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Zehn Jahre RB: Leipzigs erstes Tor schoss ein Dynamo

Die SZ stellt Leipzigs Weg vom Fünftliga-Klub zum Champions-League Teilnehmer vor. Im ersten Teil erinnert sich Robert Scannewin an die Anfänge.

Von Daniel Klein
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Robert Scannewin hat nur noch die Erinnerungen an seine Saison bei RB Leipzig. Trikots hebt er prinzipiell nicht auf, oder er verschenkt sie. Der 33-Jährige kickt inzwischen in der siebenten Liga und arbeitet für einen Tiefkühlprodukte-Hersteller.
Robert Scannewin hat nur noch die Erinnerungen an seine Saison bei RB Leipzig. Trikots hebt er prinzipiell nicht auf, oder er verschenkt sie. Der 33-Jährige kickt inzwischen in der siebenten Liga und arbeitet für einen Tiefkühlprodukte-Hersteller. © Ronald Bonß

Er war noch nie da, nicht im Zentralstadion, das längst Red-Bull-Arena heißt, und auch nicht im schmucken, modernen Trainingszentrum gegenüber. „Ich habe damit abgeschlossen“, sagt Robert Scannewin. Mit „damit“ ist seine Vergangenheit bei Rasenballsport Leipzig gemeint. Er sagt das nicht im Groll. Die Rückschau ist nur nicht die bevorzugte Blickrichtung des Fußballers. Diesmal macht er eine Ausnahme. Und die lohnt sich.

Am Sonntag feiert sein Ex-Verein seinen zehnten Geburtstag, hat sich zum zweiten Mal für die Champions League qualifiziert, steht im Finale des DFB-Pokals. Der Aufstieg von der fünften Liga in die Königsklasse in kürzester Zeit ist genauso außergewöhnlich wie der gesamte Verein. Ganz am Anfang spielt der Dresdner Scannewin mit – und beim ersten Punktspiel sogar die Hauptrolle, als er das erste und einzige Tor für RB schießt. Die Gegner damals heißen nicht Bayern München und Borussia Dortmund, sondern VfB Pößneck und 1. FC Gera. Gespielt wird nicht in der Red-Bull-Arena, sondern im Stadion am Bad in Markranstädt. Und an ein stylisches und 30 Millionen Euro teures Trainingszentrum ist nicht zu denken.

„Es waren angehende Profibedingungen damals“, erinnert sich Scannewin. Die Anfänge passen so gar nicht zur Weltmarke Red Bull, die nichts dem Zufall überlasst, beim Ausbau ihrer Fußball-Aktivitäten aber improvisieren muss. Als nach jahrelangem Hin und Her mit dem SSV Markranstädt endlich ein Partner in Deutschland gefunden wird, der bereit ist, die Oberliga-Lizenz gegen ein üppiges Trennungsgeld abzutreten, muss plötzlich alles ganz schnell gehen. Beim Trainingsauftakt am 2. Juli läuft die Mannschaft in Trikots aus Salzburg rum. Die Bälle stammen von verschiedenen Herstellern. Das Vereinslogo wird sogar mit einem Jahr Verspätung präsentiert, weil den Sächsischen Fußballverband das ursprüngliche zu stark an die Red-Bull-Optik erinnert. Es wirkt, als käme der nahende Saisonstart etwas überraschend.

Selbst die Mannschaft, die laut den Vorschriften des Verbandes zu 50 Prozent vom SSV Markranstädt kommen muss, ist nicht komplett. Auch Scannewin fehlt noch. Er steht damals bei der U 23 von Bayer Leverkusen unter Vertrag, ist aber unzufrieden, druckt seinen Lebenslauf auf eine Red-Bull-Dose und bewirbt sich damit beim neugegründeten Verein. Das Probetraining dauert zweieinhalb Tage. Chefcoach Tino Vogel fehlt allerdings wegen einer Lungenentzündung. Scannewin unterschreibt trotzdem einen Vertrag. Als er das erste Mal auf seinen Chef trifft, fragt Vogel ihn: „Wer bist du? Ich brauche dich nicht!“ Ein rundum gelungener Einstand also.

Wütende Fans schreien in Jena beim ersten Punktspiel von RB ihren Frust gegen den Brauseklub raus. Scannewin schießt in dieser Partie das Tor zum 1:1. 
Wütende Fans schreien in Jena beim ersten Punktspiel von RB ihren Frust gegen den Brauseklub raus. Scannewin schießt in dieser Partie das Tor zum 1:1.  © PICTURE POINT

Trainiert wird anfangs größtenteils in der Fußballschule Egidius Braun in Abtnaundorf im Norden von Leipzig. Der Rasen in Markranstädt ist nach einem Säureanschlag beschädigt. Es blieb nicht der einzige Angriff der Gegner des Brauseklubs. Am Tag vor der ersten Pressekonferenz drohen Anrufer mit einem Brandanschlag. Die ersten drei Testspiele werden aus Angst vor Übergriffen abgesagt.

Beim ersten Oberliga-Auftritt auf einem Nebenplatz des Ernst-Abbe-Sportfeldes in Jena ist die Lage „wirklich brenzlig“, wie sich Scannewin erinnert. „Da gab es keine Zäune. Die wütenden Fans standen direkt neben der Seitenlinie und davor vielleicht vier oder fünf Ordner.“ Bierbecher fliegen auf den Platz, Tomaten und Eier an den Mannschaftsbus. Die Spieler fahren ungeduscht zurück nach Leipzig. Für Scannewin bleibt es nicht nur deshalb ein besonderes Erlebnis. Lange liegt RB 0:1 hinten. Kurz nach seiner Einwechslung erzielt er den Endstand – der erste Torschütze in der Punktspielhistorie von RB.

Extra-Motivation durch Proteste

In Erinnerung bleiben aber auch die Anfeindungen, nicht nur in Jena. „Mich hat das eher gepusht. Ich konnte da noch mal zehn Prozent mehr rauskitzeln“, sagt der inzwischen 33-Jährige, der unter Peter Pacult zwei Zweitliga-Einsätze für Dynamo bestritten hat und nun für den FV Dresden 06 Laubegast in der Landesklasse Ost spielt. Auch der Rest der Mannschaft sei damit entspannt umgegangen. „Das hat uns eher noch zusammengeschweißt.“

Im Gegenzug erhalten die Spieler ein Schmerzensgeld, das nicht unbedingt branchenüblich ist. Wie viel es genau ist, will Scannewin auch zehn Jahre später nicht verraten, nur so viel: „Es gab damals sicher Fünftligisten, die ähnlich gut bezahlt haben. Aber es war schon gutes Geld, jedenfalls mehr als bei der U 23 von Leverkusen. Und die Ex-Bundesliga-Profis haben deutlich mehr bekommen.“

Zu denen gehören Ingo Hertzsch und der Ex-Schalker Thomas Kläsener. Der Qualitätsunterschied zwischen ihnen und dem Rest der Markranstädter Oberliga-Truppe ist gewaltig. Das führt anfangs zu Spannungen. Erst im Verlauf der Premierensaison rückt die Mannschaft enger zusammen und schafft den Aufstieg in die vierte Liga.

Wie Red Bull nach Leipzig kam

Oktober 2006: Erste Kontaktaufnahme zwischen Chemie Leipzig (damals FC Sachsen) und Red Bull. Das Unternehmen will in zehn Jahren 100 Millionen Euro investieren, fordert die Änderung des Vereinsnamens und der Trikotfarben. Franz Beckenbauer empfiehlt Leipzig als Standort für ein Engagement.

Wie Red Bull nach Leipzig kam

November 2006: Ein Bericht in der Leipziger Volkszeitung über das bis dahin streng geheime Projekt verärgert die Red-Bull-Bosse. Danach läuft ein Teil der Chemie-Anhänger Sturm gegen die Pläne. Im Februar 2007 sagt der Konzern in einem kurzen Brief endgültig ab.

Wie Red Bull nach Leipzig kam

September 2008: Red Bull prüft erneut den Einstieg in der Region Leipzig. Angefragt werden die Oberligisten FC Meuselwitz, FC Eilenburg und SSV Markranstädt. Meuselwitz sagt ab. Mit Eilenburg werden unterschriftsreife Verträge ausgehandelt. Es fließen erste Gelder. Markus Anfang soll als Spieler kommen, doch die Mannschaft steigt am Saisonende ab.

Wie Red Bull nach Leipzig kam

März 2009: Sieben Männer gründen am 25. den RB Leipzig e. V. Die ersten Mitglieder sind vor allem Mitarbeiter von Red Bull und Anwälte aus der Region. Erster Geschäftssitz ist eine Kanzlei.

Wie Red Bull nach Leipzig kam

Mai 2009: Der 19. ist das offizielle Gründungsdatum. An diesem Tag wird der Klub ins Vereinsregister am Amtsgericht eingetragen. Gleichzeitig laufen Verhandlungen mit dem SSV Markranstädt. Der Vorstand des Fünftligisten stimmt der Übernahme der Oberliga-Lizenz durch RB zu. In der Presse wird darüber spekuliert, dass sich das Red Bull zwischen 250 000 und 300 000 Euro kosten ließ. Wahrscheinlicher ist, dass die Summe deutlich höher lag.

Wie Red Bull nach Leipzig kam

Juni 2009: Details des Deals werden bekannt. So wechselt die komplette Männerabteilung des SSV für eine Saison zu RB, auch die Alten Herren. Nach einem Jahr kehren sie zum alten Verein zurück – bis auf die erste Mannschaft.

Wie Red Bull nach Leipzig kam

Juli 2009: Am 2. ist Trainingsauftakt im Stadion am Bad in Markranstädt. 100 Journalisten wollen sich das nicht entgehen lassen.

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Scannewin ist da schon nicht mehr dabei. Nach nur sechs Einsätzen wird er in der Winterpause in die zweite Mannschaft degradiert. Nach der Saison geht er zum SSV Markranstädt, wo er bis 2013 bleibt. „Ich habe an der falschen Stelle die Klappe aufgemacht, kritische Fragen gestellt und mir das selber versaut“, gesteht er.

Den rasanten Aufstieg der Rasenballer verfolgt er nur noch aus der Ferne. Überrascht hat er ihn nicht. „Es gab schon zu meiner Zeit den Traum, in zehn Jahren in der Bundesliga zu spielen“, erinnert er sich. Es ging sogar ein bisschen schneller. „Sie machen keine Kompromisse, setzen auf junge Spieler, und unter Ralf Rangnick hat das alles noch mal richtig Fahrt aufgenommen. Ich freue mich, dass der Osten wieder eine Bundesliga-Mannschaft hat.“

Auch beim Trainingsauftakt am 2. Juli in Markranstädt gibt es Proteste. 200 bis 1 000 Zuschauer kommen in der Premierensaison zu den Heimspielen. 
Auch beim Trainingsauftakt am 2. Juli in Markranstädt gibt es Proteste. 200 bis 1 000 Zuschauer kommen in der Premierensaison zu den Heimspielen.  © imago images

Damit ist es aber auch genug mit dem Blick in die Vergangenheit. Sentimentalitäten sind überhaupt nicht sein Ding. Deshalb ärgert er sich auch nicht, dass RB seinen ersten Punktspiel-Torschützen offenbar vergessen hat. Andere Ex-Profis werden bei den Heimspielen schon mal in der Halbzeitpause interviewt. Scannewin hat noch keine Einladung bekommen. „Die Frage ist doch: Kennen die Leute, die jetzt im Verein arbeiten, überhaupt die Vergangenheit, beschäftigen die sich mit den alten Geschichten?“

Lesen Sie im nächsten Teil: Warum RB Leipzig auch nach zehn Jahren für viele Fans noch ein Feindbild ist.