Von Wulf Stibenz
Diese Statistik stimmt. „Es ist nicht von einer Unterversorgung im medizinischen Bereich zu sprechen“, sagt Karl-Heinz Melcher, Sachgebietsleiter Soziales in Weißwasser. Das Gleiche können seine Kollegen in Niesky oder Görlitz behaupten. Denn für diese Kategorie gibt es Richtwerte: So arbeiten in der Region zurzeit 95 Hausärzte. Das sind nur sieben weniger, als die Sollstärke.
Allerdings hilft Statistik keinem Patienten. „Wir liegen im Planungsbereich mit Görlitz und Niesky“, sagt Weißwassers Oberbürgermeister Hartwig Rauh. Und weil es in der Region zum Beispiel sechs, statt statistisch errechneter vier Nervenärzte gibt, darf sich in Weißwasser keiner niederlassen.
Krauschwitz hat Glück gehabt
Sachsens Kassenärztlicher Vereinigung (KV) ist die Problematik bekannt. Bei Nervenärzten liegt der „Versorgungsgrad“ bei 188,3 Prozent, lässt Dr. Norbert Adam von der KV wissen. Und seit in Görlitz vor gut zwei Monaten ein Nervenarzt gestorben ist, wird ein Nachfolger gesucht. „Leider ist das nicht gelungen“, so Adam. Einziger Bewerber ist das Medizinische Versorgungszentrum Rothenburg (MVZ) – doch bislang will das keine Außenstelle in Görlitz einrichten.
In Görlitz fehlen zudem Praxen für Hals-Nasen-Ohren- und Frauenheilkunde, aber der NOL ist noch weitaus schlimmer dran. „Mich fragen die Menschen, wie sie zum Arzt kommen sollen“, so Rauh zu Erfahrungen aus der Bürgersprechstunde. Und Jens-Eric Allinger, Bezirksgeschäftsführer der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) für die Region sagt dazu: „Mit der Gesundheitsreform liegen sämtliche Fahrtkosten bei den Patienten – bis auf wenige Ausnahmefälle.“
Der Weg zum Doktor kann teuer werden: etwa, wenn die Überweisung vom Hausarzt zum Facharzt und danach zu einem anderen Spezialisten ansteht. „Hinzu kommt die Zeit, da wird eine Lappalie zum Ärgernis, weil sich Diagnose und Behandlung hinziehen“, so Allinger. Und das kostet auch die Krankenkassen viel Geld: „Wir wollen, dass Patienten schnell gesund werden – aber es fehlen dafür genügend Ärzte vor Ort“, so Allinger.
Dieser „Ärztemangel“ fängt beim Hausarzt an. „Glückliche Praxisfortführungen wie jetzt in Krauschwitz sind die Ausnahme“, so Allingers Kollege Detlef Rakel von der Barmer-Ersatzkasse. Er prognostiziert: „Die Zukunft sieht da düster aus.“ Einen Vorgeschmack darauf erleben Menschen in der Großgemeinde Boxberg. Dort hat Ende Juli die Uhyster Praxis geschlossen. Gut 350 Patienten hat dann die Gemeinschaftspraxis Boxberg aufgenommen. „Die absolute Obergrenze“, so Ärztin Maren Piesker.
Ein Orthopäde in Niesky
Bei den Fachärzten in der Region ist die Situation akut. In immer mehr Bereichen klafft eine Lücke zwischen Statistik und Realität: „In Niesky hat sich der Orthopäde Safadi ansiedeln können, weil in Weißwasser zwei Orthopädiestellen vakant waren“, so Allinger. Der Spezialist hätte auch nach Görlitz gehen können, weil es zum Planungsraum gehört, in dem sich Ärzte ohne Einschränkungen niederlassen können. Weißwasser kann dankbar sein, dass sie „nur“ den Weg bis Niesky auf sich nehmen müssen. Das von Sachsens Sozialministerin Helma Orosz und dem Präsidenten der österreichischen Ärztekammer, Dr. Walter Dorner, getroffene Abkommen, mit dem junge österreichische Ärzte nach Sachsen geholt werden sollen, zeugt von schellenden Alarmglocken. „Migration von Ärzten“ nennt sich die Offensive, um die es nach der Anfangseuphorie und 66 neuer Ärzte für Sachsen ruhig geworden ist. Denn Jungärzte wollen ihren Facharzt ablegen. Das geht am besten in Krankenhäusern wie in Görlitz, Niesky, Rothenburg und Weißwasser – oder gleich in den Ballungszentren. Es gibt andere Ansätze, dem Ärztemangel Herr zu werden. 60000 Euro winken Jungärzten, wenn sie eine Praxis übernehmen. Eine Außenstelle wird mit 7000 Euro gefördert. Der Blick in die Preisliste für medizinische Geräte zeigt jedoch, dass damit keine Existenz aufgebaut werden kann. Ohnehin ist das Geld wichtig: Am Montag haben sich die KV und die Innungskrankenkasse auf mehr Honorar für Ärzte geeinigt. „Das entspricht einer prozentualen Steigerung im zweistelligen Bereich“, lässt Dr. Klaus Heckemann von der KV wissen.
Hilfe dank polnischer Ärzte
Euro sollen also Mediziner locken. Ob sie sich für Ostsachsen entscheiden, ist kaum zu prognostizieren. Aber: „Zeitlich wird es eng, wir kennen die Altersstruktur bei unseren Ärzten“, mahnt DAK-Chef Allinger. 55 bis 60 Jahre sind die Regel. Hoffnung gibt es nur mit Blick auf Europa. In fünf Jahren, so Allinger, ist vielleicht die Nachfolgeproblematik gelöst: „Wenn Abrechnung und Leistungskatalog bei den polnischen Medizinern angepasst sind, wäre der Weg des Patienten über die Grenze oft kürzer als zum nächsten Arzt in Sachsen.“