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Wir müssen noch zehn Jahre mit niedrigen Zinsen leben

Der Wirtschaftsweise Bofinger glaubt nicht daran, dass sich bald etwas ändert. Inzwischen soll sich die Regierung zügig um eine Förderung der Altersvorsorge kümmern.

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© ddp

Herr Bofinger, laut Institut der Deutschen Wirtschaft profitieren ärmere Haushalte von den niedrigen Zinsen, weil sie weniger Ersparnisse haben und höhere Schulden. Teilen Sie diese Sicht?

Eigentlich nicht.

Warum nicht?

Von den niedrigen Zinsen profitieren vor allem jene, die investieren. Wer sich in den letzten zwei Jahren eine Immobilie auf Kredit gekauft hat oder wer in Aktien investiert hat, profitiert. Die Verlierer sind jene, die ihre Ersparnisse traditionell in Spar- und Termineinlagen anlegen. Die Niedrigzinspolitik geht bei den Vermögensanlagen eher zulasten der Menschen mit niedrigen Einkommen, weil sie faktisch kein Vermögen haben, das sie über das Sparbuch hinaus investieren können.

Also sind die Sparer die Verlierer der Euro-Rettungspolitik?

Nein, in keiner Weise. Wir haben diese Niedrigzinspolitik nicht nur in der Eurozone, auch in Japan, Großbritannien, der Schweiz, in den USA. Es ist ein globales Phänomen. Die niedrigen Zinsen kommen nicht aus der Rettungspolitik des Herrn Draghi, sondern aus einem globalen Umfeld, in dem die Investitionsneigung und Bereitschaft der Unternehmen, sich zu verschulden, extrem gering ist. Wenn ich als Sparer vier Prozent Rendite für eine sichere Anlage haben will, muss es auf der anderen Seite Menschen geben, die bereit sind, sich auf zehn, 15 Jahre zu vier Prozent Zinsen zu verschulden. Trotz der extrem niedrigen Zinsen ist die Kreditentwicklung sehr schwach.

Kann die EZB dann überhaupt noch etwas mit ihrer Politik bewirken?

Die Frage ist, was passiert wäre, wenn die EZB die Maßnahmen nicht ergriffen hätte. Wenn man die Politik von Mario Draghi verstehen will, muss man zeitlich zurückgehen in den Frühsommer 2014. Da steuerte der Euro-Wechselkurs auf 1,40 US-Dollar pro Euro zu. Das war absolut tödlich für die Wettbewerbsfähigkeit des Euroraums . Die Inflationsrate entwickelte sich deutlich nach unten – weit entfernt von dem, was die EZB als Inflationsziel hat. Das Deflationsrisiko stand im Raum. Draghi war mit den klassischen Zins-Instrumenten am Anschlag. Da hat er sich zum Ankauf von Anleihen entschieden, was die anderen großen Notenbanken längst machten. Das war alternativlos. Das größte Problem an der Debatte über die Geldpolitik der EZB ist, dass man nicht erkennt, dass es nicht eine Laune des Herrn Draghi ist, sondern dass er das macht, das man als Notenbank heute einfach machen muss.

Die Versicherungsbranche befürchtet, dass die nächste Finanzkrise sie trifft wegen der niedrigen Zinsen.

Versicherer können keine Finanzkrise bekommen. Sie haben nicht das Problem wie die Banken, dass Anleger kurzfristig ihr Geld abziehen können oder dass ihre Kredite im Wert kollabieren. Ihr Problem ist, dass sich die Ertragsaussichten reduzieren und die Renditen aus den Lebensversicherungen sinken. Das ist keine Krise über Nacht, sondern ein allmählicher Prozess.

Heißt das, man sollte nicht mehr in Versicherungsform ansparen?

Ein Problem bei der Ersparnis der Deutschen ist das zu geringe Immobilieneigentum. Das hat auch damit zu tun, dass der Kauf der eigenen Wohnung oder des Eigenheims in den letzten Jahren unattraktiv gemacht wurde. Steuerliche Anreize wie etwa die Eigenheimzulage wurden abgeschafft. Stattdessen wurden großzügigste Förderungen des Sparens in Form von Lebensversicherungen wie Riesterrente und Rürüp-Rente gesetzt. Viele Deutsche wären froh, wenn sie sich vor sechs, sieben Jahren eine Wohnung gekauft hätten. Da hat der Staat die falschen Weichen gestellt und so die Mittelschicht in die falsche Richtung gelenkt.

Aber die Banken berichten über einen Boom im Immobiliengeschäft.

Natürlich haben wir da eine gewisse Bewegung. Aber die Wachstumsraten von 2 bis 2,5 Prozent bei Immobilienkrediten sind bescheiden. Viele Immobilien wurden schon längst von Ausländern aufgekauft, die viel früher erkannt haben, was für ein Potenzial im deutschen Immobilienmarkt liegt. Der normale Verbraucher hat den Zeitpunkt des Kaufens vielleicht schon verpasst und ist jetzt hintendran.

Sollten die Deutschen überlegen, ihre Altersvorsorge umzuschichten?

Da will ich keine Empfehlung geben. Aber viele Menschen vergessen einen Punkt, wenn sie sich fragen, kaufe ich mir eine Immobilie oder nicht. Und zwar, wenn sie in der eigenen Immobilie leben, haben sie im Alter einen steuerfreien Ertrag, denn sie müssen keine Miete zahlen. Wenn ich in einer Mietwohnung lebe, muss ich aus meinem Vermögen, das ich versteuern muss, die Miete zahlen. Diese Steuerfreiheit des Wohnens in der eigenen Immobilie wird von Vielen nicht gesehen. Das wird auch in den meisten Presseartikeln zum Für und Wider von Immobilienkäufen nie erwähnt.

Muss die Förderung der Altersvorsorge verändert werden?

Diese Frage wird in der Politik völlig unterschätzt. Es wäre jetzt zum Beispiel sinnvoll, wieder eine Eigenheimzulage einzuführen, damit die Sparer bei der Förderung nicht nur auf Geldvermögensanlagen verwiesen werden. Das würde auch Familien die Entscheidung für die eigenen vier Wände erleichtern. Auch wäre zu überlegen, ob man nicht die gesetzliche Altersvorsorge verbreitern könnte. Wir haben sehr viele Selbstständige, und für manche von ihnen, etwa Ärzte, wäre es sinnvoller, wenn sie in die gesetzliche Rentenversicherung zurückkehren. Sie ist angesichts des Zinsumfelds nicht mehr so schlecht, und wenn die Löhne wieder vernünftig steigen, erhöht das auch die Attraktivität.

Aber wie lassen sich Selbstständige dazu bewegen?

Die Politik muss darüber nachdenken, ob jetzt nicht der Zeitpunkt wäre, die gesetzliche Rentenversicherung generell wieder zu stärken. Vor allem die vielen Scheinselbstständigen gehören in die gesetzliche Rentenversicherung. Der Doppeleffekt wäre, man würde die Rentenversicherung finanziell stärken und Leuten helfen, eine vernünftige Altersabsicherung zu bekommen. Wenn wir jetzt so weitermachen, dann haben wir in zehn, zwanzig Jahren viele ältere Menschen, die bekommen wenig aus ihrer gesetzlichen Rentenversicherung, nix aus ihrer Riester-Rente, und wenn sie sich keine Immobilie gekauft haben, laufen sie noch Gefahr, dass sie aus ihrer Wohnung fliegen. Das führt politisch zu Unzufriedenheit. Deshalb gehört die Altersvorsorge wieder auf den Tisch.

Wagen Sie eine Prognose, wie lange diese Niedrigzinsphase anhalten wird?

Es ist nicht zu erkennen, dass sich an dem Problem des globalen Nachfragemangels etwas ändert und die Mittelschicht höhere Einkommenszuwächse bekommt. Da muss man sich schon längere Zeit auf ein Niedrigzinsumfeld einstellen. Das muss nicht null oder ein Prozent heißen, aber zwei Prozent sind auch nicht grad viel.

Was heißt längerer Zeitraum?

Zehn Jahre.

Warum ist es im Interesse des Normalbürgers, dass die Währungsunion nicht beschädigt wird?

Wenn wir uns jetzt sehr entspannt zurücklehnen, weil es uns wirtschaftlich gutgeht, hat das viel mit der Währungsunion zu tun. Dank des Euros kann die deutsche Industrie ihre Wettbewerbsvorteile in Europa voll ausspielen, weil sie nicht mit gefährlichen Aufwertungstendenzen kämpfen muss, denen Währungen wie heute der Schweizer Franken oder früher die D-Mark unterliegen. Die deutsche Wirtschaft ist der absolute Profiteur dieser Währungsunion. Wir fixieren uns viel zu sehr auf die knapp 90 Milliarden Euro, die in Griechenland im Feuer stehen.

Das ist aber eine gigantische Summe.

Ja, natürlich. Aber insgesamt stehen wir extrem gut da. Das wird viel zu wenig gesehen. Wegen der Situation in Griechenland das gesamte Projekt zu gefährden, halte ich für problematisch. Herr Sinn sieht das gelassen. Seiner Ansicht nach könnten Länder in die Eurozone ein- und wieder austreten. Aber das ist nicht der Sinn der Währungsunion. Sie soll eine irreversible Währungsunion sein. Denn sonst würden die Finanzmärkte ständig spekulieren, wer geht raus, wer geht rein. Dann haben wir wieder ein System wie vor 1999 mit allen Problemen, die ein solches System hat.

Musste Griechenland deshalb

im Euro gehalten werden?

Ein Grexit hätte am Ende noch mehr Geld kosten können als die jetzige Lösung. So hätte man die griechischen Schulden unmittelbar und endgültig abschreiben müssen. Und die Griechen hätten zunächst einmal kein Geld gehabt, um die nach dem Grexit massiv verteuerten Importe zu bezahlen. Da dazu Energie und pharmazeutische Produkte zählen, hätte man allein schon aus humanitären Gründen diese Lücke finanzieren müssen. Und wenn das Land als Ergebnis des Grexit endgültig in den Ruin getrieben worden wäre, wäre Europa auf absehbare Zeit kaum um dauerhafte Transfers umhingekommen.

Das Gespräch führte Nora Miethke.