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„Wir sind jetzt mal weg“

Monika und Johannes Johne standen für die Diakonie, für den Martinstift in Sohland. Das ändert sich nun.

Von Sebastian Beutler
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Johannes und Monika Johne vor einem der Gebäude im Martinstift in Sohland. 1986 begann hier ihr gemeinsamer Weg in der Oberlausitz. Nun gehen sie gemeinsam in den Ruhestand.
Johannes und Monika Johne vor einem der Gebäude im Martinstift in Sohland. 1986 begann hier ihr gemeinsamer Weg in der Oberlausitz. Nun gehen sie gemeinsam in den Ruhestand. © Nikolai Schmidt

Für die Bewohner des Sohländer Martinstiftes ist es dieser Tage wie immer. „Hallo Herr Johne“ ruft eine Frau, als Johannes Johne kommt. Der langjährige Diakonie-Chef ist schon lange nicht mehr Leiter des Martinstiftes, doch an dem Hof oberhalb der Dorfstraße hängt sein Herz doch besonders. 

Als er 1986 zusammen mit seiner Frau Monika vom Vogtland in die Oberlausitz kam und den Martinstift als Hauseltern übernahm, da war die Anlage – den Verhältnissen in der DDR geschuldet – heruntergekommen. „Graue Farbe, undichtes Dach, Kohleheizung, große Schlafsäle für die Behinderten. Die Welt war hier stehengeblieben“. Wenn sich Monika Johne an diese ersten Jahre erinnert, muss sie sich manchmal selbst wundern, was in den vergangenen Jahren alles geworden ist. 

Und sie erinnert sich noch genau an den Auftrag, den die Diakonie an sie gestellt hatten: „Versuchen Sie, daraus etwas zu entwickeln.“ 33 Jahre haben sie gemeinsam nun dafür gearbeitet. Er anfangs im Martinstift, später als Leiter von Diakonie-Stiftungen, sie blieb im Martinstift. „Aber es ist uns gelungen“, sagt Monika Johne und schaut ihrem Mann lange in die Augen.

Gemeinsame Arbeit und Rente

Und jetzt ist Schluss. Für die Johnes. Sie gehen gemeinsam in den Ruhestand: Sie, die noch in diesem Monat 63 Jahre alt wird, als Leiterin des Martinstiftes in Sohland; er, der vor zehn Tagen seinen 65. Geburtstag feierte, als Vorstand der Diakonie. Nur einen kleinen Nebenjob erledigt Johne noch für die Diakonie. Loslassen wollen sie nun. Das gehe ganz einfach, sagt er. „Es ist doch schön, wenn noch niemand sagt, na wann geht er denn endlich“, sinniert er. „Was will man mehr. Es ist alles gut.“ 150 Gäste haben sich zur Verabschiedung des Ehepaares an diesem Freitag angesagt: Ausdruck der Wertschätzung, aber auch Zeichen für die damit verbundene Zäsur.

Johnes stammen beide aus christlichen Elternhäusern, und wie alles so kam, ist nicht zu verstehen, wenn man die Zustände in der DDR nicht kennt. Sie lebten damals in Westsachsen, im ganz roten Teil des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, wie Monika Johne sagt. Kindern mit christlichem Hintergrund wurde damals das Studium verwehrt. Der Pfarrerssohn Johannes Johne macht eine Ausbildung zum Elektriker. Seine Frau ist ebenso nicht bei den vier Schülern dabei, die aus ihrer achten Klasse auf die Erweiterte Oberschule wechseln durften. Sie wird Bauzeichnerin. In jenen Jahren lernen sie sich kennen, das war vor 45 Jahren, 43 davon sind sie nun verheiratet.

Und sie beschließen, nochmal neu anzufangen, machen eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. Im Vogtland arbeiten sie in einem evangelischen Heim, fühlen sich eigentlich wohl, haben Freunde und gute Bekannte, darunter auch den Großvater von Schlagersängerin Stefanie Hertel, sind beheimatet in einer rührigen Kirchgemeinde. „Die haben alle nicht so recht verstanden, warum wir weggehen wollen“, erinnert sich Johne, der später der Patenonkel der Sängerin wurde. 

Doch Johnes wollen gern selbst ein Heim führen. Dass es Sohland wurde, war eher Zufall. Kirchenrechtlich gehört der Ort bis heute zur sächsischen Landeskirche. Und in den 140 Jahren, in denen es den Martinstift gibt, bestanden auch immer enge Beziehungen zum Löbauer Landrat, der bis 1942 im Vorstand des Trägervereins saß. So bietet die Sächsische Diakonie auch Sohland als Ort für den Wechsel den Johnes an. Und die greifen zu. Obwohl sie damit ins „Tal der Ahnungslosen“ ziehen.

Die Johnes kennen mittlerweile die Geschichte des Stifts aus dem Eff-Eff, haben selbst dazu beigetragen, sie zu erforschen, und die letzten Jahre an ihr mitgeschrieben. Darunter die vielen schönen Seiten der Hinwendung zu Menschen, die Fürsorge benötigen. Anfangs war es ein Haus für Umherziehende, alleinstehende Männer, später Behinderte. In den letzten Kriegsjahren und danach wird das Martinstift als Heimstatt vieler genutzt, nach dem Krieg kommen Vertriebene, seit Anfang der 1970er Jahre kümmert man sich hier um behinderte Menschen.

Aber auch die traurigen Episoden der Geschichte fallen nicht unter den Tisch, vor allem die Ermordung von fast 100 behinderten Bewohnern 1942, zumeist in Großschweidnitz, Arnsdorf oder Pirna-Sonnenstein. Zehn Namen finden sich aber auch im Kirchenbuch von Sohland, auffällig gehäufte Todesfälle innerhalb von 14 Tagen. „Martinsuppe“, soll ihnen gespritzt worden sein, erzählten nach dem Krieg noch lange benachbarte Bauern und meinten damit: Gift. Die Euthanasie war in Sohland lange vergessen und verdrängt worden, Archive gab es keine mehr, weder hier noch bei der sächsischen Diakonie in Radebeul. 

Bis Johannes Johne bei Bauarbeiten in einer Ritze einen Briefverkehr zwischen dem Sohländer Pfarrer und dem Löbauer Landrat fand, indem die „Verlegung“ der Behinderten angeordnet wurde. Noch heute widmen sich Oberschüler aus Reichenbach regelmäßig diesem düstereren Kapitel, ein Gedenkstein mahnt auch auf dem Hof des Martinstifts, dass solche Menschenverachtung nicht wieder um sich greifen darf.

Die Geschichte ist den Johnes wichtig. Aber auch die Gegenwart und all die Veränderungen, die in den drei Jahrzehnten möglich wurden. Gebaut hatten die Johnes schon immer. Das Material holte Johannes Johne anfangs mit dem Privatauto aus dem Vogtland, dann wurden zu DDR-Zeiten nach Feierabend Wände gestellt, Zimmer eingeteilt. „Wie es damals halt so war“, sagt er. Zug um Zug verbesserte sich die Situation, neue Zimmer konnten eingerichtet, die großen Schlafsäle mit zwölf Betten aufgelöst werden. 

Der politische Umbruch 1989 bot aber auch für den Martinstift ganz andere Möglichkeiten: Aufzüge wurden angebaut, Fluchtwege für den Brandfall, Brandschutztüren, die Zimmer saniert, Bäder eingebaut. So tat es Johannes Johne auch, als er größere Aufgaben übernahm: erst das Altenheim in Reichenbach, das heute auch Martinstift heißt. Später kamen auch noch Diakonie-Heime in Görlitz, Kindergärten, Sozialstationen und vieles mehr dazu. 

Seit die Görlitzer Diakonie und der Rothenburger Martinshof zur Diakonie St. Martin zusammengegangen sind, leitete Johne als einer von vier Vorständen einen der größten Arbeitgeber in der Oberlausitz mit. Er sei ein Mensch der Zahlen, sagt sie über ihn. Und doch fließen viele weitere Talente in seine Arbeit ein: der Blick fürs Ganze, das Handwerkliche, die christliche Nächstenliebe. „Ich war zwar immer Angestellter, aber ich habe die Stiftungen geführt wie meine eigene Firma“, sagt er.

Pilgern ans Ende der Welt

Die Diakonie-Fusion war ihm noch einmal wichtig. In diesen Tagen besucht er auch alle Einrichtungen, gibt seine Generalschlüssel ab. Monika Johne hat ihren Nachfolger bereits eingearbeitet. Mit einem großen Fest im Martinstift feiern sie nächste Woche nochmal. So ist alles bereitet für den Abschied. Und einen Neuanfang. Mehr Zeit für die drei Kinder und acht Enkelkinder in Dresden und Horka, für Freundschaften, fürs Reisen. Er will seiner Orchideen-Leidenschaft nachgehen und plant im Herbst mit einem Blumenfreund eine Reise auf die Mittelmeerinsel Zypern. 

Doch zunächst gehen sie gemeinsam pilgern. Ende April starten sie in Südfrankreich auf dem Jakobsweg, 800 Kilometer bis zum Atlantik nach Finisterre in Galicien – ans Ende der einst bekannten Welt. Ihre Ausstattung haben sie beieinander, eigentlich könnte es morgen losgehen. In ein neues Lebensabenteuer.

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