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Wo ist Bianca?

Seit über zwei Wochen gibt es kein Lebenszeichen von der 17-jährigen Riesaerin. Ihre Mutter ist krank vor Sorge.

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Von Jens Ostrowski

Riesa. Am Bahnsteig rollt der Zug aus Berlin ein, hält mit quietschenden Bremsen. Aus den Waggons strömen die Fahrgäste – junge Leute, alte Leute. Ein Vater empfängt seinen Sohn mit einer herzlichen Umarmung. Heike Liebe aber wartet vergeblich auf ihre Tochter. Bianca bleibt verschwunden. Am 7. Juni ist die 17-Jährige von zu Hause ausgebüxt. Schon zum dritten Mal. „Aber so lange war sie noch nie weg“, sagt die 49-jährige Mutter besorgt.

Vor etwa zwei Wochen wurde Bianca von der Polizei in Berlin aufgegriffen und in den Zug nach Riesa gesetzt. Doch dort kam sie nie an. Bianca muss zuvor ausgestiegen sein. Offenbar will sie nicht zurück nach Riesa. Denn dort hatte es immer wieder Ärger mit den Eltern gegeben. Streit, wie er in den besten Familien vorkommt. Zuletzt ging es vor allem darum, dass sie ihrer Vorausbildungs-Maßnahme in Nünchritz erst geschwänzt, später dann ganz abgebrochen hatte. Raus kam das alles erst, als der Lehrer zu Hause anrief. Seitdem einen besonders großen Grad der Schieflage erreicht. „Sie hatte ja sogar die Chance auf eine anschließende Lehrstelle, deshalb haben wir überhaupt nicht verstanden, weshalb sie das so leichtsinnig aufs Spiel gesetzt hat“, sagt Heike Liebe.

Die Streitigkeiten gehen so weit, dass sich Bianca und ihre Eltern einig sind, dass die Tochter ins betreute Wohnen ziehen soll. „Ich war mir nach Gesprächen mit dem Jugendamt auch sicher, dass das klappt. Ein Platz war gefunden und die Formalitäten so gut wie geklärt“, sagt Heike Liebe. Doch dann lehnt das Jugendamt den Antrag ab – offenbar aus Kostengründen, glaubt die Mutter. „Die Aussicht darauf, dass Bianca weiter bei uns leben sollte, hat sie dann wohl dazu veranlasst, wegzulaufen“, sagt die Mutter, die dem Jugendamt deshalb große Vorwürfe macht. „Denn es ja immer schon Probleme mit ihr. Das Jugendamt hat uns schon lange begleitet, wusste deshalb auch von den Problemen von Bianca. Es hat deshalb aus meiner Sicht fahrlässig gehandelt und ist schuld daran, dass sie weggelaufen ist.“

Kerstin Thöns, Sprecherin des Landratamts, bestätigt, dass die betreute Wohnform erst angedacht und dann wieder verworfen worden wäre. Stattdessen sei nach einer anderen Möglichkeit gesucht worden, Bianca eine räumliche Trennung von der Familie zu ermöglichen. Gleichzeitig sollte sie in eine neue Berufsmaßnahme eingegliedert werden. „Durch das Verschwinden des Mädchens ist es aber dazu nicht mehr gekommen“, sagt Thöns.

Trotz aller Probleme ist Heike Liebe krank vor Sorge. Von Biancas bester Freundin weiß sie, dass ihre Tochter ihr Mobiltelefon nahe Gröditz in den Floßkanal geworfen hat, um nicht mehr erreichbar zu sein. Auch ihr Laptop ist verschwunden. „Sie sagte uns damals, er sei bei einer Freundin. Doch heute wissen wir, dass sie ihn verkauft hat, um an Geld zu kommen“, sagt die Mutter.

Doch weit dürfte sie auch damit nicht kommen. Denn ihr Konto wird von den Eltern verwaltet. Auch hat sie kaum etwas aus ihrem Kinderzimmer mitgenommen: „Eine Hose, eine Jacke, einen Pullover – das ist alles“, weiß die Mutter. Wie Bianca die ganzen drei Wochen überbrückt hat, was sie tut, mit wem sie zusammen ist – all diese Fragen quälen Heike Liebe so sehr, dass sie letzten Freitag selbst nach Berlin gefahren ist, um ihre Tochter zu suchen. 24 Stunden lang war sie an Orten in der Hauptstadt unterwegs, an denen sie sich laut einer Freundin auch früher immer aufgehalten hatte, wenn sie von zu Hause weggelaufen war. „Ich bin ziellos auf den Straßen umhergelaufen, habe in Bars und Pubs ein Foto von ihr gezeigt. Doch helfen konnte mir niemand.“

Heike Liebe ist ein Stück weit auch sauer auf die Berliner Polizei. „Ich verstehe nicht, wie man eine minderjährige Ausreißerin einfach selbstständig in die Bahn setzen kann.“ Sie hofft jetzt einfach nur, dass Bianca schnell wiederkommt. „Unsere ganzen Probleme kann man doch in den Griff bekommen. Ich liebe doch meine Tochter“, sagt sie traurig und möchte überhaupt nicht darüber nachdenken, was wäre, wenn sich Bianca etwas angetan hätte. Doch dafür gibt es keine Anzeichen.