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Wolf schlägt in Großenhain zu

Ein Mutterschaf und vier Lämmer: Die Fachstelle im Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie bestätigt den Riss - nicht weit entfernt von Menschen.

Von Catharina Karlshaus
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Traurige Bilanz im Großenhainer Ortsteil Großraschütz: Mitte April riss der Wolf ein Mutterschaf und vier Lämmer.
Traurige Bilanz im Großenhainer Ortsteil Großraschütz: Mitte April riss der Wolf ein Mutterschaf und vier Lämmer. © privat

Großenhain. Eines muss man ihm lassen: er hat es schlau angestellt. Hat die allgegenwärtige Aufregung um die Corona-Pandemie genutzt und - zugebissen. Nachts, heimlich, still und leise. Damals vor gut zehn Tagen, als Familie Richter ihren Augen kaum trauen wollte. Als der passionierte Schafzüchter, dessen Tiere auf den Bäckerwiesen in der Nähe des Großenhainer Stadtparks weiden, am Sonnabend nach dem Rechten sehen wollte. 

Allerdings: Richtig erschien an diesem Morgen so ganz und gar nichts. Von den ursprünglich 36 Mutterschafen und zehn Lämmern waren nicht mehr alle zu sehen.  Andreas Richter - der bereits im Dezember ein Schaf zu beklagen hatte - musste dieses Mal nicht erst lange suchen. Im Gegensatz zum letzten Mal, wo das Tier in der Nähe zur heimischen Koppel im Röderwasser entdeckt worden war, lagen ein Mutterschaf und drei Lämmer im Gras. Nicht weit davon entfernt schließlich die Reste eines vierten Lämmchens. 

Nachdem ein herbei gerufener Gutachter bereits im Dezember den Wolf einwandfrei als Täter überführt hatte, habe auch jetzt die Faktenlage für sich gesprochen. "Die Art, wie im sogenannten Blutrausch zugebissen worden ist, sprach eine eindeutige Sprache", sagt Dr. Henriette Richter. Die Veterinärmedizinerin habe angesichts dessen, was ihr Mann ihr an diesem Tag da leider präsentieren musste, sofort den Wolf zuordnen können. Und sollte recht damit haben.

Finanzielle Wiedergutmachung

Wie Vanessa Ludwig von der Fachstelle Wolf im Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie jetzt auf SZ-Anfrage bestätigt, seien die Schafe in der Nacht zum 18. April mit hinreichender Sicherheit tatsächlich durch einen Wolf getötet worden. Die Schutzmaßnahmen hätten mit dem Weidezaun den geforderten gesetzlichen Kriterien entsprochen, sodass der Tierhalter Anspruch auf einen Schadensausgleich geltend machen könne.

Eine finanzielle Wiedergutmachung, um die es Henriette Richter indes jedoch gar nicht vordergründig geht. Die Mutter zweier Kinder macht sich vielmehr darüber Gedanken, wie nah sich der Wolf - wahrscheinlich aus dem Raschützer Rudel stammend - inzwischen an den Menschen heranwagt. Abgesehen davon, dass ihn der elektrisch gesicherte Zaun nicht davon abgehalten hätte, sich darunter durchzugraben, fand sein anschließendes Festgelage gewissermaßen vor Publikum statt. Wohnhäuser, eine Gartenanlage und ein Abenteuerspielplatz befinden sich in unmittelbarer Nähe der geschändeten Schafweide.

Eine, die der Wolf aufgrund des kulinarischen Erfolges auch in bester Erinnerung haben dürfte. Nach dem instinktiven Motto: "hier hat es geklappt, hier gab es etwas zu holen", sei er auch in den nachfolgenden Tagen immer wieder vor Ort gewesen. Letztmalig vor zwei Tagen sei das sogenannte Trittsiegel - besonders ausgeprägt ist die länglich-ovale Vorderpfote - im Erdboden zu erkennen gewesen. "Mir geht es keineswegs darum, Panik zu verbreiten! Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, dass der Wolf in der Stadt angekommen ist und wir letztlich nicht wissen, wie die Tiere wirklich reagieren, wenn es zu einer Begegnung kommt", betont Henriette Richter.

Gedanken, die Vanessa Ludwig durchaus nachvollziehen kann. Und betrachtet die Angelegenheit gleichsam vom tierischen Standpunkt. Wölfe, die in Kulturlandschaften lebten, müssten demnach damit umgehen, dass es überall in ihrem Lebensraum menschliche Siedlungen gebe. Es bleibe daher nicht aus, dass sie – wie andere Wildtiere auch - an den Zweibeinern vorbeilaufen oder gelegentlich hindurch. Auch das Töten von Nutztieren in unmittelbarer Nähe zu bewohnten Gebäuden oder Siedlungen wie in Großraschütz wären keine Seltenheit. "Solche Vorkommnisse gibt es aufgrund der überwiegenden Nacht- und Dämmerungsaktivität des Wolfes vor allem im Schutze der Dunkelheit. Vereinzelt können sie jedoch auch im Hellen im Siedlungsbereich gesehen werden, ähnlich wie das von Füchsen, Rehen oder Wildschweinen bekannt ist", weiß Vanessa Ludwig.

Gewöhnung nicht per se ein Problem

Das alles gehöre ebenso zum normalen Verhaltensrepertoire, wie die Tatsache, dass Jungwölfe durch ihre Neugierde und Naivität bisweilen eine geringere Fluchtdistanz zu Menschen aufweisen als erwachsene Wölfe. Dieses Verhalten mache die in der Kulturlandschaft lebenden Tiere aber nicht gefährlicher als ihre Artgenossen, die in menschenleeren Gebieten zu Hause wären oder die bejagt würden, wie auch Erfahrungen aus anderen Ländern belegten. "Alle Wildtiere, also auch Wölfe, die in Kulturlandschaften leben, müssen sich zu einem gewissen Maße an die menschliche Anwesenheit gewöhnen. Sie lernen Menschen und menschliche Aktivitäten im gewissen Umfang zu tolerieren. Sie sind an deren Geruch, Geräusche und vereinzelt auch an deren Anblick gewöhnt", erklärt Vanessa Ludwig.

Eine solche Gewöhnung führe nicht per se zu problematischem Verhalten. Wenn Wölfe die Erfahrung gemacht hätten, dass die Wahrnehmung menschlicher Anwesenheit ohne negative Konsequenzen verlaufe, reagierten sie bei Begegnungen mit Menschen und Fahrzeugen in der Regel vorsichtig. Aber nicht extrem scheu. Sie blieben dem Menschen gegenüber argwöhnisch, näherten sich im Regelfall nicht aktiv an und trabten meist ohne übermäßige Hast davon.

Ein Exkurs in die Seele des Wolfes, die weder Henriette Richter noch andere Großraschützer restlos beruhigen dürften. Auch Großenhains Stadtväter sind hellhörig geworden und haben Kontakt mit der Fachstelle in Nossen aufgenommen. "Wir nehmen den Vorfall sehr ernst", versichert Rathaussprecherin Diana Schulze. Wenn sich die momentane Lage wieder entspannt habe und es möglich wäre, würde die Verwaltung auch gern die Experten der Fachstelle Wolf zu einer Informationsveranstaltung in die Röderstadt einladen. Doch noch dominiere die Corona-Krise - und der Wolf gehe seinerseits hoffentlich ebenfalls auf Abstand. Nicht nur in Großenhain.

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