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Zum Schluss gibt es Blumenkohl mit Schokolade

Sternekoch Dirk Schröer verlässt nach sieben Jahren Dresden. Seine Bilanz: Der Sachse isst gern gemütlich und hat Angst vor Experimenten.

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Die Henkersmahlzeit steht kurz bevor. Am Mittwoch absolviert Dirk Schröer seinen letzten Küchendienst im Restaurant Caroussel im Hotel Bülow Palais. Seit 2006 steht er hier am Herd und hat seinen Michelin-Stern seither Jahr für Jahr verteidigt. Nun ist es Zeit für neue Horizonte. Ab Mai wird er Küchenchef im ebenfalls sternegekrönten Restaurant Burg Schwarzenstein in Geisenheim. Der Umzug ist bereits erledigt, die Kochmütze hängt am neuen Arbeitsplatz, nun muss nur noch das letzte Menü in Dresden über die Bühne gehen, ein aufwendiges Bankett für Banker. Gleich danach fährt Schröer nach Hessen, letzte Details für den Kräutergarten vor seinem künftigen Wirkungsort besprechen.

Herr Schröer, Sie verlassen nach sieben Jahren das Bülow Palais und wechseln in ein Luxus-Hotel im Rheingau. Welche sächsischen Spezialitäten wird es auf Ihrer neuen Speisekarte geben?

Sächsische Eindrücke nehme ich auf jeden Fall mit. In welcher Form ich sie anbiete, weiß ich noch nicht. Aber eine Eierschecke wird sicher Verwendung finden, die kennt man ja mittlerweile bundesweit. Die Küche im neuen Betrieb wird sehr international geprägt sein. Ich werde aber auch viele regionale Produkte verwenden und mit Winzern zusammenarbeiten, denn im Rheingau ist ja ein großes Weinanbaugebiet.

Was hat den Ausschlag für Ihren Wechsel gegeben?

Es war das Gesamtpaket. Da spielt die Familie mit rein. Meine Mutter lebt im Rheingau, und es gibt dort bereits einen Freundeskreis. Außerdem ging es natürlich um eine berufliche Veränderung. Nach sieben Jahren in derselben Küche stellt man sich die Frage: Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, noch erfolgreicher zu werden? Den Hotelbetrieb im Bülow Palais habe ich verinnerlicht. Nun bin ich für ein reines Gourmet-Restaurant mit zehn Tischen verantwortlich, muss mich nur auf den Abendbetrieb konzentrieren. Da hat man mehr Zeit und Möglichkeiten, kreativ zu sein.

Dann greifen Sie also nach dem zweiten Michelin-Stern?

Das ist auch das Ziel des Hotel-Betreibers: zwei Sterne zu erkochen. Und wenn die da sind, vielleicht auch irgendwann einen dritten zu bekommen. Es geht darum, etwas voranzutreiben.

In Dresden waren Sie einer von zwei Sterneköchen. Wieso sind in den letzten Jahren nicht mehr dazugekommen?

Das ist schwierig zu beantworten. Einerseits gibt es da vielleicht eine gewisse Politik der Gourmet-Führer, denn in den neuen Bundesländern gibt es allgemein wenig Sterne-Restaurants. Vielleicht ist aber auch die Akzeptanz für Sterne-Gastronomie in Dresden nicht so hoch wie in einer Großstadt in Baden-Württemberg oder Hessen. Dort ist man näher dran an Frankreich, die Lebenskultur ist anders, und Genuss spielt eine andere Rolle. In einer Stadt wie Dresden muss sich die Sterne-Gastronomie auch nach über 20 Jahren noch entwickeln. Die Weltoffenheit ist im Rhein-Main-Gebiet sicher größer als hier. Darauf muss man sich als Koch einstellen.

Was funktioniert nicht in Dresden?

Man sollte nicht zu experimentell kochen. Es gibt gewisse Sachen, an die die Leute langsam herangeführt werden müssen. An Dekonstruktionen von Gerichten zum Beispiel. Dass man Sachen aus ihren Zusammenhängen herausreißt und wieder neu zusammensetzt, einen Sauerbraten mal rosa gebraten serviert zum Beispiel.

Die neuen Bundesländer gelten unter vielen Gastro-Experten immer noch als Entwicklungsländer. Stimmen Sie zu?

Es gibt hier gute Ansätze, was die Sterneküche angeht. Auch viele gute Köche, die wieder in ihre Heimat zurückkehren. Es ist aber auch eine Frage der Gäste. Manche haben ein Problem damit, dass sie bei uns für ein Gericht nicht zehn oder 15 Euro zahlen wie in einem Landgasthof, sondern 28, weil die Produkte teurer sind. Viele Ostdeutsche sind noch nicht bereit, für gutes Essen Geld in die Hand zu nehmen.

Vielleicht haben die Ostdeutschen ja zu wenig Geld dafür.

Die Kosten sind überall gleich. Ob ich nun in Dresden wohne oder in Frankfurt, die Mieten sind ähnlich. Diese Unterschiede von Ost und West kann ich nach über 20 Jahren nicht mehr gelten lassen. Wir decken mit Sterne-Gastronomie vielleicht fünf Prozent der Bevölkerung bundesweit ab, der Rest ist eben noch nicht so weit. In anderen Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien spielt Essen dagegen eine andere Rolle. Da werden Speisen und Getränke viel höher angesiedelt. In diesen Ländern ist das Auto zweitrangig, bei uns ist es ein Heiligtum. Die Leute kippen in ihre Autos ja auch Öl rein, das 30, 40 Euro pro Liter kostet, aber selbst kaufen sie sich im Supermarkt ein Speiseöl für 99 Cent. Beim Essen fehlt oft noch die Akzeptanz, dass man für ein gutes Produkt mehr zahlen muss.

Hatten Sie Schwierigkeiten, diese Produkte in Sachsen zu bekommen?

Es hat am Anfang viel Überzeugungskraft gekostet. Man musste sich viel umhören, woher man gutes Fleisch bekommt und wer gewisse Gemüsesorten anbaut. Zum Schluss lief das aber hervorragend.

Und was lief in den letzten Jahren nicht so gut? Auch ein Sternekoch vermasselt mal einen Abend.

Ich habe auch Sachen durchgeschossen, mal Rinderfilet für 40 Personen zu weich gebraten. Es gibt immer Abende, wo es nicht so läuft, wie es soll. Meist sind es die, wo jeder denkt, das funktioniert ganz einfach. Wenn das Restaurant voll ist, arbeitet jeder hoch konzentriert. Aber wenn weniger los ist, geht mehr schief.

Auf welchem kulinarischen Gebiet experimentieren Sie gerade am liebsten?

Gerade geht es um Alternativen zu süßen Desserts. Da steht Gemüse mehr im Vordergrund als Frucht und Schokolade. Es gibt Sachen, die sind von Natur aus süß, man erwartet sie aber nicht in einem Dessert. Ein Karotte zum Beispiel. Oder Sellerie mit Rhabarber. Man bringt Sachen zusammen, die Diskussionen auslösen. Im Bülow Palais hatte ich gerade „Blumenkohl und Schokolade“ auf der Karte. Das hört sich erst mal abartig an, aber auf der anderen Seite ist es interessant. Darum geht es mir: Zusammenfügen, was nicht zusammenpasst. Die Gäste sind erst mal irritiert, aber bisher waren sie immer begeistert.

Welche Lokale in Dresden und Umgebung haben Sie schätzen gelernt?

Ich habe immer gern bei Olav Seidel im Gasthof Bärwalde gegessen. Und in der Weinkulturbar von Silvio Nitzsche in Striesen werde ich sicher auch bei künftigen Dresden-Besuchen vorbeischauen. Es gibt aber auch ein paar Läden in der Neustadt, in denen ich gern war: zum Frühstück mit der Familie im Emoi und abends nach der Arbeit in Frank’s Bar. Es muss nicht immer das Überkandidelte sein. Ich setze mich gern mal irgendwo hin, ohne den Stress der Sterne-Gastronomie zu haben.

Und welche Plätze in der Stadt werden Sie sonst vermissen?

Die Äußere Neustadt auf jeden Fall, da habe ich gern gewohnt. Den Unterschied vom sehr mondänen Umfeld des Hotels zur sehr urbanen Umgebung, das fand ich immer berauschend. Jetzt werde ich in einem 6.000-Einwohner-Dorf wohnen. Aber bis zum Frankfurter Flughafen sind es nur 30 Minuten, man kann also problemlos überallhin. Man kann so unkompliziert mit anderen Köchen kommunizieren und zum Beispiel mal schnell nach Spanien fliegen. Das war in Dresden immer problematisch, teilweise undenkbar. Wenn man hier irgendwohin wollte, war man erst mal einen halben Tag unterwegs. Und das Zurückkommen war auch nicht einfach. Der letzte Zug aus Frankfurt fährt abends halb sieben, danach geht nichts mehr.

Was überwiegt beim Abschied aus Dresden: Erleichterung oder Wehmut?

Wehmut ist auf jeden Fall dabei. Ich hatte ja sieben schöne Jahre hier. Nun fängt ein neues Kapitel an, bei dem alle Dinge zusammenpassen: Familie und Beruf.

Gespräch: Doreen Reinhard