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Wolfsriss mitten in Kodersdorf

Zwei Schafe starben auf grausame Weise. Die Weide liegt an Wohnhäusern. Bei den Nachbarn wächst die Angst.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Jenny Thümmler

Jan Golibrzuch musste die Zeitung vor seinem Opa verstecken. Der alte Mann liegt nach einem Schlaganfall im Krankenhaus, wurde erst am vergangenen Dienstag aus der Intensivstation entlassen. Unmöglich, ihm jetzt die schlimme Nachricht zu überbringen. „Das wird schon schwierig genug, wenn er wieder einigermaßen fit ist“, sagt der Enkel und schaut traurig in seinen Anhänger. Darin liegen zwei tote Kamerunschafe mit aufgerissenem Bauch. Sie sind in der Nacht zu vergangenem Mittwoch Wölfen zum Opfer gefallen. Fünf weitere Schafe haben überlebt, eines mit einer schweren Verletzung am Hals. Und alle sind ganzer Stolz und Freude für den Opa.

„Wir hätten nie gedacht, dass die Wölfe hier mitten im Dorf Tiere angreifen“, sagt Jan Golibrzuch, dem nur eines der Schafe gehört, sichtlich bedrückt. Mithin war die Schafweide im Ortskern von Kodersdorf direkt unter der Autobahn nicht sonderlich gesichert. Eine niedrige Mauer an einer, Maschendrahtzaun an den anderen Seiten. Aber gerade Erstere ist für Wölfe kein Hindernis. „Die kommen wieder“, ist sich der Schafhalter darum auch sicher. „Jetzt müssen wir die Tiere nicht nur jede Nacht in den Stall holen, was ihnen nicht gefallen wird. Sondern wir müssen am Zaun nachrüsten, was Extrakosten sind.“

Dass die Kodersdorfer auf keine Entschädigung zu hoffen brauchen, bestätigt Forstrevierleiterin Karin Lattermann vom Kreisforstamt, die nach dem Unglück vor Ort war und Speichelproben von den Bissstellen entnommen hat. Entschädigung gebe es nur bei Einhaltung der geforderten Mindestschutzmaßnahmen. In einer ersten Reaktion wenige Stunden nach Auffinden der Schafe teilte sie mit, dass ein Wolfsriss nach ersten Erkenntnissen nicht ausgeschlossen werden kann. Vor Ort am Morgen soll sie sich entschiedener geäußert haben. Auch Christian Berndt, der am Mittwoch ebenfalls vor Ort war, vermutet Wölfe hinter dem Angriff. Der Chef des Kreisjagdverbands Niederschlesische Oberlausitz hat schon viele gerissene Tiere gesehen. Er gibt den Hinweis, dass die Familie finanzielle Unterstützung für den neuen Zaun beantragen kann. Bislang hat kaum ein Tierhalter, der seine Weide mitten in bebautem und bewohntem Gebiet hat, einen solchen Schutz. Aber mittlerweile wächst die Unsicherheit. „Die Wölfe kennen keine Distanz mehr“, sagt Berndt, der die Entwicklung seit Jahren verfolgt. „Sie gehen in die Dörfer rein und schlagen zu. Und die Bevölkerung wird zunehmend unruhig, vor allem wegen der Kinder.“ Er wollte das Thema explizit noch einmal bei der Wolfskonferenz diskutieren, die am Abend in Pulsnitz stattfand. „Eine Regulation der Wölfe wäre wünschenswert. Die Zahl von 1 000 Wölfen, die für die Arterhaltung noch immer als nötig angesehen wird, ist überzogen. Mit Polen zusammen hat Deutschland 3 500 Wölfe.“ Und die Tiere kennen naturgemäß keine Grenzen.

Nach solchen Erlebnissen wächst die Sorge unter den Nachbarn. Katrin Kuhn hat nur 50 Meter von der Rissstelle entfernt ihren Reiterhof mit 40 Pferden. „Es ist keine schöne Vorstellung, dass ein Wolf in den Stall läuft“, sagt sie. Er werde die großen Pferde zwar nicht angreifen, aber diese können sich in den Boxen schwer verletzen, wenn sie in Panik zu fliehen versuchen. Im Stall eines befreundeten Reitvereins im Kamenzer Raum sei das bereits passiert. Ein anderer Nachbar berichtet von drei erwachsenen Wölfen, die er vor einigen Wochen in Kodersdorf gesehen hat. Sie liefen unter der Autobahn entlang in Richtung Geyersberg. „Aber wenn du das erzählst, glaubt dir ja keiner!“ Er holt die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Unsere Jagd“ hervor und zitiert aus einem Artikel mehrere Vorfälle vom Anfang des 20. Jahrhunderts an verschiedenen Orten, bei denen Wölfe Kinder angriffen. „Auch wenn das 200 Jahre her ist: Das sind dieselben Wölfe wie heute!“