Zaun streichen statt Spargel schälen

Diera-Zehren. Strahlend blauer Himmel, die Sonne lacht, wird von keinem Wölkchen getrübt. "Kaiserwetter", ruft Jens Böhm und blickt in den Himmel. "Viele Jahre haben wir auf solch ein Wetter gewartet. Jetzt haben wir es seit ein paar Wochen, aber es nützt uns nichts", sagt der 57-Jährige. Er und sein Frau Ute sind die Eigentümer und Betreiber der Gaststätte "Zum Zuessenhaus" in Kleinzadel.
Doch seit Wochen gibt es keine Einnahmen mehr, ist die direkt an der Elbe gelegene Gaststätte wie alle anderen geschlossen. Das Ende hatte sich schon vor der offiziell verordneten Schließung angekündigt. "Seit Anfang März gingen die Gästezahlen deutlich zurück. Am letzten Wochenende, an dem wir öffnen konnten, hatten wir am Sonnabend acht Mittagessen, am Sonntag sogar nur noch zwei. Die Leute haben sich verrückt machen lassen, sind nicht mehr rausgegangen", sagt Jens Böhm. Doch Personal musste vorgehalten werden, die Küche bereit sein. Im gewissen Sinne sei die Schließung auch eine Erlösung gewesen, sagt er.
Katastrophen sind die Böhms mittlerweile gewöhnt. Seit sie das "Zuessenhaus" 2005 kauften, stand es dreimal komplett unter Wasser. Hatten sie 2011 noch in dem Haus ausgeharrt und bis zuletzt gehofft, dass der Pegel wieder sinkt, konnten sie zwei Jahre später vorsorgen. Mit vielen Helfern hatten sie herausgeräumt, was nicht niet- und nagelfest war. Dennoch war der Schaden, den das Elbehochwasser anrichtete, enorm, rund 540.000 Euro. Auch wenn ein Großteil aus dem Hochwasserfonds bezahlt wurde, blieben die Böhms auf einem Teil des Geldes sitzen.
Wieder ist der Laden dicht
Im Januar 2018 hatten sie wieder Pech. Diesmal erwischte es sie unverschuldet bei einem Verkehrsunfall. Ein 79-jähriger Golf-Fahrer war in Moritzburg mit seinem Auto beim Überholen mit dem Wagen der Böhms zusammengekracht, die sich im Gegenverkehr befanden. Ute Böhm brach sich sechs Rippen und das Brustbein, verletzte sich an der Hand. Ihren Mann traf es noch schlimmer. Er erlitt innere Blutungen am Herzen. Ein Vierteljahr waren beide arbeitsunfähig. "Unser Bedarf an Katastrophen ist für dieses Leben gedeckt", sagt Ute Böhm und lächelt gequält.
Nun also Corona. Wieder ist der Laden dicht, wieder gibt es keine Einnahmen, die Ausgaben laufen aber weiter. Vor allem die Kredite müssen bedient werden. Erst im vorigen Jahr haben die Böhms das Dach des Hauses decken lassen. "Das belastet uns finanziell stark. Aber es war die letzte Chance, in unserem Alter dass kaputte Dach zu erneuern und es auch noch irgendwie abzahlen zu können", sagt Jens Böhm. Doch einen weiteren Kredit zu bekommen, war schwierig, nahezu unmöglich. "Unsere Hausbank hat uns gleich wegtreten lassen", sagt Ute Böhm. Die einzige Bank, die schließlich das Vorhaben finanzierte, ließ sich fürstlich dafür entlohnen. Trotz Niedrigzinsphase verlangt sie einen stolzen Zins von fast zehn Prozent.
Die Böhms haben eine feste Mitarbeiterin und eine Pauschalkraft entlassen, eine weitere aber haben sie behalten. Sie machen aus der Not eine Tugend, bringen den 14 Jahre alten Holzzaun rund um den Biergarten in Ordnung. Mitarbeiterin Dana Winter hilft dabei. 1.200 Zaunslatten sind abzuschleifen, zu reinigen, zu streichen und wieder anzubringen. Vollständig ausgetauscht werden müssen die Querriegel. Die sind nach 14 Jahren vollständig verrottet. "Zaun streichen statt Spargel schälen, das ist doch mal eine schöne Abwechslung", sagt Ute Böhm, die ihren Humor trotz allem nicht verloren hat. Andere habe es schließlich noch härter getroffen. Die kleine Privatbrauerei, von der sie ihr Bier beziehen, beispielsweise. Die stellt ausschließlich Fassbier her für Gaststätten und Volksfeste. Da sieht jetzt nicht nur das Bier ziemlich trübe aus.

Abgesagt sind natürlich auch alle geplanten Feiern wie Jugendweihe, Konfirmation, runde Geburtstage, silberne und goldene Hochzeiten. "Die Auftragsbücher waren voll, jedes Wochenende war belegt. Die Absagen treffen uns hart. Und diese Feiern werden auch nicht nachgeholt", sagt Jens Böhm. Er und seine Frau haben aber noch mit ganz anderen Probleme zu kämpfen. Immer wieder kommen Gäste vorbei, wollen bedient werden, sehen nicht ein, dass die Gaststätte geschlossen ist. "Wir werden mitunter übel beschimpft", sagt Ute Böhm. Auch fremdes Eigentum ist manchen nicht wichtig. So ist der Parkplatz, der zum Grundstück gehört, vor allem an den Wochenenden voll. "Familien kommen an, parken dort, packen Picknickkörbe aus, laufen auf dem Grundstück zur Elbe herum, setzen sich auf die Treppe, lassen ihren Müll liegen. Wenn wir dann sagen, dass dies ein Privatgrundstück ist, werden manche ausfällig und beleidigend", sagt die 53-Jährige. Kürzlich rief jemand aus Leipzig an. Eine Bikergruppe meldete sich an, wollte im Biergarten bedient werden. "Als ich sagte, dass wir auch den geschlossen halten müssen, wurde ich übel beleidigt", so Ute Böhm.
Keine Kontrollen möglich
Die Böhms haben sich gegen Essen außer Haus, gegen einen Bratwurststand und gegen Bierausschank entschieden. Alles wäre unter bestimmten Voraussetzungen möglich. "Die Leute müssten sich nach dem Kauf von Essen und Getränken sofort vom Gelände entfernen. Viele halten sich aber nicht an die Regeln, beispielsweise an die Abstände, die einzuhalten sind. Wir können das gar nicht kontrollieren", sagt Jens Böhm.
Doch wie lange halten sie die Schließung noch durch? "Maximal zwei Monate noch, dann sind unsere Reserven am Ende", sagt Ute Böhm. Sie hat Soforthilfe beantragt und auch bewilligt bekommen. Doch erhalten haben die Böhms auch nach mehreren Wochen noch keinen einzigen Cent. Schnell hingegen ging es mit einem Hilfskredit. Das Problem dabei: Der muss zurückgezahlt werden. Die Böhms hoffen nun auf Pfingsten, dass sie bis dahin wenigstens die Außengaststätte öffnen können. Jens Böhm hält die Beschränkungen ohnehin für maßlos übertrieben. "Wir kennen niemanden und auch unsere vielen Verwandten und Bekannten nicht, der mit Corona infiziert wäre." Dennoch ist er optimistisch: "Ich bin guter Dinge, dass es weitergeht", sagt Jens Böhm. Seine Frau ist da anderer Meinung: "Im Moment sehe ich nichts Optimistisches. Es gibt keine klare Ansage von der Politik, wir hängen völlig in der Luft", sagt sie. Und fügt fast beschwörend hinzu: "Es muss weitergehen. Das Zuessenhaus ist doch unser Lebenswerk."
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