Überraschend kam die Nachricht im Spätherbst 2018. Und Marc Schulze behielt sie auch einige Wochen für sich. Irgendwann aber fiel es seiner Frau Anja auf, dass er wieder öfter die Laufschuhe schnürte. Dabei war der 35-Jährige in Läuferrente gegangen – was bei einem, der täglich trainierte, heißt, dass er nur noch viermal die Woche an der Elbe hoch und runter rannte.
Im Herbst 2017 hatte Dresdens schnellster Langstreckenläufer noch einmal den Versuch unternommen, einen Marathon unter 2:20 Stunden zu beenden. Enttäuscht stieg er damals beim Berlin-Marathon mit Magenproblemen bei Kilometer 25 aus. „Es hatte mal wieder nicht funktioniert. Wenn es nicht sein soll, dann höre ich eben auf“, erzählt er. Es war auch die Zeit, kurz bevor er zum zweiten Mal Vater wurde. „Mit zwei Kindern wird das erst recht nicht klappen.“
Also halbierte der Rennsteiglauf-Supermarathonsieger von 2016 – auch zur Freude seiner Frau – das Pensum um die Hälfte, und versuchte sich auf neuen Wegen. Mit weniger Training, dafür mehr Spaß, gewann er im April den Oberelbe-Marathon – zum dritten Mal in Folge. Drei Wochen später war er dann Tempomacher beim Berliner Halbmarathon für die Hindernis-Europameisterin Gesa-Felicitas Krause und hat ihr zur deutschen Jahresbestzeit verholfen.
Und nun? Ein Flachländer in den Bergen. Mit seinen 60 Kilo verteilt auf 1,76 Meter hat er gute körperliche Voraussetzungen. Und weil jedes Berglaufprofil anders ist, braucht er auch nicht mehr seinen früheren Top-Zeiten von der Straße hinterherzuhecheln. Das entspannt den Kopf, und die Erfolge kommen trotzdem.
Als Marc Schulze im Spätsommer auf dem Brocken an den Deutschen Meisterschaften teilnahm, wurde er auf Anhieb Vierter und ließ einige bekannte Konkurrenten aus der Szene hinter sich. Kurz darauf startete er beim Berglauf-Weltcup in Chiemgau – 1 074 Höhenmeter auf 8,9 Kilometer. Mit Platz 15 im international topbesetzten Feld wurde der Berglauf-Berater vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) auf den Sachsen aufmerksam und schrieb ihn über Facebook an – jene geheime Nachricht vom Spätherbst…
Das kannst du nicht ausschlagen, habe er sofort gedacht, als er von der Nominierung für den Berglauf-Kader las. Es war sein Traum, einmal das Nationaltrikot zu tragen. Marc Schulze hatte es 2010/2011 im Crossbereich versucht, nachdem seine Zeiten im Straßenlauf für internationale Einsätze nicht gereicht hatten – vergeblich. Später verfolgte er sogar mal das Ziel, sich im Marathon für Olympia 2016 zu qualifizieren. Ebenfalls vergeblich.
Jetzt im reifen Sportleralter gehört er zum Perspektivkader, was paradox klingen mag, aber wie es offiziell im Schreiben vom DLV heißt. Es gibt keine Normen für internationale Meisterschaften, weil jede Strecke so unterschiedlich ist wie jeder Berg.
Berglauf geht in den Hintern
Sein erstes großes Ziel ist, beim Qualifikationswettkampf am 26. Mai im schweizerischen Grabs zu den vier besten Deutschen zu gehören. Dann ist er im Nationalteam und dürfte bei der EM im Juli in Zermatt starten. Ob er dafür auch eine finanzielle Unterstützung erhalten würde, weiß er nicht. „Wenn ich in Grabs am Start stehe, will ich unter die besten Zwei kommen.“ Sein Ehrgeiz ist derselbe, auch wenn die Ziele andere sind.
Mit seinem Berliner Trainer Jens Karraß, mit dem er seit elf Jahren zusammenarbeitet, geht er das neue Laufprojekt an. „Ein richtiger Berglauf hat nicht mehr viel mit Rennen zu tun. Das geht viel auf den Hintern“, erklärt er. Mittlerweile ist der freiberufliche Software-Entwickler wieder beim täglichen Training angelangt – und hat in Abstimmung mit seiner Familie einen Rhythmus gefunden. Am Morgen bringt er Leah (5) und Noah (1) in den Kindergarten, danach steht 90 Minuten Laufen auf dem Programm – und dann erst die Arbeit im Büro. Der Unterschied zu früher als kinderloser Leistungssportler ist, dass abends „die Luft raus“ ist. „Da kann ich nur noch liegen, weil ich so kaputt bin.“
Im Moment geht es darum, „wieder schnelle Beine zu bekommen“. Zwischen 90 und 100 Wochenkilometern stehen auf dem Plan, die meisten davon läuft er an der Elbe oder in der Heide. Der Citylauf am Sonntag ist wie für viele Hobbyläufer auch für den schnellen Mann mit dem Käppi Start der in die Laufsaison. Um den Sieg über zehn Kilometer kämpfen andere, aber zur Spitzengruppe dürfte er gehören.
Anfang April ist dann ein „schneller Halbmarathon“ in Berlin geplant, bevor er mit dem speziellen Training beginnt. Für die Berganläufe hat er eine geeignete Strecke an der Schwebebahn unweit vom Blauen Wunder gefunden. Auch die Spitzhaustreppe in Radebeul mit ihren 397 Stufen wird ab und zu zum Trainingsgelände.
Seine Lieblingslandschaftsläufe – der Oberelbe-Marathon und der Rennsteiglauf – passen dieses Jahr nicht in den Plan. Marc Schulze zieht es jetzt in die höheren Berge.