklärt er. „Deshalb ist es für mich wichtig, mit Zeitzeugen und deren Angehörigen zu sprechen.“
Und Enge wird sogleich fündig. Im Familienwappen der Frege-Weltziens über dem Palais-Eingang ist ein Fichtenbaum zu sehen, der von zwei Lampertsnüssen (Haselnüssen) flankiert wird. Nimmt man den Baum als Symbol für „Wald“, dann deuten die Symbole auf den Ursprungsort der Familie hin - Lampertswalde. Und die Legende, dass sich der damalige Besitzer Rudolf Jay während der Weltwirtschaftskrise 1928 vom Balkon des Palais zu Tode stürzte, entpuppt sich als historisch ungenau. Das tragische Ereignis vollzog sich auf der Palais-Rückseite, wo der Schwiegersohn des Kammerherren Arnold aus einem höher gelegenen Fenster sprang.
Ansonsten blieb die Tragik beim 5. Frege-Treffen ausgespart. Die Familie hat sich mittlerweile bis nach Großbritannien, Schweden, Australien und Südafrika verzweigt. Anna-Christina Frege aus Niedersachsen etwa ist zum ersten Mal bei einer Clan-Zusammenkunft dabei. Sie bringt die Geschichte ihres Vaters in die Familienchronik ein, der als Fremdenlegionär in Nordafrika kämpfte und seine Lebenserinnerungen 1924 unter dem Titel „Im Land der weißen Sklaven“ veröffentlichte. Dann zieht er eine Zeitung aus der Tasche: „Hier habe ich einen Artikel über unser derzeit wohl bekanntestes Familienmitglied.“ Es ist ein Porträt von Campino, der Leitfigur des deutschen Punkrock. Der Sänger der „Toten Hosen“ heißt mit bürgerlichem Namen - Andreas Frege.