Wo es noch eine richtige Grenze gibt

In Budapest sind wir mehrfach gewarnt worden: An den Grenzübergängen nach Rumänien kann es dauern. Wir sollten viel Zeit einplanen und unbedingt eine Webseite der ungarischen Polizei verfolgen, auf der die aktuellen Wartezeiten für Pkws und die Brummis ausgewiesen sind. Wir sollten notfalls einen anderen Übergang wählen, zum Beispiel auf die Landstraße nach Arad ausweichen. Da, wo früher der gesamte Verkehr Richtung Bulgarien langging.
So richtig vorstellen können wir uns das nicht, auf der Autobahn nach Szeged ist schon wenig Verkehr, auf der nagelneuen um die südungarische Stadt herum zur rumänischen Grenze fast gar keiner mehr. Am Grenzübergang Nadlac II dann ein gigantischer Parkplatz, vollkommen leer. Wir parken an einem winzigen Häuschen, wo die rumänischen Autobahn-Vignetten erhältlich sind, sie kosten freundliche drei Euro die Woche. Wie aus dem Nichts taucht ein kleiner alter Mann auf und stürzt sich mit seinem Werkzeug auf unsere verdreckten Autoscheiben. Mit einem Euro für seine Dienste ist er sehr zufrieden.
Am stillen Autobahn-Grenzübergang dann mal wieder richtige Kontrollen. Wie früher. Wir geben unsere Ausweise einem Beamten, der damit in seinem Häuschen verschwindet und sie scannt. Dann Kfz-Papiere zeigen sowie das Schreiben in englischer Sprache, das wir vorsorglich mitgenommen haben und das uns als Nutzer eines geliehenen Fahrzeugs ausweist. Sonst könnte ja jeder kommen und auf Nimmerwiedersehen über die Schengen-Grenze verschwinden. Dann aussteigen, Kofferraum öffnen. Aber alles kein Problem.
Bei der Weiterfahrt ist das wirkliche Problem der Schengen-Grenze schnell zu sehen: In der Gegenrichtung stehen die Laster, die nach Ungarn wollen, geschätzt vier bis fünf Kilometer Stoßstange an Stoßstange. Die Schlange, die sich kaum bewegt, will gar nicht wieder aufhören. Arme Fahrer, sie werden Stunden brauchen. Wie früher auf der A4 bei Görlitz, ältere Leser erinnern sich.
Auf der Rückfahrt aus Rumänien nach Ungarn werden wir erleben, dass Pkw-Fahrer durchaus nicht immer verschont werden. Am großen Übergang auf der Landstraße bei Oradea – an der Autobahn von Bukarest über Cluj nach Ungarn wird noch viele Jahre gebaut werden – stehen auch Pkws und Motorräder in fünf langen Reihen. Es geht nur sehr langsam vorwärts, die Beamten haben die Ruhe weg. Als wir dran sind, geben wir wieder die Ausweise ab, zeigen die Kfz-Papiere und öffnen den Kofferraum, damit der Kontrolleur unsere Gepäckberge mustern kann. 23 Minuten werden wir brauchen, um da durchzukommen. Die Brummifahrer daneben dürften hier wieder Stunden zubringen.
Wir erinnern uns, dass diese Grenze schon immer eine besondere war. Vor Jahrzehnten kontrollierten nicht die Ungarn streng, früher waren es die Rumänen. Ceausescu wollte damals den Ungarn zeigen, wo der Hammer hängt. Wenn man vor dem Umbruch mit dem Zug in den Grenzbahnhof einfuhr, marschierten Soldaten mit Maschinenpistolen vor der Brust auf beiden Seiten des Zuges auf, keiner konnte rein oder raus. Erst dann begannen die Ausweiskontrollen der Fahrgäste aus den Bruderstaaten. Sie dauerten ewig.
Erst als die Kontrolleure den Zug wieder verlassen hatten, zogen auch die Soldaten ab. Ein bisschen so wie an der deutsch-deutschen Grenze.
Ab jetzt sollten wir also auf unseren Passat besonders gut aufpassen, wegen der Diebe und der miesen Straßen. Wir wollen es uns ja mit dem freundlichen Autohaus Gommlich in Radebeul nicht verderben, die uns das gute Stück geliehen haben.
Die neue Autobahn nach Sibiu ist aber erst einmal super, Schlaglöcher gibt es noch keine. Schön, so entspannt an den Karpaten vorbeizugleiten, ganz anders als früher auf den kurvenreichen Strecken. Ein neues Rumänien-Gefühl.
Weitere Beiträge aus der Serie
Matthias Schumann, Fotograf für die SZ und in vielen Krisenländern mit der Kamera unterwegs, und Autor Olaf Kittel wollten wissen, wie es heute, 30 Jahre nach dem Umbruch, in den einstigen „Bruderländern“ aussieht. Alle Beiträge aus der Serie "Wie geht's, Brüder?" finden Sie unter folgendem Link:
WIE GEHT'S, BRÜDER?