Von Bernd Dreßler
Wenn der Oberlausitzer in Urlaub fährt und in anderen Gegenden Deutschlands so richtig in seiner Mundart quirlt, ist er schon oft für einen Engländer gehalten worden. Wer weiß da schon den Begriff „Naast“ als Bett zu deuten, wenn ein Oppacher oder Großschönauer in einer Ferienunterkunft seinem Gastgeber erklären möchte, dass er sich zur Nachtruhe begibt. Manch Bayer, Friese oder Pfälzer hätte da gern ein Wörterbuch zum Nachschlagen, um die Leute aus dem östlichsten Zipfel Deutschlands besser zu verstehen. Ihnen kann nun bald geholfen werden, noch in diesem Jahr soll ein Oberlausitzer Mundartwörterbuch erscheinen.
Seit 1970 sammelt Hans Klecker aus Zittau Mundartbegriffe. Es sind Stichwörter aus fast allen Lebensbereichen. In allen Landkreisen des historischen Markgrafentums Oberlausitz, also von Löbau-Zittau bis Kamenz, hat Klecker (Jahrgang 1948) dazu Befragungen geführt, hat auch, wie er erklärt, grenzüberschreitende Begriffe aus Schlesien, Nordböhmen und Ostmeißen nicht vergessen. So ist er in mühseliger Kleinarbeit mittlerweile auf 11 000 Begriffe gekommen.
Hans Klecker, der Jahrzehnte in der Textilindustrie arbeitete und nun seit 1996 in Zittau eine Oberlausitz-Agentur betreibt, gibt zu, dass die Arbeit an diesem Werk geschlaucht hat. „Seit Jahren bin ich nicht mehr dazu gekommen, ein Gedicht oder eine Schnake zu schreiben“, sagt der Mundartschriftsteller, von dem zahlreiche Bücher erschienen sind. Nun will er einen Schlusspunkt unter das Mundartwörterbuch setzen, unter ein Werk, das es so in der Oberlausitz noch nie gegeben hat.
Hans Klecker wusste genau, dass er sich mit der Arbeit an diesem Wörterbuch auf ein anspruchsvolles Terrain begibt. Denn die Oberlausitzer Mundart mit einer einheitlichen Sprechweise gibt es nicht. Nach Wortschatz, Sprachmelodie und Artikulation wird in Sprachgebiete von Westlausitzisch bis Ostlausitzisch unterschieden (siehe Grafik). Auch so genannte Kürzungsmundarten fehlen nicht. Die, die sie sprechen, werden auch als „Schlucker“ bezeichnet, wie im Raum Seifhennersdorf. Mehr noch: Eigentlich „hatte jeder Ort seine eigene Sprache“, wie Klecker schon in seinem Buch „Gequirltes“ im Jahr 2000 feststellte.
Das alles und noch mehr hatte der Mundartforscher bei der Arbeit an dem Wörterbuch zu berücksichtigen. Um „Wildwuchs“ zu vermeiden, nahm er nur Stichwörter in das Nachschlagewerk auf, „für die ich mindestens zwei voneinander unabhängige Belege habe“, erläutert er.
Bei 1 000 Wörtern
noch unsicher
Und genau da beginnt nun sein hartes Stück Arbeit in der Schlussredaktion. „Bei ungefähr 1 000 Wörtern bin ich mir noch unsicher“, gesteht Klecker, weil er nur eine Quelle bzw. Gewährsperson vorweisen kann. Also sucht er die Öffentlichkeit. Im „Alten Schützenhaus“ seines Geburtsortes Obercunnersdorf will er an diesem Sonntag mit Mundartfreunden aus der gesamten Oberlausitz über seltene oder ausgestorbene Begriffe reden und dann entscheiden, ob sie in das Wörterbuch aufgenommen werden.
Bleibt allerdings die Frage, ob dieses Buch nicht zu spät auf den Markt kommt. Schließlich ist die Oberlausitzer Mundart immer mehr vom Aussterben bedroht. Das Sammelwerk, das im Oberlausitzer Verlag Spitzkunnersdorf erscheinen soll, dürfte trotzdem sein Publikum finden. „Es werden die danach greifen, die die Sprache lieben, aber Probleme haben, den einen oder anderen Begriff zu deuten“, sagt Hans Klecker. Potenzielle Leser dürften auch diejenigen sein, die zwar das Lesen und Sprechen der Mundart beherrschen, sich aber in der Schreibweise unsicher sind. Und natürlich wird der Band bei denen nicht im Bücherschrank fehlen, die sich der Mundartpflege verschrieben haben.
Und wenn eines Tages die Oberlausitzer Mundart aus dem Sprachgebrauch endgültig verdrängt sein wird, was hoffentlich erst in Jahrzehnten der Fall ist, dann wird das Wörterbuch immer noch existieren und in einer wissenschaftlichen Bibliothek stehen. Und Sprachforscher werden entzückt sein von der eigenwilligen Mundart, bei der mit dem „r“ gerollt wurde wie bei keiner anderen.