„Wir sind selbst das Volk“

Landkreis Meißen. Irrational sei die Stimmung im Landkreis derzeit. Das stört den Mathematiker in Bernhard Kroemer, und deshalb tritt er an. Zur Landtagswahl will es der 66-Jährige noch einmal wissen. Den Wahlkreis rund um Radebeul möchte der frühere Coswiger Bürgermeister für die Freien Wähler gewinnen. Seinen Hauptgegner nennt er klar beim Namen. „Ich möchte die AfD so klein wie möglich halten“, sagt der Kreisrat. Die Alternative vergiftet in seinen Augen mit Polemik und Populismus die Gesellschaft.
Ein gutes Beispiel liefert der Riesaer AfD-Landtagskandidat Carsten Hütter. Wer die Einträge auf dessen Facebook-Seite ernst nimmt, dürfte im Dunkeln nicht mehr auf die Straße gehen oder ein Freibad im Kreis besuchen, da Übergriffe ausländischer Straftäter drohen. Fakt ist: Der Ausländeranteil im Kreis Meißen liegt derzeit bei rund drei Prozent. Seit 2012 geht zudem die Kriminalität kontinuierlich zurück und erreichte im vergangenen Jahr den niedrigsten Stand seit 2009.
Gegenüber von Bernhard Kroemer hat Dieter Wamser am SZ-Redaktionstisch Platz genommen. Er kandidiert im Großraum Riesa. Bekanntheit hat der 66-Jährige als Vorkämpfer für verbesserten Hochwasserschutz an der Elbe erlangt. In Bezug auf die AfD könne er Bernhard Kroemer nicht folgen, sagt der Kommunalpolitiker. Er trete nicht gegen eine bestimmte Partei an, sondern für eine Sache.
„Auf kommunaler Ebene sind wir als Freie Wähler aus den Gemeinde- und Stadträten mittlerweile nicht mehr wegzudenken“, sagt Wamser. Dafür sei vor allem die fachliche Kompetenz der Abgeordneten verantwortlich. Genau mit diesem Pfund wolle man künftig auch im Landtag wuchern. CDU, SPD, Linke und Bündnisgrüne agierten dort zunehmend abgehoben.
Er müsse immer lachen, wenn deren Politiker erklärten, sie hätten das Ohr am Volk. „Da sind wir noch viel näher dran. Wir sind nämlich selbst das Volk“, so der Diplom-Ingenieur. Die Berufspolitiker müssten endlich wieder lernen, auch andere Meinungen zuzulassen.
Einzige Frau im Quartett ist Britt Reimann-Bernhardt. Mit ihrer grünen Hose sticht die Diplom-Psychologin auch farblich heraus. Ausgangspunkt für ihr politisches Engagement war ein Treffen von Bürgerinnen und Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft auf Gut Gödelitz in der Lommatzscher Pflege.
Einig waren sich alle in dem Unbehagen über das Abdriften von Teilen der Gesellschaft hin zu politischen Extremen. „Für mich hat sich im Anschluss die Frage gestellt, wie es nun weitergeht. Ich wollte es nicht beim Reden belassen“, sagt die Mittvierzigerin.
Bei den Freien Wählern bemerke sie einen deutlichen Unterschied zu den etablierten Parteien. Es werde viel lebhafter diskutiert und gestritten. Niemand drücke von oben etwas durch. Es herrsche eine größere Vielfalt.
Die Mutter von vier Kindern und Kandidatin für den Wahlkreis Meißen wünscht sich, dass nicht immer nur über Geld gesprochen wird, sondern mehr über Ideen und Konzepte. „Bloß weil statt einer Kreidetafel eine digitale Tafel an der Wand hängt, lernen die Kinder nicht besser.“
Bildung stellt auch ein zentrales Thema für André Langerfeld dar. Energisch drängt der 47-Jährige beim Gespräch in der SZ-Redaktion darauf, die programmatischen Inhalte der Freien Wähler populärer zu machen.
Der Unternehmer kritisiert die Zwei-Klassen-Gesellschaft im sächsischen Schulsystem. Es müsse dringend für mehr Bildungsgerechtigkeit gesorgt werden. „Das fängt schon in den Kitas an“, sagt Langerfeld. Der Freistaat habe die Pflicht, Krippen und Kindergärten auskömmlich zu finanzieren. Die im Gesetz festgelegte Selbstverwaltung könnten viele Kommunen gar nicht wahrnehmen, da ihnen dafür die finanziellen Mittel fehlten.
Parallel sieht der Kandidat für den Wahlkreis rund um Großenhain ein Demokratiedefizit in Sachsen. Das zeige sich selbst bei der Landeszentrale für politische Bildung. Diese hat die Kandidaten der Freien Wähler kurzerhand von ihren Diskussionsforen in den Wahlkreisen ausgeschlossen. Begründung: Sie seien politisch unbedeutend. „Irrational“ würde das wohl Mathematiker Bernhard Kroemer nennen.