Ein dunkler Massivrahmen umgrenzt ein Foto aus der Zeit um 1936: Schäfermeister Friedel mit seiner Herde im Gutshof. Das vergilbte Bild im Büro erinnert Lars Folde und seine Familie daran, welchen Wandel das Gut Pesterwitz erlebt hat.
Der Agrarökonom, Wein- und Obstbauer ärgert sich: „Seit 1975 suche ich den Schlussstein“, der das Tor vor dem Abriss des Gebäudes zierte. „Mit Christi Segen 1660… darunter MDCLX“ war in Sandstein verewigt. Möglich, dass das Relikt beim Abriss abhanden gekommen ist oder dass ein Hobby-Historiker daran Gefallen gefunden hat.
Doch der Niedere Hof – das nahe Rittergut ist als Oberer Hof in die Annalen eingegangen – existiert weit länger. In einem Zinsregister anno 1378 wird das Anwesen „inclusive allodic ibidem“ erstmals erwähnt. 1529 ist vom „Forberg zu bestherwitz“, das die Einkünfte des Stifts Meißen mehrt, die Rede. Alte Aufzeichnungen belegen, dass 1620 „drei Scheffel von den Vorwerksfeldern verkauft“ worden sind. Zwischen 1656 und 1665 spricht man von einem Vierhufengut, was bedeutet, dass damals 48 Hektar Land dazu gehörten, samt Weinberg und Kohlengrube. Der kurfürstliche Münzprobierer David Hermann hatte bereits 1647 auf dem Hof Gutsarbeiter, Winzer, Kohleverwalter, Schmied und Bergleute beschäftigt, denn erst später prägte die Schäferei das Vorwerk. Der Schafstall, nach 2000 von Familie Folde zu einem gemütlich-rustikalen Veranstaltungsort umgebaut, ist die einzige Hinterlassenschaft längst vergangener Zeiten und wahrscheinlich die älteste Bausubstanz in Pesterwitz.
Lars Folde hat die Historie seines Gutes in drei dicken Ordnern verewigt. Er verweist darauf, dass der Niedere Hof lange Zeit mit dem Rittergut am Pesterwitzer Dorfplatz eng verbunden war. 1905 berichtet der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt: „Das Schloß ist ein schlichter Bau, dessen Eingangstor an der Straßenseite jetzt vermauert ist. Die Verdachung darüber mit derber Architektur erhielt sich. Im Felde unter dem Spitzgiebel das Ehewappen derer von Nimptsch und von Hanstein. An der Hofseite ein hoher Treppenturm mit Wendeltreppe aus behauenen Holzstufen. Auf dem Holz des Thurmdaches eine Wetterfahne.“ Das einstige Rittergut präsentiert sich heute als sorgfältig um- und ausgebautes Ensemble mit Wohnungen und Gewerberäumen.
Das Rittergut und der Niedere Hof wurden 1945 mit der Bodenreform enteignet. Beides diente der Sowjetarmee als Versorgungsbasis und avancierte zum Volksjugendgut. Rings um den Niederen Hof begann die Suche nach Uran, die allerdings erfolglos blieb. Günter Frost, der nach 1949 als Bauschlosser und Schmied auf dem Jugendgut arbeitete, hat aufgeschrieben: Im Niederen Hof im Stall des Straßengebäudes befanden sich Zuchtschweine, im unteren Stall Mastschweine, in der Scheune Jungrinder, Stroh und Heu. Etwa 1953 seien im Garten Schweinehütten gebaut worden.
Die Eigentümer danach wechselten oft bevor der Hof zum VEG Gartenbau Pesterwitz kam. Bis 1990 stand das Gut Pesterwitz unter Treuhandverwaltung, bevor es der Freistaat kaufte.
1994 pachteten Lars Folde und Rainer Töpold die Flächen und gründeten eine GbR. Seit 2003 ist Familie Folde Eigentümer von Gut Pesterwitz. Sie hat mit viel Hingabe und Geld saniert, um- und ausgebaut. Ein Schmuckstück ist das alte Fachwerkhaus. „Was das Baugeschehen unter den nahezu 340 Jahre alten Fußböden, befestigt mit handgeschmiedeten Nägeln, zutage brachte, war aufschlussreich: jede Menge Spreu, das als Dämmung und Füllung gedient hatte“, sagt Lars Folde.
In unseren Tagen präsentiert sich das Gut Pesterwitz als modernes Obst- und Weingut mit Kühllager und Hofladen. 240 Hektar, darunter 8,4 Hektar Weinbau- und 52 Hektar Obstbaufläche gehören dazu.
Der Schafstall ist zu einem Treffpunkt der Pesterwitzer, Freitaler, Randdresdner und ihrer Gäste geworden, wenn der Tag des offenen Weinberges, Weinfeste, Après-Ski-Party oder Faschingsfeiern auf dem Programm stehen.
Immer mal wieder präsentieren hier auch Maler und Grafiker aus der Gegend ihre Bilder.