Von Wulf Stibenzund Rolf Ullmann
In Niesky Neuhof ist es kein Geheimnis: Der Wolf ist da. „Immer wenn ich frühs keine Rehe auf den Feldern sehe, streifen die Wölfe hier durch“, sagt eine Anwohnerin. Ihr Nachbar hält selbst einige Schafe. „Bei mir hat der Wolf zugeschlagen, aber Entschädigung habe ich nicht bekommen“, sagt der alteingesessene Nieskyer. Ursache: Sein Gehöft liegt im Kernzentrum der Wölfe, der Zaun ist aber nicht hoch genug gewesen.
Dass der Wolf in Niesky angekommen ist, bestätigt Katrin Lattermann, Wolfsbeauftragte des Landkreises, gegenüber der SZ. Sie ist auch beim Riss in Zeche-Moholz zur Begutachtung gewesen. Dort hat trotz des zwei Meter hohen Zauns offenbar ein Wolf Dienstagnacht zugeschlagen. Ein Kamerunlamm ist gerissen, verschleppt und aufgefressen worden.
Im Gutachten geht Lattermann von einem Wolf als Räuber aus: „Es ist mit viel Gewalt auf die Weide eingedrungen worden, Spuren deuten auf einen Wolf hin, und sechs Kilo Schaf mit Knochen und Haaren müssen erst mal aufgefressen werden können.“ Der Nutztierhalter bekommt eine Entschädigung – da die Schutzmaßnahmen die Anforderungen im Freistaat erfüllen. Vor Ort sind sich die Menschen ganz sicher, dass es ein Wolf war. Dafür spricht auch, dass das Muttertier verletzt worden ist, vermutlich, als es ihr Lamm verteidigt hat. Helene Möslinger vom Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz: „Die Reste des Lammes wurden 40 Meter außerhalb des Zaunes gefunden.“ Der Wolf hat sich durchgegraben. Für Bernd Freudenberg, den Halter der Kamerunschafe, steht fest: Die Tiere kommen abends in den Stall auf der Weide. Olaf Pursche, der nebenan eine Tischlerei im Ort betreibt, handhabt dies schon seit Längerem so. „Dadurch habe ich bisher noch kein Tier eingebüßt“, sagt er nun.
Tiere im Stall unterbringen
Der Nieskyer Fall zeigt auch, dass sich die Sprachregelung, was den Schutz der Nutztiere betrifft, gewandelt hat. Da ist nicht mehr allein die Rede von Zaun, Litzen und Untergrabungsschutz. „Wo die Möglichkeit besteht, sollten zur Vorbeugung von Nutztierschäden Schafe und Ziegen über Nacht im Stall untergebracht werden“, sagt Möslinger. Oder eben einen Elektrozaun aufstellen – der hilft bislang auch. Dagegen argumentieren vor allem die privaten oder kleineren gewerblichen Nutztierhalter: Wer soll das bezahlen – Zaunbau, Stallbau, Aufrüstung?
Der Freistaat fördert den Herdenschutz ebenso wie das Land Brandenburg. Denn auch dort betont Alrun Kaune-Nüßlein vom Umweltamt: „In der jüngsten Zeit ist es wiederholt zu Übergriffen von Wölfen auf Schafe in der Region gekommen.“ Und die Wolfsbeobachter in der Lausitz wissen: Wölfe sind klug und können durch unzureichend geschützte Schafe lernen, dass diese deutlich einfacher zu erbeuten sind als Rehe, Hirsche oder Wildschweine. Kaune-Nüßlein: „Die Gefahr besteht, dass Wölfe gezielt versuchen, Schafe zu erbeuten.“
Drei Trends scheint es im Jagdverhalten der Wölfe zu geben. Erstens: Ein hoher Zaun reicht nicht aus, um die Räuber von den Nutztieren fern zu halten. Zweitens: Die Wölfe verlassen zunehmend ihr Kerngebiet und dringen jetzt auch weiter in Richtung Autobahn 4 vor. In den Königshainer Bergen sind Wölfe nachgewiesen, bei Kodersdorf hat es auch Sichtungen gegeben. Städte wie Niesky oder Rothenburg umgehen die Wölfe nicht mehr weiträumig. „Und so nah bei Niesky haben wir bislang noch keine Wölfe gehabt“, sagt Lattermann. Neben dem Riss bei Zeche-Moholz sind Kot und Spuren an der Spitzkehre gefunden und Wölfen zugeordnet worden. „Es ist auch denkbar, dass ein Jährling sich selbstständig macht“, sagt Lattermann. Und drittens: Es ist auffällig, dass es anfangs eher Ziegen oder Jungtiere gewesen sind, die den Wölfen zum Opfer fielen. Jetzt stehen auch erwachsene Schafe und selbst Rinder auf ihrer Speisekarte.
Wolf geht auch auf Rinder los
Zumindest ist Landwirt Wolfram Gaebel von der Agrargenossenschaft Pechern der Ansicht, dass bei ihm im Herbst ein Wolf eines seiner Kälber gerissen hat. Interessant bei diesem Fall, sollte es tatsächlich ein Wolf gewesen sein: Der Räuber würde sich demnach auch an eine 40-köpfige Rinderherde rantrauen – die er bislang gemieden hat. „Ein Wolf geht bei der Jagd so wenig wie möglich Risiko ein“, hat Marcus Bathen vom Wolfsprojekt des Naturschutzbundes betont. Denn der Wolf will ja selbst nicht bei der Jagd verletzt werden, da er sein Rudel auch künftig noch versorgen muss. Wenn es also leichte Beute gibt, wird er die potenziell gefährliche Beute ebenso meiden wie belebte Ortschaften oder gar Städte. Das ist alles mit Beginn des Jahres 2012 etwas infrage gestellt.