Fließbandarbeit in der Pflege – Maximilian Wendt hat sie als Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger in verschiedenen Einrichtungen überall erlebt. Dass die Finanzierung dabei mehr im Vordergrund steht als der Mensch, ist für den 31-Jährigen nach mehrjähriger Praxis ein bitteres Fazit. Denn die Patienten würden darunter ebenso leiden wie die Pflegekräfte. Für Wendt steuert dieser Notstand auf eine Katastrophe zu. Ein Wettlauf mit der Zeit, der endlich gestoppt werden sollte. Wie er die Pflege erlebt hat und warum sie in Not ist, hat er in einem Buch veröffentlicht. Die Sächsische Zeitung sprach mit ihm.
Herr Wendt, Sie haben in der ambulanten und stationären Pflege, aber auch als Pflegedienstleiter gearbeitet und so viele Facetten des Berufes kennengelernt. Woran krankt es aus ihrer Sicht am meisten?
Der Beginn allen Übels ist für mich die Privatisierung von Krankenhäusern und Pflegeheimen. Das hat zu einem Interessenkonflikt der Betreiber geführt. Einerseits soll durch die Kranken- und Pflegekassen eine ausreichend gute und notwendige Versorgung Kranker und Pflegebedürftiger sichergestellt werden, andererseits überträgt man diese Aufgaben an private Unternehmen, die Gewinne erwirtschaften wollen. So lange es also keine staatlichen Regulationen gibt, wird sich der Pflegenotstand nicht nachhaltig lösen lassen.
Das heißt, die Einrichtungen müssten aus ihrer Sicht verstaatlicht werden, um eine optimale Betreuung und Pflege zu ermöglichen?
Ja, zumindest teilweise. Das ist deshalb nötig, weil ein Interessenskonflikt zwischen Gewinnmaximierung und Wohlfahrt besteht. Das heißt, die Politiker müssen sich hier mehr einbringen, damit in den Einrichtungen Rahmenbedingungen umgesetzt werden – also ein ausreichender Personalschlüssel, der Arbeit entsprechende Bezahlung und Urlaubstage sowie ein verlässlicher Dienstplan. Nur so ist eine menschenwürdige Pflege möglich.
Mehr Stellen und Geld, höhere Pflegebeiträge. Ist das nicht auch ein Schritt?
Geld ist wichtig, aber erst einmal müssen die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass das Geld gut angelegt ist. Es kommt vor allem darauf an, wie das Geld genutzt werden soll. Doch in jedem Fall reichen hier selbst mehrere Millionen Euro nicht aus. Angesichts der Milliarden-Pakete, die in der Finanzwirtschaft beispielsweise für die Bad Banks geschnürt werden, wird die Schieflage besonders deutlich. Denn das zeigt doch, dass der soziale Sektor nicht die ihm zustehende Aufmerksamkeit erhält.
Aber auch die Heimplatzkosten steigen kontinuierlich. Wo fließt das Geld hin?
Zu den Konzernen und Trägerschaften der Heime. Das ist dann akzeptabel, wenn mit dem Geld mehr Personal eingestellt, attraktivere Gehälter gezahlt und modernes Arbeitsequipment angeschafft würden. Die Praxis ist aber oft eine andere.
Könnte die Reform des Pflege-TÜVs daran etwas verändern, weil vielleicht Heime, die schlechte Noten bekommen, um bessere Qualität bemüht sind?
Der TÜV ist prinzipiell ein gutes Instrument, um die objektiven Leistungen in Heimen und Krankenhäusern sowie bei ambulanten Diensten zu veranschaulichen. Aber auch die Verlässlichkeit dieser Ergebnisse ist selbst nach der anstehenden Reform zu hinterfragen. Deshalb rate ich jedem, der gute Betreuung und Pflege sucht, sich bei Patienten zu erkundigen, die in den Einrichtungen oder von Pflegediensten betreut werden. Im Zweifel hilft Ausprobieren. Jeder hat die Möglichkeit, den Anbieter zu wechseln, wenn er unzufrieden ist. Bei Heimen ist es etwas aufwendiger. Aber auch da gibt es Kündigungsmöglichkeiten.
Selbst bei einem Wechsel stehen viele vor dem gleichen Problem. Überall fehlen Pflegekräfte.
Das lässt sich nicht schnell und einfach lösen. Leider. Genau hier sind wir aber wieder bei den Arbeitsbedingungen. Die Politik muss sich stärker bei der Regulierung einbringen. Wenn zum Beispiel dauerkranke Kollegen auf dem Dienstplan mit erscheinen, so gibt es keinen Ersatz, die Arbeit muss von den anderen mit aufgefangen werden. Die Last muss aber für jeden Einzelnen reduziert werden, damit die so wichtige Arbeit auch wieder Spaß macht und nicht nur Frust erzeugt. Frust, der Pfleger und zu Pflegende unzufrieden macht. Selbst eine Reform der Pflegeausbildung ist für mich keine Lösung. Es ist ein rein wirtschaftlicher Ansatz, die unterschiedlichen Pflegeberufe, also Kinderkrankenpfleger, Altenpfleger und Krankenpfleger, zu normieren. Die Pflegekräfte sind dann zwar in jedem Arbeitsfeld einsetzbar, haben aber auch nicht mehr das profunde Wissen, das sie vorher vermittelt bekamen.
Den Pflegeberuf zu verlassen so wie Sie, ist aber keine Lösung. Denn Sie schreiben ja am Ende Ihres Buches auch, dass das ganze Pflegesystem irgendwann zusammenbricht, wenn es so weitergeht.
Leider ist ein Ausstieg aber für viele Pflegekräfte die einzige Möglichkeit. Die Tatsache, dass sie den Beruf gewählt haben, um anderen zu helfen, verschlimmert die Umstände für die Pflegenden immens. Die Pfleger sehen ja, wie viel Hilfe und Zeit nötig ist, wissen aber, dass das nicht geleistet werden kann. Das macht auf Dauer kaputt. Und wenn immer mehr Pflegekräfte sich entschließen, das System nicht mehr mitzutragen, sich krankmelden oder nicht mehr gewillt sind, Überstunden zu leisten oder einzuspringen, dann bricht das Pflegesystem tatsächlich zusammen. Irgendwann steigen dann mehr aus, als neue Pflegekräfte ausgebildet werden.
Das heißt, Angehörige werden bei der Pflege noch mehr in die Pflicht genommen. Die aber fühlen sich schon jetzt allein gelassen, weil sie kaum Unterstützung bekommen.
Ja, auf Dauer werden Pflegebedürftige noch mehr auf Angehörige angewiesen sein als bisher ohnehin schon. Auch hier wird es deshalb Zeit, für ausreichende finanzielle Entschädigung und angemessene Renten zu sorgen.
Die Praxis zeigt aber auch, dass es in Deutschland an Netzwerken fehlt, die es Pflegebedürftigen erleichtern und sie dabei unterstützen, die richtige Betreuung zu finden.
Ja, eine solche Wissens-Infrastruktur ist für alle Beteiligten wichtig. Es muss nur einer den Anfang machen und sie anderen zur Verfügung stellen. Denn der Umgang mit digitalen Medien ist längst bei den Älteren angekommen. Das heißt, damit haben auch pflegende Angehörige mehr Möglichkeiten, schneller Kontakte, Übersichten über Einrichtungen, Angebote für die Pflege, Unterstützungsmöglichkeiten und andere Informationen zu erhalten.
Wann und wo funktioniert aus Ihrer Erfahrung Pflege am besten?
Dann, wenn die Arbeit nicht auf Gewinnmaximierung der Träger ausgerichtet ist, es keinen Zeitdruck gibt und eine 1:1-Betreuung möglich ist. Meist eine Utopie, wenn man vielleicht von städtischen Einrichtungen absieht. Am besten könnte es aber in der ambulanten Pflege funktionieren. Denn dort kümmern sich die Pfleger im häuslichen Umfeld nur um einen Patienten. In Krankenhaus oder Pflegeheim ist das nicht möglich. Aber auch viele ambulante Dienste haben zu wenige Pflegekräfte, die dann natürlich ebenfalls unter Zeitdruck stehen.
Die Fragen stellte Gabriele Fleischer.