"Wir sehen uns, ich kriege dich"

Meißen/Dresden. Es muss ein mächtiger Tumult gewesen sein in einer Dresdner Disko in jener Februarnacht vorigen Jahres. Am Ende liegen mehrere Personen am Boden mit tränenden Augen. Denn es wurde Reizgas gesprüht. Mehrere Unbeteiligte wurden dadurch verletzt, mussten teils im Krankenhaus behandelt werden. Der vermeintliche Täter sitzt nun auf der Anklagebank des Meißner Amtsgerichtes. Auch alle Zeugen sind da, ebenso ein Dolmetscher für den 19-jährigen Afghanen.
Dennoch droht die Verhandlung zu platzen. Denn der Angeklagte ist von Radebeul nach Dresden umgezogen. Weil im Jugendstrafrecht das Wohnortprinzip gilt, das heißt, es wird an dem Amtsgericht verhandelt, in dessen Bezirk der Angeklagte wohnt, ist eigentlich das Amtsgericht Dresden zuständig. Richterin Ute Wehner entscheidet, dennoch zu verhandeln. Das kann sie, muss sie aber nicht.
Zeugen können oder wollen sich nicht erinnern
Der Angeklagte, dem auch der Besitz einer geringen Menge Rauschgiftes zur Last gelegt wird, streitet es ab, in der Disko Reizgas versprüht zu haben. „Es kamen ein paar Araber. Die waren besoffen und wurden nicht in den Klub eingelassen. Ich weiß nicht, was die von mir wollten. Sie haben mich beleidigt, ich verstehe aber Arabisch. Ein Freund wollte mir helfen und hat Pfefferspray gesprüht“, sagt er in fast perfektem Deutsch.
Vor Ort konnte die Polizei keinen Täter feststellen, so eine Polizistin. Laut Beschreibung von Zeugen kamen drei südländisch aussehende Männer in Betracht. Der Angeklagte sei aber nicht darunter gewesen, so Zeugen.
Vor Gericht können oder wollen sich die meisten Zeugen nicht erinnern oder haben nichts gesehen. Dann wird der Kumpel des Angeklagten in den Gerichtssaal zitiert. Der 30-Jährige, ebenfalls ein Afghane, kann sich an nichts erinnern. „Ich war total betrunken“, sagt er. Zur Zeugenvernehmung ist er damals nicht zur Polizei gegangen, was er allerdings auch nicht muss. Auch schriftlich will er sich nicht geäußert haben. Als ihm die Richterin seine schriftliche Aussage vorlegt, schwenkt er um. Ja, ein Betreuer habe die geschrieben nach seinen Angaben. Heute wisse er das nicht mehr so genau. Er sei später mit einem Messer attackiert worden, habe im Koma gelegen, könne sich seitdem an nichts mehr erinnern.
Urteil, aber keine Verurteilung
In der schriftlichen Aussage belastet er den Angeklagten schwer. Dieser sei von zwei, drei Arabern beleidigt und attackiert worden. Der Angeklagte habe sein Pfefferspray seiner der Tasche genommen und den Leuten in die Augen gesprüht, heißt es dort. Eine Schutzbehauptung?
Nicht der Angeklagte sei der Täter gewesen, sondern der Zeuge, der gerade den Saal verlassen habe, sagt ein Mitarbeiter der Security. Er ist zuvor von jenem Zeugen vor dem Gerichtssaal bedroht worden. „Wir sehen uns, ich kriege dich“, soll dieser gedroht und dabei eine Handbewegung gemacht haben, als wolle er ihm den Hals abschneiden.
Statt einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung käme auch eine wegen fahrlässiger Körperverletzung in Betracht, so die Richterin. Es gibt zwar ein Urteil, aber keine Verurteilung. Denn der Angeklagte wird mangels Beweisen freigesprochen. Die Tat sei ihm nicht zweifelsfrei nachzuweisen, so die Richterin. Sie habe jedenfalls erheblich Zweifel, dass der Angeklagte der Täter gewesen sei. Das Urteil ist bereits rechtskräftig, aber der Mann wird weiter mit der Justiz zu tun haben. Verfahren wegen Raubes, Körperverletzung und wegen Drogenhandels sind noch anhängig.
Bitter wird es auch für den Zeugen. Er kommt jetzt für diese Tat als Täter in Betracht, muss mit einer Anklage rechnen. Und ebenso wird er sich für die Bedrohung eines Zeugen verantworten müssen.