Ein Wolf im Schafspelz?

Tino Chrupalla wollte wohl auf Nummer sicher gehen und verhindern, dass pikante Details vor seiner Wahl zum AfD-Vorsitzenden am vorigen Wochenende publik wurden.
Sein Anwalt schaffte es, einen entsprechenden Ankündigungstext der ZDF-Sendung Frontal 21 sowie die Ausstrahlung am vergangenen Donnerstagabend zu verhindern. Der Beitrag wurde nun am Dienstagabend doch noch gesendet. Er zeichnet ein Bild des Politikers aus der Lausitz, das mit seinen sonst so sorgfältig inszenierten öffentlichen Auftritten nicht so recht zusammen passen will.
Sylvia Littke-Hennersdorf, ehemalige Wahlkampfmanagerin von Tino Chrupalla, sagt in dem Beitrag etwa: „Also, Chrupalla ist schon ein Vertreter derjenigen in der AfD, wo man wirklich sagen muss, das sind Wölfe im Schafspelz.“
In einem Facebook-Post hatte sie im September kritisiert, insbesondere im Kreisverband Görlitz hätten „Vetternwirtschaft, betreutes Denken, Meinungsdiktatur und ein totalitärer Führungsstil“ das politische Alltagsgeschäft geprägt. Vorsitzender des Kreisverbands ist Tino Chrupalla.
Weiter sagte Littke-Hennersdorf: „Die Partei hat sich radikalisiert, und Chrupalla hat den großen Vorteil, er hat auch das Charisma, dass er für beide Seiten glaubhaft wirkt, also für die Moderaten, wie halt auch für die etwas Radikaleren.“ Und er habe kein Problem, sich von den Radikaleren protegieren zu lassen. „Solange sie ihn als Führungsperson anerkennen - was sie auch machen.“
AfD-Rechtsaußen Björn Höcke betont in dem ZDF-Beitrag, dass der radikale, völkisch-nationalistische "Flügel" der Partei, der beim Verfassungsschutz als Verdachtsfall Extremismus gilt, "eine sehr hohe Meinung von Tino Chrupalla" habe.
Chrupallas Anwälte teilen dem ZDF hingegen mit, ihr Mandant stehe auf dem Boden des Grundgesetzes und weise „… jedwedes nationalsozialistisches, rassistisches, fremdenfeindliches und antisemitisches Gedankengut entschieden zurück.“ Chrupalla hat die Medienkanzlei Höcker beauftragt, die unter anderem den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan im Rechtsstreit gegen den TV-Entertainer Jan Böhmermann vertreten hat. Kanzleichef Ralf Höcker ist Pressesprecher der Werteunion in der CDU.
Dass Begriffe wie „Umvolkung“, die Chrupalla angeblich ablehnt, durchaus zu seinem Sprachgebrauch gehören, zeigt eine Szene von einer AfD-Veranstaltung im März 2018 in Oppach. Dort spricht ihn ein Mann vor laufenden Kamera an: „Es ist ja nichts anderes als Völkermord. Weil, wenn es danach uns Deutsche nicht mehr gibt, sondern irgendein Mischvolk, dann sind wir Deutsche weg. Das letzte Mal gab es so was 45 – die Jungs sind am Galgen geendet in Nürnberg. Das müsste man doch mal ansprechen.“
Chrupalla nickt zu den Äußerungen des Mannes, sagt dann: „Das ist ja genau der Punkt. Und da kann man in der Tat auch von einer gewissen ‚Umvolkung‘ reden. Dieses Wort sollte man einfach auch mal benutzen.“
Noch am Abend seiner Wahl am Samstag spricht ZDF-Moderator Theo Koll den AfD-Chef auf das Video und den Begriff „Umvolkung“ an. Chrupalla dementiert erst, sagt dann, er höre diesen Begriff bei Bürgersprechstunden und reagiere entsprechend. Auf nochmalige Nachfrage widerspricht er sich und bestätigt, den Begriff benutzt zu haben. „Aber ich halte den Begriff ‚Umvolkung‘ nicht für rechtsextrem oder gar – also, in dieser Form halte ich ihn nicht für rechtsextrem.“
Seine ehemalige Wahlkampfmanagerin ordnet Chrupallas Äußerungen im ZDF-Beitrag ein. „Ich denke einfach, das ist eine Spirale radikaler Sprache, aus der Chrupalla und viele andere im Bundestag einfach nicht mehr rauskommen, weil er ganz genau weiß, das ist sein Wählerklientel, das sind die Leute, die ihn wählen.“
Das ZDF berichtet auch über Chrupallas Umgang mit der Presse. Nach Berichten der Sächsischen Zeitung über den Nieskyer Kreisparteitag im Januar dieses Jahres hatte Chrupalla „in enger Abstimmung mit dem Landesvorstand“ einen Brief an die Mitglieder zum Umgang mit Medienvertretern geschickt. Darin schreibt er von einer „Spaltungs- und Zersetzungsstrategie“ der Medien und von Feindpropaganda.
Zudem ist von einer schwarzen Liste für „unseriöse Journalisten“ die Rede. Man kenne das Spiel bereits aus der DDR, schreibt Chrupalla, der beim Fall der Mauer erst 14 Jahre alt war. „Tricks von früher“ und Informationen über „als Journalisten getarnte Zersetzungsagenten“ seien willkommen. Interviews sollten nur Kreisvorstände geben, die Basis solle schweigen.
Schon damals beantwortete Chrupalla Fragen der Sächsischen Zeitung nicht zu dem, was manche im Kreisverband des neuen AfD-Chefs „Maulkorb“ nannten. Olaf Forker, der über ein Jahr für Chrupallas Verband ehrenamtlich arbeitete und nach dem Parteitag in Niesky austrat, sieht Parallelen zum jetzigen Umgang mit dem ZDF.
„Wie er versucht, den Beitrag zu verhindern, da erinnert man sich an den Maulkorberlass vom Jahresanfang“, sagt der 57 Jahre alte Fliesenleger. „Chrupalla versucht jeden, der Stellung bezieht, mundtot zu machen. Er steht in der Öffentlichkeit und in der Politik, alles was rings um ihn passiert, liegt im öffentlichen Interesse, das muss publik gemacht werden."
Angebliche Sportförderung
Infolge des Kreisparteitags in Niesky hatte es eine Austrittswelle gegeben. Von einer Situation wie in der DDR war im Kreisverband die Rede, es soll Probeabstimmungen vor dem eigentlichen Parteitag gegeben haben, um Chrupallas Leute auf die Kandidatenposten zu hieven. „Chrupalla ist jedes Mittel recht, seine treuen Parteisoldaten und Drahtzieher in den Landtag zu drücken, damit seine Majestät ungehindert den Thron in Besitz nehmen kann“, sagte Forker damals.
Die ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete Silke Grimm warf Kreischef Chrupalla vor, Lügen über sie zu verbreiten. Sie habe auf seiner Abschussliste gestanden. Grimm wurde nicht mehr als Kandidatin aufgestellt. Vertraute Chrupallas zogen in den Landtag ein.
Chrupalla selbst äußert sich nicht in dem ZDF-Beitrag, lässt stattdessen seinen Anwalt für ihn sprechen. Der Mann, der sonst gern „Mut zur Wahrheit“ fordert und Politiker anderer Parteien anprangert, will auch dem ZDF naheliegende Fragen nicht beantworten.
Auch nicht jene nach seinem angeblichen Engagement als Förderer des SV Grün Weiß Weißwasser, einem Verein, der sich der „Integration durch Sport“ verpflichtet fühlt. Mit dem Begriff „Förderer“ dürften die meisten ein dauerhaftes Engagement verbinden. Genau das war bis kurz vor Ausstrahlung des ZDF-Beitrags auf Chrupallas Internetseite zu lesen, unter der Rubrik „Über mich“.
Dort bezeichnete er sich ebenfalls als „Kooperationspartner“ des Nestor-Instituts für berufliche Fortbildung in Weißwasser, das unter anderem von der EU sowie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert wird. Von zwei Institutionen also, denen die AfD nicht wohlgesonnen ist.
Inzwischen sind diese Einträge von der Seite verschwunden.
Wohl aus gutem Grund, denn bei der angeblichen Förderung handelt es sich nur um eine einzige Spende über 150 Euro aus dem Jahr 2016. „Damit wollte er im Bundestagswahlkampf Punkte sammeln, mehr nicht“, sagt eine frühere Vertraute Chrupallas.
Mitarbeit: Ulrich Wolf