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„Wir sind keine Gegner des Ökostroms“

Aber Bürgerinitiativen-Sprecher Markus Cording erklärt, warum nicht jedes Windrad nötig ist.

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Von Anja Hecking

Wo immer gegenwärtig Pläne für neue Windräder ruchbar werden, entbrennt eine heftige Debatte über das Für und Wider. Auch staatliche Programme nehmen nun stärker die Belastungen solcher Anlagen für Mensch und Natur in den Blick. Und es wächst der Widerstand, auch damit muss der regionale Planungsverband am Montag beschäftigen. Wie aktuell das alles gerade für die Bürgerinitiativen im Raum Görlitz ist, darüber sprach die SZ mit Markus Cording. Der Deutsch Paulsdorfer war 2004 Mitinitiator und Sprecher einer der ersten Windkraft-Bürgerinitiativen im Landkreis.

Wie nah sollen Windräder an den Wohnhäuser stehen? Zwar gibt es Vorschriften, aber manchem gehen die schon zu weit. Diese Windräder bei Niederreichenbach akzeptieren die Anwohner. Foto: Nikolai Schmidt
Wie nah sollen Windräder an den Wohnhäuser stehen? Zwar gibt es Vorschriften, aber manchem gehen die schon zu weit. Diese Windräder bei Niederreichenbach akzeptieren die Anwohner. Foto: Nikolai Schmidt

Herr Cording, wie nehmen Sie die aktuellen Projekte für Windfelder wahr?

Investoren von Windkraftanlagen verstärken derzeit ihren Druck auf den Landkreis. Sie fordern mehr Windfelder. Hintergrund dafür ist die aktuelle Landesentwicklungsplanung in Sachsen. Das wird sich auf die Regionalpläne auswirken. Gestärkt sehen sich Investoren auch durch die Bundespolitik – der Atomunfall in Fukushima hat den Fokus erneut auf alternative Energien ausgerichtet. Nur ist diese Entwicklung nicht gleichzusetzen mit allein mehr Windrädern. Schon 2004 waren wir als Bürgerinitiative in Deutsch Paulsdorf dem Vorwurf ausgesetzt, Gegner der dringend nötigen Energiewende zu sein. Aber wir sind keine Gegner erneuerbarer Energien.

Wenn Bürgerinitiativen keine Gegner von Windkraft sind, was sind sie dann?

Wir üben lediglich Kritik am Geschäft mit dem Wind, wenn das „Schutzgut“ Mensch – wie es von der Politik jetzt immer so schön gesagt wird – ebenso wie Flora, Fauna und Landschaft unverhältnismäßig beeinträchtigt werden. Aber inzwischen nehme ich eine aktuelle, breite und aktive Bürgerschaft wahr, die sich mit dem Geschäft der „Windkraft“ auseinandersetzt, so wie wir 2004 in Form einer Bürgerinitiative.

Meinen Sie damit die Bürgerinitiative in Königshain, die Proteste in Melaune?

Ja, vieles gleicht sich. Unsere Bürgerinitiative hat ähnlich begonnen wie viele aktuelle jetzt auch – mit Unterschriftenaktionen und einem starken örtlichen Bezug. Dabei geht es um direkte Betroffenheit. Ich glaube, wir waren 2004 die erste Bürgerinitiative in Ostsachsen, der es gelungen war, eine Anhörung zu erreichen. Daran waren dann Investoren, Landesdirektion und Bürgerinitiative gleichberechtigte Beteiligte.

Hatten Sie damit damals Erfolg?

Dadurch kam es zu einer unmissverständlichen Signalwirkung: Wir sind als Bürgerinitiative ein ernstzunehmender Verhandlungspartner. Heute weiß ich, das war ein bedeutender Schritt – jedoch der zweite oder dritte vor dem ersten.

Wie meinen Sie das?

Der erste Schritt beginnt bei der Landesentwicklungsplanung, der zweite im Regionalplan. Dort werden auch Vorranggebiete für Windenergie festgelegt. Das war bei uns damals gerade durch. Ein Status quo also, der für eine Bürgerinitiative fast unumkehrbar ist. Das ist im Moment anders. Neue Windfelder kann der Regionalplan erst nach seiner Überarbeitung ausweisen. Deshalb muss sich aus der direkten Betroffenheit ein schnelles und stetiges Interesse dafür in den Bürgerinitiativen entwickeln.

Worauf können denn Bürgerinitiativen jetzt Einfluss nehmen?

Auf Kriterien zur Errichtung von Windkraftanlagen. Der Landkreis Görlitz muss erreichen, dass wesentliche Kriterien definiert werden. Bisher waren einfach die Spielräume zu groß. Dadurch waren zu viele Auslegungsvarianten während der Genehmigung zugelassen. Auch die Bürgermeister benötigen Kernkriterien, wenn sie noch ein Stück weit objektiv entscheiden wollen. Das ist schwierig, wenn sie angesichts knapper Kassen auf nicht unwesentliche Steuereinnahmen aus Windkraftanlagen hoffen können.

Welche Kriterien schlagen Sie vor?

Dabei geht es um Mindestabstände, den Ausschluss bestimmter Standorte und Ausgleichsmaßnahmen. Wichtig sind folgende Punkte: Ein Abstand von mindestens 1 000 Metern zu Wohnorten bei Windrädern ab einer Nabenhöhe von 150 Metern; ein Mindestabstand von zehn Kilometern Luftlinie zwischen Windfeldern; keine landschaftlich schützenswerte Kuppen und deren Umgebung, keine Wälder als Standorte; Vorrang für die Erweiterung von Windparks anstelle der Erschließung neuer Flächen; eine festgeschriebene Höhenbegrenzung; der zwingende Nachweis von Ausgleichsmaßnahmen und deren tatsächlichen Umsetzbarkeit in der Baugenehmigung für neue und Ersatzanlagen.

Warum legen Sie so viel Wert darauf ?

2004 gab es zwar einen „Windleitfaden“ des Freistaates. Aber der ließ viel Spielraum für Interpretationen. Deshalb sind klare Kriterien so wichtig. Unsere Bürgerinitiative scheiterte damals während der Anhörung und hoffte dann auf sinnvolle Ausgleichsmaßnahmen. Hierbei ging es nicht um Geld für die Ortschaftskasse. Wir wollten zum Beispiel Ersatzpflanzungen. Das Schutzgut „Mensch“ stand vor neun Jahren eher am Rande dieser Abwägungen. Für Fledermäuse, Bussard und Seeadler gab es Mindestabstände, aber für den Menschen nicht. Am Spitzberg bei Deutsch Paulsdorf wurden Ende 2006 die damals größten Windräder in der Oberlausitz errichtet – jedes 194 Meter hoch. Der zu erwartende Geräuschpegel war nur computergestützt berechnet worden. Heute würde ich auf echte Referenzmessungen bestehen.

Wie groß sind die Beeinträchtigungen?

Investoren werden lächeln, wenn ich sage, dass unser Hausberg, der Spitzberg – eine landschaftlich schützenswerte Kuppe – nicht mehr der Ort von Ruhe und Beschaulichkeit ist, der er einmal war. Für mich, als arbeitenden Pendler, sind die Windräder ab der Autobahnabfahrt Weißenberg eine „gute“ Orientierung. Wir leben damit, dass wir regelmäßig Geräusche hören, die ähnlich einer Waschmaschinentrommel sind. Interessant dabei ist die Erfahrung, dass Einwohner, die noch weiter weg wohnen, die Geräusche viel stärker wahrnehmen, weil diese vom Friedersdorfer Berg zurück- hallen. Der nicht unerhebliche Lärm des Windfeldes erinnert mich regelmäßig daran, dass wir als Bürgerinitiative noch erfahrener und entschiedener handeln müssen, sollten Windfelder erweitert oder mit höheren Anlagen ausgestattet werden.

Was raten Sie neuen Bürgerinitiativen?

Wichtig ist die volle Konzentration auf die derzeitige Entwicklungsplanung und die Unterstützung des Landkreises Görlitz, um die genannten Kriterien gesetzlich zu verankern. Hierzu sollten Bürgerinitiativen regelmäßig das Gespräch mit dem Landratsamt finden. Lesen Sie die Veröffentlichungen des Amtsanzeigers, um aktuell zu erfahren, wo Windkraftanlagen beantragt werden oder Verfahren für die Genehmigung laufen. Das ist wichtig für die Einspruchsfristen. Den Stand der Landesentwicklung kann man online verfolgen. Werben Sie bei den Landtagsabgeordneten um politische Unterstützung für die Kriterien.

Womit müssen Initiativen rechnen?

Veränderung braucht Druck mit Sachargumenten, politische Lobbyarbeit und Ausdauer. Das hat so mancher Beteiligter am Windgeschäft einer Bürgerinitiative voraus. Sie müssen sich auf Gegenwind gefasst machen. Der Kreis Görlitz war schon 2007 einer der ersten im Freistaat, der das Energie- und Klimaprogramm überdurchschnittlich erfüllt hatte. Das wird aber von Investoren in jüngster Zeit gern etwas anders dargestellt. Klimaschutz bedeutet nicht gleich Ausbau der Windkraft, sondern schonender Umgang mit vorhandenen Ressourcen. Der Gegenwind kann zum „Lüftchen“ werden, wenn die Spielregeln des Windgeschäftes endlich geregelt sind.