Von Dominique Bielmeier
Die Geschichte von Großenhains Flüchtlingshotel könnte ein Lehrstück in der Debatte über die Aufnahme von Asylbewerbern sein. Wie nach großer Aufregung am Anfang eigentlich alles gut wurde am Ende. Die Geschichte zeigt aber auch: Seit Jahren machen wir immer wieder dieselben Fehler.
Fehler wie diesen: Erst aus der Zeitung erfuhren die Großenhainer im November 2012, dass am Kupferberg, in bester Wohngegend, von heute auf morgen ausgerechnet ein Hotel zum seinerzeit ersten Asylheim werden soll. Auch Empfangsdame Sylke Kirschner hörte so zum ersten Mal von ihrer neuen Aufgabe. Noch vor Weihnachten sollten 50 Menschen einziehen.
Der Widerstand formierte sich schnell und in großer Zahl – knapp zwei Jahre vor dem ersten Marsch von Pegida. 600 Menschen kamen zu einer unangemeldeten Veranstaltung vor dem Hotel. Rechte Gruppen nutzten die Gunst der Stunde. Wie eine Vorahnung von Freital im Sommer 2015 brannten Fackeln, Feuerwerkskörper und Bengalos, heute erinnern sich Zeugen an die „unheimliche Atmosphäre“.
Die Aussagen von damals hörten sich an wie Vorboten von Pegida: Man habe ja nichts gegen Ausländer. „Aber.“ Vor Kriminalität fürchte man sich und vor dem Fallen der Grundstückspreise. Manches klang wie blanker Hohn: „Stellen Sie sich mal vor, Sie werden hier in diese luxuriöse Wohngegend einquartiert. Damit kommen die doch seelisch gar nicht zurecht.“
Die Proteste gipfelten in einem auf Facebook angekündigten Angriff auf das Rathaus. Die umfassenden Schutzmaßnahmen, die für den genannten Tag getroffen wurden, blieben glücklicherweise überflüssig. Unbegründet war auch die Aufregung wegen der ankommenden Asylbewerber. Vor allem Familien waren es, die schließlich in das Hotel einzogen. Das beruhigte so manchen. In der Stadt fand sich schnell eine Bürgerinitiative, die sich noch heute für die Asylsuchenden engagiert.
Im Mai 2013, ein gutes halbes Jahr nach den Protesten vor dem Heim, bauten freiwillige Helfer zusammen mit Asylbewerbern einen Spielplatz an der Kupferbergstraße. Rezeptionistin Sylke Kirschner – inzwischen Heimleiterin – lobte die Ordnung ihrer neuen Gäste. Die gute Seele des Hotels, da sind sich alle einig, hat großen Anteil daran, dass das Heim mittlerweile als Vorzeigeobjekt gilt.
Das sieht auch Kreisordnungsamtsleiterin Barbara Korsowski so. Nach der Ankunft der Asylbewerber sei der Protest abgeflaut, erzählt sie. Die überschaubare Größe des Heimes und dessen familiäre Atmosphäre seien Gründe dafür. „Ich kann mir vorstellen, dass nicht jeder das Heim gutheißt, aber Akzeptanz und gegenseitiger Respekt sind da. Das ist ein gutes Ergebnis.“
Heute leben 46 Menschen im Hotel „Stadt Dresden“, 25 Männer, 18 Frauen und drei Kinder. Die meisten kommen aus Syrien, danach folgen Afghanistan und die Russische Föderation. Für die Anwohner sind die Hotelbewohner Normalität geworden, auch wenn sie immer mal wechseln.
Bis Ende Juli ein blutiger Vorfall die Vorzeige-Idylle störte: Ein 36-jähriger Tunesier mit psychischen Problemen ging mit einem Messer auf einen 26-jährigen Syrer los. Dieser musste im Krankenhaus behandelt werden. Andernorts hätte das gereicht, um die Fackelträger wieder auf den Plan zu rufen. Doch in Großenhain haben die bisher keinen Nährboden mehr gefunden.
Bürgerversammlungen zum Thema Asyl besuchen die Röderstädter noch immer in großer Zahl. Auch die üblichen Vorbehalte werden dort geäußert. Ein gutes Beispiel, das scheint die Lehre zu sein, nimmt doch noch nicht jedem die Angst. Die nächste große Bewährungsprobe für Großenhain lautet „Remonteplatz 10“. In die ehemalige Kfz-Zulassungsstelle sollen in diesem Jahr 100 Asylbewerber einziehen – wie damals noch vor dem Jahresende.