Zu wenig Notärzte auf dem Land

Großenhain. Der Morgen beginnt, wie er schon so oft begonnen hat. Kurz nach neun kam der erste Anruf. Patient, männlich, ansprechbar, Verdacht auf Schlaganfall. Richard Tomalka stellte instinktiv die Kaffeetasse auf den Tisch zurück und los ging es. In Momenten wie diesen zählt jede Sekunde – und der 60-Jährige hat bereits viele solcher Momente erlebt. Kinder und Jugendliche, Frauen und Männer, Junge und Alte – der Kreis all jener, die in irgend einer Form seine Hilfe benötigten, ist groß. Und ungleich mannigfaltiger all jene Situationen, in denen diese Menschen mit Richard Tomalka und seinem Team zusammentreffen. Einige von ihnen kommen nach Wochen zu ihm und bedanken sich mit einem Blumenstrauß. Andere lernen den beherzten Mediziner gar nicht erst kennen – für sie kam jede Rettung zu spät.
Zwei Seiten des Lebens, die für den gebürtigen Polen seit acht Jahren zum Inhalt des eigenen geworden sind. Denn Richard Tomalka fährt als Notarzt, und zwar jeden Tag, abzüglich der selbst verschriebenen Urlaubstage, die er nach eigenem Bekunden zur Seelenhygiene und Regeneration braucht. Darüber hinaus ist der seit zwei Jahren in Stralsund lebende Facharzt für Urologie auch jener Mann, der fahren lässt. Deutschlandweit und seit Januar nun auch in Großenhain. Die Sächsische Zeitung war mit dem Geschäftsführer der ALL MEDICAL UG, einer Vermittlungsagentur für Assistenz-, Fach- und Notärzte im Gespräch.
Herr Tomalka, nur mal angenommen, ich sei Klinikchefin statt Zeitungsredakteurin. Wäre ich auf der Suche nach einem geeigneten Chefarzt, würde ich den bei Ihnen finden?
Ich glaube, da könnte ich der Klinikchefin Karlshaus gute Hoffnungen machen! In unserer Datenbank sind zurzeit über 2 900 Arztprofile abgespeichert. Sie werden alle Fachrichtungen darunter finden, und von der Qualifikation eines Assistenzarztes bis hin zum gesuchten Chefarzt können wir Ihnen sowohl auf Honorarbasis als auch zur Festanstellung alles bieten.
Ihre Agentur vermittelt seit 2011 qualifiziertes Personal in ganz Deutschland. Wie sind Sie damals auf die Idee gekommen, gewissermaßen mit den eigenen Kollegen zu handeln?
Zunächst einmal weiß ich selbst, was es bedeutet, wenn in einer Klinik das Personal knapp ist. Viele Jahre habe ich als Facharzt für Urologie in Beckum und Hamm gearbeitet. Meine drei Kinder waren noch klein, aber wir Ärzte haben eine Überstunde nach der anderen geschoben und manchmal bis zur Erschöpfung gearbeitet. Uns wurde immer wieder zugesichert, dass mehr Personal eingestellt werden soll, aber dazu kam es nicht. Ich habe dann irgendwann entschieden, mich aus diesem Hamsterrad zu befreien und meine Agentur unter dem Internetportal HonorarArzt.de und HonorarNotarzt.de gegründet.
Mit Ihrem Unternehmen gelten Sie inmitten der Arztvermittlung als Unikat. Was macht Sie so besonders?
Ob wir so besonders sind, weiß ich gar nicht. Zumindest dürfen wir für uns in Anspruch nehmen, dass wir ein selbstständiger, kompetenter, aus den eigenen Reihen stammender Dienstleister sind. Hinter HonorarArzt.de stehen solche Ärzte und Kollegen, wie jene, die unsere Agentur um Hilfe bitten. Wir sind sozusagen einer von ihnen. Kennen die Probleme in den Kliniken nur allzu gut und wissen, woran es krankt. Es gibt einfach zu wenig Ärzte! Die Bedingungen in den Häusern sind oft nicht optimal, die Bezahlung hinkt hinter der Dichte an Verantwortung, Leistungsbereitschaft und Aufgabenfülle beträchtlich hinterher. Viele junge Mediziner wollen sich diesen Stress nicht mehr antun. Sie möchten auch nicht Getriebener der beruflichen Tätigkeit sein und für ihr Privatleben mehr Zeit haben. Gemeinsam können wir schauen, was aus ihren Anforderungen und denen des Arbeitsmarktes zu machen ist. Hinter unserer Plattform verbirgt sich immerhin eine fundierte, mehrjährige Erfahrung der einzelnen Teamkollegen auf dem Gebiet der Medizin, der Informatik, der Personalvermittlung und der Unternehmensberatung. Wir kooperieren mittlerweile mit Partnern im In- und Ausland.
Fachliche Qualitäten, mit denen Ihre Firma in den kommenden vier Jahren die Notarztstandorte Riesa und Großenhain absichert. Worin besteht die Herausforderung?
Zunächst einmal muss ich vorausschicken, dass wir seit Jahren erfolgreich im Landkreis Meißen tätig sind. Ebenso wie in Freital, Dippoldiswalde, Reichenbach, Schwarzenberg und anderen Regionen Deutschlands ist es uns auch hier gelungen, gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort Konzepte zu erarbeiten, die personelle Lücken schließen können. Kollegen, die als Notärzte tätig sind, müssen freilich wissen, was das bedeutet. Immer auf Abruf und die ganze Palette des menschlichen Leids erlebend. Ich selbst arbeite geradezu mit Passion als Notarzt. Bin also keiner, der vom Mars kommt, und nicht weiß, welche Herausforderungen da täglich auf einen warten. Es gibt leichte Fälle, zu denen man gerufen wird, aber eben auch solche, die tödlich enden. Schwere Verkehrsunfälle, Zugunglücke, die frohe Geburt, auf die wenige Stunden später schon ein tragisch endender Herzinfarkt eines Familienvaters folgt. Damit müssen die Kollegen umgehen können. Und auch mit der Tatsache, dass es ein 24-Stunden-Job ist und keiner, der nach acht Stunden nebst Mittagspause endet. Gedanklich schon gar nicht und deshalb ist es wichtig, der Ärzteschaft professionelle Mechanismen zur Seite zu stellen, die ihnen eine psychische Verarbeitung und physische Regeneration gewährleisten.
Ist die Not an Notärzten im Freistaat besonders groß?
Ich würde behaupten, nicht größer als anderswo. Aber Sie haben recht, besonders in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands ist die Lage prekär. Die sich nach der Wende niedergelassenen Ärzte gehen jetzt in Rente. Sie haben verständlicherweise neben ihrer Tätigkeit als Mediziner mit eigener Praxis oder eben als Klinikarzt nicht mehr die Kapazitäten, auch noch im Notdienst zu arbeiten. Unser Pool verfügt über 600 Notfallmediziner, insofern können wir da schon erheblich entlasten. Und unsere Ärzte, die im Übrigen aus allen Nationalitäten entstammen, sind auch gern in Sachsen tätig. Die Patienten, die den Ärztemangel oft vor der eigenen Haustür zu spüren bekommen, zeigen sich hier sehr dankbar.
Herr Tomalka, denken wir uns noch einmal an den Anfang zurück! Wenn die Klinikchefin eine offene Stelle mit einem ihrer Ärzte besetzen würde – welche Eigenschaften dürfte sie erwarten?
Abgesehen von der fachlichen Qualifikation sind unsere Ärzte absolut flexibel! Sie springen von heute auf morgen ein, wenn Krankenhäuser offene Stellen nicht besetzen können oder Stammpersonal, aus welchen Gründen auch immer, langfristig ausfällt. Manche Kollegen operieren in Sälen, die sie noch nie zuvor von innen gesehen haben, oder fahren Notdienste in Gegenden, die sie bisher nur von der Landkarte kannten. Was sie jedoch mit den einheimischen Medizinern verbindet: Sie kümmern sich um das Wohl ihrer Patienten.
