Zurück ins Krankenhaus am Rande der Stadt

Von unserem Korrespondenten Hans-Jörg Schmidt, Prag
Corona ändert alles. In Tschechien unter anderem massiv auch die Sehgewohnheiten der Fernsehzuschauer, die in ihre vier Wände verdammt sind und die „Glotze“ sehr viel mehr als sonst einschalten. Sie wandern zwar auch zu Netflix oder Spotify ab, vor allem aber laufen sie von ihren bislang besonders geliebten privaten TV-Kanälen zum öffentlich-rechtlichen Česká televize (ČT) über.
Der Informationskanal ČT24, vergleichbar einer Mischung aus Tagesschau24 und Phoenix, ansonsten eher ein Spartensender für politisch Interessierte, schart seit Ausbruch der Krise mehr und mehr Tschechen hinter sich. Hier läuft alles, was in diesen Zeiten bedeutsam ist, live. Der Sender informiert herausragend, erklärt, ordnet ein, vergleicht, lässt seine Inlands- und Auslandskorrespondenten rotieren und verpasst nichts. Über Laufbänder wird ständig der neueste Stand der Dinge vermittelt.
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat zudem zwei völlig neue Sender über Nacht an den Start gebracht: zum einen ein Bildungsprogramm, das helfen soll, die geschlossenen Schulen zu ersetzen, und das von jedem zweiten Schüler gesehen wird. Zum Zweiten ein spezielles Programm für die wichtigste Risiko-Gruppe – die Senioren. Besagter Sender ČT3 läuft zwischen 9 und 17.30 Uhr, informiert dosiert über die aktuelle Corona-Lage, veröffentlicht Notfall-Telefonnummern und erinnert ansonsten, von den Schrecken der Zeit ablenkend, hauptsächlich an alte Zeiten.
Fünf Euro im Monat - seit 2008
Da ist viel Nostalgie dabei; der Sender muss notgedrungen auf Produktionen aus sozialistischen Zeiten zurückgreifen. Aber die waren nicht alle schlecht und ideologisch anrüchig. Das Programm reicht vom „Studio A“ aus den 1960er-Jahren, wo spätere Stars wie Karel Gott, Marta Kubišová, Helena Vondráčková oder Waldemar Matuška ihr erstes Herzklopfen kostenlos hatten, über Aufführungen aus dem humoristischen Prager Theater „Semafor“ bis hin zu mehreren Folgen des einst überaus beliebten „Televarietés“, einer preisgünstigeren Prager Variante des DDR-Klassikers „Ein Kessel Buntes“. Der „Kessel“ war über viele Jahre aus Berlin-Adlershof live auch in die Tschechoslowakei übertragen worden. Ein besonderer Höhepunkt ist die Wiederausstrahlung der „Mutter aller Krankenhaus-Serien“ – „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“. Das Programm ČT3 ist von der älteren Zielgruppe sofort gut angenommen worden, wie die Einschaltquoten belegen. Die lagen schon am ersten Tag bei 20 Prozent. Tendenz steigend.
Mit diesen lobenswerten Bemühungen sucht Česká televize auch die jahrelangen Angriffe auf die Öffentlich-Rechtlichen zu kontern. Die Vorwürfe ähneln denen, die man auch aus Deutschland kennt. Da ist von angeblichem „Staatsfernsehen“ die Rede, von „politischer Unausgewogenheit“, „Geldverschwendung“ und „Zwangsgebühren“. Die seit 2008 gültigen Monats-Gebühren betragen dabei gerade mal 135 Kronen, umgerechnet fünf Euro. Die müssen laut ČT-Chef Petr Dvorak dringend erhöht werden: „Wir produzieren heute 20 Prozent mehr Sendungen als 2008. Ohne eine sehr moderate Erhöhung der Gebühren um 15 Kronen müssten wir massiv zum Nachteil der Zuschauer streichen.“
Wichtiger ist Dvorak aber, dass die Öffentlich-Rechtlichen Tschechiens nicht ein ähnliches Schicksal erleiden wie die in Polen und Ungarn. „In Polen beispielsweise hat die Zuschauerzahl des Fernsehens abgenommen, weil die Menschen schlicht nicht mehr glauben, was ihnen gesagt wird.“ Öffentlich-rechtliche Medien, unabhängig von der Politik, seien unverzichtbar, wie die derzeitige Krise zeige. „Dafür ist eine Gebührenfinanzierung bei all ihren Mängeln immer noch die beste Variante.“