Meistens liegt mehr als ein Buch auf meinem Nachttisch. Derzeit habe ich die Wahl zwischen Erzählungen von Hermann Hesse oder Joachim Ringelnatz – und Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“. Kurzweilig sind alle drei, aber der Meyer ist gerade am anziehendsten.Vielleicht, weil sich die Schilderungen vom verkorksten Leben einer Handvoll Heranwachsender im Leipziger Stadtteil Reudnitz so sehr unterscheiden von den eigenen Jugenderlebnissen.
Aufgewachsen in der DDR, verspielen Rico, Mark, Pitbull und Danie in den Nachwendejahren ihr Leben. Sie fühlen sich als die Könige ihres Viertels und sind doch Verlierer. Sie knacken Autos, klauen, trinken und prügeln sich mit Glatzen. In ihren zerrütteten Elternhäusern finden die Jugendlichen keinen Halt. Der ideologisch behüteten Kindheit und der Schule sind sie entflohen. Aber dann war niemand da, der ihnen die Grenzen der neuen Freiheit hätte zeigen können.
Polizei, Knast, Drogentod – Clemens Meyer zieht alle Register. Seitenweise lässt er seine Protagonisten in stereotypen Formulierungen saufen und ihre Wut ausleben. Die Sprache ist drastisch, realistisch. Bisweilen meint man beim Lesen, den Kneipendunst und den Muff der Abrisshäuser in der Nase zu haben. Meyer ist Jahrgang 1977 und lebt in Leipzig. Zweimal war er Preisträger beim MDR-Literaturwettbewerb. Obwohl er in der Ich-Form schreibt, hat er mehrfach klar gestellt. „Ich bin nicht Danie.“ Ein kleiner Trost angesichts eines Romans voller Hoffnungslosigkeit.
C. Meyer „Als wir träumten“, S. Fischer Verlag, ISBN 978-3-10-048600-4