Wofür die Zittauer Kandidaten stehen

Wut, Anklagen, Beschimpfungen, aber auch lautes Nachdenken, Einordnen, Erklären, Relativieren, Träumen - das Forum der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung mit den örtlichen Kandidaten zur Landtagswahl im September am Montagabend in Zittau war bei weitem nicht so schlimm wie der OB-Wahlkampf in Görlitz, zeigte aber deutlich die Zerrissenheit, wenn nicht sogar die Spaltung in der Gesellschaft wie unter einem Brennglas. Überwiegend auf der rechten Seite des vollbesetzten Dachbodens der Hillerschen Villa saßen Sympathisanten der Alternative für Deutschland. "Wir sind abgehangen bis zum Geht-Nicht-Mehr", fasste ihr Kandidat Christian Siegert, studierter Landwirt und als Falkner in der Region bekannt, die Stimmung der Wähler vom rechten Rand vor dem Hintergrund der unfertigen B178 zusammen. Die anderen Kandidaten teilten diese Einschätzung in ihrer Absolutheit nicht. Sie sahen ebenfalls Defizite und Probleme, aber auch Gelungenes und Entwicklungschancen in der südlichen Oberlausitz. Das waren die Hauptthemen, -argumente und -reaktionen des Abends.
Das ist den Kandidaten wichtig
Tuomo Neumann von der Linkspartei will sich für den Ausbau eines bezahlbaren öffentlichen Nahverkehrs und für mehr Angebote an Kinder und Jugendliche einsetzen, wenn er von den Einwohnern des Wahlkreises 60 - des Altkreises Zittau - zum Landtagsabgeordneten gewählt wird. AfD-Kandidat Siegert ist die schnelle Fertigstellung der neuen B178 wichtig. Stephan Meyer (CDU), der aktuelle Abgeordnete des Zittauer Wahlkreises, will erreichen, dass die Bevölkerung eine positivere Sicht auf ihr Leben und ihre Heimat bekommt, dass eine Aufbruchstimmung wie beim Bürgerentscheid zur Zittauer Kulturhauptstadtbewerbung entsteht. "Die Leute sollen, müssen merken: Da im Dreiländereck geht etwas los, die stecken den Kopf nicht in den Sand", sagte er. Außerdem will Meyer dafür sorgen, dass sich die kleinen und mittelständigen Firmen zu starken Mittelständlern oder sogar noch mehr entwickeln. Marie Mühlich, Öko-Studentin von B90/Die Grünen, liegt die nachhaltige Entwicklung der Region und das Ende der Flächenversiegelung, also vor allem der Stopp von Straßen-Neubau-Projekten, am Herz. Und sie möchte noch mehr Bürgerbeteiligung. Dem widersprach Rechtsanwalt Hans Grüner (FDP). Seiner Ansicht nach ist Mitbestimmung richtig und wichtig, aber sie weiter auszubauen hält er für falsch. Als Beispiel dafür nannte er die ewigen Planungsrunden für die neue B178, die durch immer neue Bürgereinwände zustande kommen.
Diese Projekte wollen die Kandidaten voranbringen
Andreas Herrmann (SPD) will sich dafür einsetzen, dass Projekte junger Leute konstanter vom Staat gefördert werden und sie nicht nur von Jahr zu Jahr planen können. Dafür erntete der Gewerkschaftler und Journalist, der als Freiberufler gelegentlich auch für die SZ schreibt, die Frage aus dem Publikum, wer das bezahlen solle. Hans Grüner möchte - wie Marie Mühlich - die Bürokratie abbauen und die Finanzausstattung der Kommunen verbessern. Es könne nicht sein, dass sich allein 13 Menschen bei der Stadt Zittau mit dem Thema Fördermittel beschäftigten, sagte er. Fördermittel seien eine Einflussnahme des Landes auf die kommunale Selbstverwaltung. Dafür erhielt er Beifall aus dem Publikum - was an dem Abend nicht oft passierte. Stephan Meyer als Mitglied der Regierungspartei hielt dagegen, dass eine gewisse Lenkung des Geldes sein müsse, damit Großprojekte, die an einem Standort vielen zugute kämen, umgesetzt werden könnten. Er selber möchte den Naturpark Zittauer Gebirge als ein Wachstumsmotor weiterentwickeln. Marie Mühlich würde gern ein Kompetenzzentrum "Ökolandbau" in Zittau ansiedeln, um nachhaltige Strukturen zu entwickeln, junge Hochschulabsolventen hierzuhalten und alle mit der Landwirtschaft Beschäftigten zu vernetzen. Agrarexperte Siegert hielt ihr daraufhin entgegen, dass sie mal die Menschen hier fragen solle, ob sie bereit seien, den Preis für Öko-Produkte zu zahlen. Er selber sagte auf die Nachfrage aus dem Publikum, welchem Projekt er sich widmen wolle, wenn er gewählt würde, dass es für ihn "als absoluten Neuling" schwer sei, eines zu benennen. Auf alle Fälle wolle er sich beim Thema "Landwirtschaft" einbringen. Neumann, Betreiber eines Skater- und Graffiti-Ladens in Zittau, will sich für den Ausbau eines bezahlbaren Nahverkehrs und für Angebote an die Jugend, damit sie hier bleibt, einsetzen. Zum Busverkehr bekam er von einem Busunternehmer im Publikum zu hören, dass schon jetzt einige Buslinien zu weniger als zehn Prozent genutzt würden und wie er sich da den Ausbau vorstelle.
Welches ist für die Kandidaten das drängendste soziale Problem?
Hans Grüner macht sich Sorgen um die Zahl der Pflegekräfte, die die Senioren betreuen. Christian Siegert ist die Entlastung junger Familien wichtig. Er möchte die Kita-Beiträge runterfahren. Auch er sprach die Pflege als Problem an. Auf die Nachfrage der Moderatorin vom Deutschlandfunk, ob dafür die Versicherungsbeiträge erhöht werden sollten, sagte er: "Nein, das Geld solle umgeschichtet werden". Er kritisierte, dass auf der einen Seite Geld für die Bezahlung des Pflegepersonals fehle, sich auf der anderen Seite der Landkreis einen viele Millionen Euro teuren Palast in Görlitz baue - und bekam dafür Applaus. Stephan Meyer hakte ein und machte klar, dass es ihn ärgert, wenn Versicherungsbeiträge und Steuern in einen Topf geworfen würden. Er plädierte dafür, darüber nachzudenken, die Pflegeversicherung zu deckeln und das fehlende Geld aus Steuern nachzuschießen. Er selber nannte als das größte soziale Problem die Ärzteversorgung und dabei die schlechte Zusammenarbeit von Kassenärzten und Krankenhäusern. Die Grünen-Kandidatin will die Kita-Beiträge für die Eltern auf Null fahren. Der Staat soll wie in Berlin ihren Anteil übernehmen. Auch andere Kandidaten wie Hans Grüner können sich dafür erwärmen. Eine vierfache Mutter im Publikum wunderte sich angesichts von nach Kinderanzahl gestaffelten Beiträgen und einem im Vergleich zu anderen Ländern hohen Kindergeld über diese Idee. Auch Meyer verwies darauf, dass die Beiträge im deutschlandweiten Vergleich in Sachsen gar nicht so hoch sind - wofür er allerdings Hohn von Teilen des Publikums, das auf das geringe Einkommensniveau in der Region verwies, erntete. Andreas Herrmann und Tuomo Neumann wünschen sich mehr gewerkschaftliches Engagement. Zudem ist dem Linken und der Grünen-Kandidatin die Absenkung des Wahlalters auf 16 oder 14 Jahre wichtig. Dafür gab es aus der Ecke der AfD-Sympathisanten Missfallensbekundungen und Sprüche wie: Das Wahlalter solle nur abgesenkt werden, damit man die Jugendlichen in der Schule indoktrinieren könne. Dem widersprachen andere Gäste.
Wo sehen die Kandidaten Chancen für die Zittauer Region?
Marie Mühlich setzt auf den Ökolandbau, positive Effekte der Zittauer Kulturhauptstadtbewerbung, eine stärkere regionale Kreislaufwirtschaft und würde gern den Müll der Region vor Ort recyceln und damit Arbeitsplätze schaffen. Stephan Meyer setzt weiter auf die Hochschule und die Einrichtungen in ihrem Umfeld wie das Fraunhofer-Institut als Innovationsmotor. Er erwähnte auch, dass weitere Institute angesiedelt werden. Andreas Herrmann wünscht sich wie Tuomo Neumann, dass die Region durch die staatliche Förderung beim Strukturwandel nach dem Kohleausstieg ein Zentrum für die erneuerbaren Energien wird. Der Genosse verwies zudem auf die Vorschläge der Bundesregierung für den anstehenden Wandel. Er betonte, dass vor allem gut bezahlte Arbeitsplätze wichtig sind, wofür er Zustimmung bei den Mitbewerbern und im Publikum erntete. Das mit dem Niedriglohnland müsse aufhören, sagte auch Christian Siegert. Er konnte auf Nachfrage der Moderatorin keine wirtschaftliche Chance nennen, machte aber den Standpunkt seiner Partei klar, dass die Kohlekraftwerke erst abgeschaltet werden dürften, wenn feststeht, von was die Menschen dann leben sollen und der - im Zweifel unsaubere - Strom nicht aus dem Ausland gekauft werden müsste. Hans Grüner regte vor dem Hintergrund von Kohleausstieg und Strukturwandel eine Art Sonderwirtschaftszone für die Lausitz an. Diesen Vorschlag unterstützen bis auf die Kandidaten von Linke und Grüne alle.
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